Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Wolfgang Schäuble: Wolfgang Schäuble: "Können nicht so lahmarschig weitermachen"

Wolfgang Schäuble

Wolfgang Schäuble: "Können nicht so lahmarschig weitermachen"

    • |
    Ein Leben für die Politik und die CDU. Wolfgang Schäuble war insgesamt fast 20 Jahre Bundesminister. Heute ist er Bundestagspräsident.
    Ein Leben für die Politik und die CDU. Wolfgang Schäuble war insgesamt fast 20 Jahre Bundesminister. Heute ist er Bundestagspräsident. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Schäuble, nach so vielen Jahrzehnten in der Politik sollte Sie nichts mehr überraschen. Hat es Sie dennoch erstaunt, was in den vergangenen Tagen in der Europäischen Union passiert ist? Immerhin mit dem Ergebnis, dass eine Deutsche EU-Kommissionschefin werden soll.

    Wolfgang Schäuble: Das jemand aus Deutschland an die Spitze der Kommission rückt, hat mich eigentlich nicht überrascht. Wir hatten ja einen Spitzenkandidaten, der hieß Manfred Weber. Wir haben fleißig Wahlkampf gemacht und man kann schwer bestreiten, dass seine konservative EVP-Fraktion mit Abstand die stärkste politische Kraft im Europäischen Parlament geworden ist. Und nach dem, was vorher gesagt worden ist, wäre es eigentlich normal gewesen, dass ein Deutscher Kommissionschef wird.

    Nur wird es eben nicht Manfred Weber…

    Schäuble: Jetzt soll es Ursula von der Leyen werden. Auf dem Weg zu diesem Ergebnis hat mich einiges überrascht, das ist wahr. Ich glaube, dass

    Auf den Plakaten haben die Leute Manfred Weber gesehen, mit dem Slogan „Ein Bayer für Europa“. Wie erklärt man denen jetzt, dass es am Ende doch ganz anders läuft?

    Schäuble: Na ja, ein Bayer für Europa war jetzt für uns außerhalb Bayerns nicht so wichtig. Aber ja, er war der gemeinsame Spitzenkandidat der Union. Es gibt ja neben der CSU in dem kleinen Rest Deutschlands auch noch die CDU. Aber Spaß beiseite: Man muss den Menschen erklären, dass die EU-Kommission gemäß den Verträgen nicht nur vom Europäischen Parlament bestimmt wird, sondern auch von den Staats- und Regierungschefs. Und die haben die Überzeugung, dass es am besten ist, wenn sie selber entscheiden, weil es niemand so gut kann wie sie.

    Begeisterung für die Personalie Ursula von der Leyen hören wir bei Ihnen jetzt nicht raus.

    Schäuble: Sie haben mich ja nur gefragt, ob mich das Verfahren überrascht hat. Ursula von der Leyen ist auch eine sehr Gute und wäre sie Spitzenkandidatin gewesen: o. k. Aber jetzt verstehe ich, dass das ein bisschen überraschend kommt. Es ist schon komisch gelaufen, dass sich beim G20-Gipfel in Osaka einige der 27 Staats- und Regierungschefs untereinander auf einen Vorschlag verständigt haben. Dass dann die anderen, die nicht dabei waren, gesagt haben „Sagt mal, habt ihr sie noch alle, wir wollen ja auch noch gefragt werden?“, fand ich wiederum nicht überraschend.

    Dieses Vorgehen in Osaka hat maßgeblich die Bundeskanzlerin betrieben.

    Schäuble: Versuchen Sie nicht, das Missverständnis zu erzeugen, als würde ich in irgendeinem Punkt die Bundeskanzlerin kritisieren. Ich werde ja nicht so blöd sein, das zu tun. Natürlich müssen Frankreich und Deutschland versuchen, gemeinsame Positionen zu finden. Aber Sie dürfen nie den Fehler machen, zu glauben, dass, wenn die beiden sich einig sind, die anderen das akzeptieren müssen. Damit muss man klug umgehen und ich fand, es ist Luft nach oben, was die Klugheit des Verfahrens angeht.

    Nun gibt es einen Kompromiss, der bei vielen Menschen aber nur Kopfschütteln auslöst.

