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Interview: Horst Seehofer über Extremismus: "Wir leben in einer Alarmsituation"

Interview

Horst Seehofer über Extremismus: "Wir leben in einer Alarmsituation"

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    Horst Seehofer steht seit fünf Jahrzehnten auf der politischen Bühne – nach der Bundestagswahl im September soll Schluss sein.
    Horst Seehofer steht seit fünf Jahrzehnten auf der politischen Bühne – nach der Bundestagswahl im September soll Schluss sein. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Seehofer, Sie haben eine Corona-Infektion hinter sich. Geht es Ihnen wieder gut?

    Horst Seehofer: Ja, es geht mir gut. Ich war zum Glück schon einmal geimpft und hatte vermutlich deshalb kaum Beschwerden. Aber es hat vier Wochen gedauert, bis ich nicht mehr positiv war.

    Vier Wochen Quarantäne?

    Seehofer: Ja, unter der strengen Aufsicht des Gesundheitsamtes Ingolstadt.

    Wie? Der Bundesinnenminister wird streng überwacht?

    Seehofer: Davon können Sie ausgehen – sofortige schriftliche Belehrung inklusive Strafandrohung im Falle von Verstößen gegen die Regeln und tägliche Meldepflicht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich von der Dame, die beim Gesundheitsamt für mich zuständig war, bevorzugt behandelt wurde. (lacht)

    Wo haben Sie sich angesteckt?

    Seehofer: Das weiß ich nicht. Meine Frau hatte sich testen lassen, weil