    Schäuble: Natürlich hätten wir uns jetzt noch fünf Jahre lang streiten können. Aber wir können doch nicht aus lauter Rechthaberei sagen: Wenn ich mich nicht zu 100 Prozent durchsetze, dann geschieht gar nichts. Europa hat so dringende Aufgaben, die Welt steht ja nicht still. Und wir brauchen Europa, weil wir alleine alle zu klein sind, auch Frankreich, auch Deutschland. Wir können uns in dieser Welt der großen Sorgen und Nöte nicht wochenlang damit beschäftigen, wer welche Position in Europa bekommt.

    Was passiert denn, wenn Frau von der Leyen im Parlament durchfällt?

    Schäuble: Das weiß ich auch nicht. Ich kann gut verstehen, dass im Parlament viele sagen: Was glauben eigentlich diese Staats- und Regierungschefs? Aber irgendwo hoffe ich, dass am Ende doch eine Mehrheit sagt: Es wird für Europa nicht besser, wenn der Zirkus weitergeht.

    Hier gibt es das Gespräch auch als Video:

    Nur noch eine letzte Frage zu den Posten. Ist Christine Lagarde die Richtige für die Spitze der Europäischen Zentralbank?

    Schäuble: Sie hat bewiesen, dass sie stark und gut ist, deshalb kann sie auch EZB. Sie ist auch eine Chance für Europa. Genau wie Emmanuel Macron, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit ihm bin. Wir brauchen mehr Schwung in Europa, wir können nicht so lahmarschig weitermachen, Europa muss Probleme lösen, damit die Welt nicht noch mehr aus den Fugen gerät.

    In der Union brodelt es trotzdem. Die Kanzlerin macht die schönen Termine, lässt sich in Harvard bejubeln und dafür feiern, dass sie zwei starke Frauen an der EU-Spitze installiert hat, und Annegret Kramp-Karrenbauer muss die Scherben zusammenkehren.

    Schäuble: Nein. Ich unterstelle Ihnen jetzt einmal, dass Sie das gar nicht ernst meinen, sondern mich nur provozieren wollen. Glauben Sie, die Nachtsitzungen in Brüssel sind ein Vergnügen? Das ist eine elende Schinderei und ich bewundere Angela Merkel für ihre Kondition, für ihre physische und psychische Robustheit.

    Hingegen scheint der erste Zauber von AKK schon verflogen zu sein.

    Schäuble: In Schillers Glocke heißt es schon: „Der Wahn ist kurz.“ Am Anfang ist ein Hype und dann normalisiert sich das. Die CDU hatte drei respektable Kandidaten für die Parteispitze. Es gab eine gute Debatte und dann ist gewählt worden – mit einem knappen Ergebnis. Aber wenn du drei gute Kandidaten hast, holt keiner 80 Prozent. Seitdem unterstützen Jens Spahn und Friedrich Merz die neue Parteichefin. Und trotzdem wird jetzt schon wieder die Debatte geführt, wer Kanzlerkandidat wird. Überflüssig wie ein Kropf.

    Einfacher wird es auch nicht durch den Koalitionspartner SPD, der jede Gelegenheit nutzt, um zumindest nachzudenken, wie man aus der Sache rauskommt. Wie belastend finden Sie das?

    Schäuble: Die Große Koalition war eine Notlösung. Niemand hat sie gewollt. Dann ist aus Gründen, die ich nicht so genau weiß, Jamaika gescheitert und es gab nur zwei Optionen: eine

    Sehen Sie das auch noch so, wenn die SPD die Koalition platzen lässt?

    Schäuble: Ich glaube, dass Politik auch mal gegen den Wind führen muss. Hätte Helmut Kohl nicht den Nato-Doppelbeschluss gegen einen klaren Widerstand in der öffentlichen Meinung durchgesetzt, wäre es wahrscheinlich mit der deutschen Einheit und dem Zerfall der Sowjetunion anders gekommen. Manchmal heißt Führung auch, nicht jedem nach dem Mund zu reden.

    Sie plädieren für eine Minderheitsregierung, falls die SPD aussteigt?

    Schäuble: Wir sollten Respekt haben für die Schwierigkeiten der SPD, jede Schadenfreude verbietet sich da. Wenn die SPD aussteigt, dann sollten CDU und CSU sagen: Wir haben einen Wählerauftrag, den erfüllen wir und wir haben eine stabile Regierung und wenn die SPD nicht mehr mitmacht, dann können wir das in dieser Legislaturperiode auch ohne sie zu Ende bringen.

    Sie möchten das Gespräch lieber hören? Unser Podcast macht das möglich:

    Als Bundestagspräsident haben Sie es auch mit der AfD zu tun. Ist es das Vermächtnis von Frau Merkel, dass rechts von der Union dauerhaft eine Partei entstanden ist?

    Schäuble: Ich habe Ihnen doch vorher schon gesagt: Versuchen Sie gar nicht erst, mich zu einer Kritik an Frau Merkel zu verleiten. Es ist hoffnungslos.

    Aber dass es die AfD gibt, ist doch eine Tatsache. Wie gehen Sie damit um?

    Schäuble: Als Bundestagspräsident respektiere ich erst einmal jeden einzelnen gewählten Abgeordneten. Es ist ja noch niemand ein Nazi, nur weil er AfD wählt. Das ist doch Unsinn, wir sollten da ganz schön auf dem Teppich bleiben. Es ist auch nicht jemand schon deswegen rechtsextremistischer Umtriebe verdächtig, weil er fragt, ob wir das verkraften, wenn zu viele Flüchtlinge in zu kurzer Zeit zu uns kommen. Als Bundestagspräsident muss ich sagen: Alle haben die gleichen Rechte, sie sind alle gewählt. Aber die Regeln gelten auch für alle und da sorgen wir dann auch dafür, dass sie eingehalten werden.

    Aber sie werden eben nicht immer eingehalten.

    Schäuble: Diese Partei kommt wieder und wieder bei jedem Problem, und wenn es noch so abseitig ist, innerhalb von zwei Minuten auf das Thema Flüchtlinge. Und da wundern wir uns, dass es dann hinterher irgendwelche Idioten oder Verbrecher gibt, die Anschläge und Gewalttaten gegen Flüchtlinge begehen? Schuld an unseren Problemen sind wir selber und nicht die anderen. Man ist als Politiker auch verantwortlich für die Wirkung dessen, was man macht. Niemand sagt, dass die AfD den Herrn Lübcke ermordet hat, aber dass sie eine Verantwortung hat, weil sie keine klare Grenze zieht zu denjenigen, die Hass und Gewalt schüren und dann auch begehen, das muss sie sich vorhalten lassen.

    Macht man AfD-Politiker zu Märtyrern, wenn man ihnen, wie hier in Augsburg vor einem Jahr beim Parteitag, Hotelzimmer verweigert?

    Schäuble: Ich kann irgendwo verstehen, dass manche sagen, sie möchten damit nichts zu tun haben. Aber ich werbe in beide Richtungen: Grenzt die Menschen nicht aus, die sagen, es kann so nicht weitergehen. Wir müssen diese Menschen auch zur demokratischen Mitte hin integrieren. Aber die AfD, und das gilt auch für die Vorsitzenden, muss sich schon vorhalten lassen, dass sie keine Grenzen zieht – und das macht sie nicht aus Versehen, sondern das ist Teil der Strategie. Wie heißt der Mensch da in Thüringen? Höcke heißt er, glaub ich. Was der alles redet. Mit einem solchen Mann möchte ich nicht in derselben Partei sein.

    Sollte sich die AfD insgesamt mäßigen, wäre sie dann ein möglicher Koalitionspartner für die Union?

    Schäuble: Nein. Wenn die wieder zur Vernunft kommen, wählen sie wieder CDU und CSU.

    Das politische Klima insgesamt ist rauer geworden. Gerade hat Andrea Nahles einen radikalen Schlussstrich gezogen. Wie haben Sie das erlebt?

    Schäuble: Sie war als Ministerin kompetent, sie war verlässlich und sie hat das auf ihre Weise gut gemacht. Und dann hat sie diesen Job übernommen, Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD. Und das war sicher nicht vergnügungssteuerpflichtig. Es wird ihr sehr schwergefallen sein, aufzuhören. Sie war auch selbst nicht zimperlich. Politik ist ein hartes Geschäft, aber wenn sie dann die Entscheidung trifft, aufzuhören, dann hat sie allen Anspruch darauf, dass man sie jetzt in Ruhe lässt. Sie hat das anständig gemacht.

    Viele Spitzenpolitiker kriegen den Absprung nicht so leicht hin, Helmut Kohl zum Beispiel…

    Schäuble: Wenn einer Kanzler ist, hört er nicht so leicht auf, weil er ja überzeugt davon ist. Sonst könnte er das ja gar nicht machen. Es ist ja wirklich eine grauenvolle Belastung und Verantwortung. Helmut Kohl hat viel richtig gemacht. Und als die Wahl verloren war, ist er um 19 Uhr vor die Kameras getreten und hat das Vorbild gegeben, wie man als Kanzler abtritt. Er hat gesagt: Ich habe die Wahl verloren, da ist nichts dran zu meckern, ich akzeptiere das und wünsche meinem Nachfolger alles Gute und viel Erfolg für unser Land. Das war ein Musterbeispiel, wie Demokraten damit umgehen. Irgendwann werden sie halt nicht mehr gewählt, das ist ja keine Beleidigung. Die Verdienste von Helmut Kohl bleiben ja. Dass er hinterher ein bisschen Scheiß gemacht hat, ist eine andere Frage. Ist aber auch längst vergessen und verziehen. Jedenfalls, abgegangen ist er so, wie ich mir einen Kanzler wünsche.

    Ihre Freundschaft ist allerdings zerbrochen und das hat Sie persönlich womöglich die Kanzlerschaft gekostet. Bleiben Sie ein Unvollendeter?

    Schäuble: Wollen Sie wirklich sagen, jeder, der in Deutschland nicht Kanzler wird, ist unvollendet? Jetzt lassen Sie mir meinen Frieden. Ich habe viel Glück gehabt. Ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen im Schwarzwald und habe dafür ein reiches Leben geführt. Ich habe auch meinen Preis bezahlt, aber mir hat es Freude gemacht. Ich bin wirklich dankbar, dass ich das machen durfte, und deswegen lasse ich mir nicht sagen, das sei unvollendet.

    Gerade ist Ihre Partei dabei, einen neuen Anfang zu machen. Personell, aber auch inhaltlich. Wie will die CDU junge Leute wieder erreichen? Die Reaktion auf das Video des Youtubers Rezo war ja nicht so glücklich.

    Schäuble: Die Art, wie die CDU damit umgegangen ist, war ungefähr das Ungeschickteste, was man machen konnte. Wir müssen wissen, wie die Jungen ticken, was sie denken, was sie sagen. Und die Jungen erwarten von den Älteren auch Antworten. Ich finde es gut, wenn sie sich wieder stärker engagieren. Dann müssen die Politiker ihnen nicht nach dem Munde reden, aber sie müssen sagen: Wir kümmern uns. Und sie müssen dann auch handeln und nicht nur reden.

    Ein Thema, das viele junge Menschen umtreibt, ist der Umgang mit Flüchtlingen. Was sagen Sie denen?

    Schäuble: Wir können doch stolz darauf sein, wie gerade hier in München am Hauptbahnhof die Flüchtlinge empfangen wurden. Manchmal sind einem da ja die Tränen gekommen. Ich finde das bewegend und trotzdem ist damit das Problem ja nicht gelöst. Wenn wir Toleranz und Freiheit bewahren wollen, müssen wir einen Rahmen setzen, in dem wir Menschen zusammenleben.

    Als Sie noch Finanzminister waren, ging es dann auch um die Frage, wer das alles bezahlen soll. Klingt nach einem anstrengenden Job?

    Schäuble: Für Finanzminister sind die Zeiten, wenn die Kollegen glauben, Geld sei da, furchtbar. Ich habe mir dann eine andere Waffe angewöhnt: Ich habe immer grimmig geschaut. Deswegen zeichnen mich die Karikaturisten immer als einen ganz mürrischen Mann. Ich bin gar nicht mürrisch – aber es hat mir 90 Prozent aller Gespräche erspart.

    Es gibt ein berühmtes Foto von Ihnen, wie Sie auf der Regierungsbank ein Sudoku-Rätsel lösen. Ist Politik manchmal auch ein langweiliges Geschäft?

    Schäuble: Na ja, das war natürlich ein Fehler. Aber wer noch keinen Fehler gemacht hat, ist ja selber schuld. Und wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. In der Tat ist Demokratie manchmal halt auch mühsam. Wenn es nach Effizienz geht, ist die Diktatur viel einfacher. Ich möchte aber lieber in Freiheit leben. Wenn wir die Freiheit bewahren wollen und die Demokratie und die Toleranz und die Gerechtigkeit und die Rechtsstaatlichkeit, dann sollten wir uns wirklich verdammt anstrengen. Es lohnt sich, es macht auch Freude.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden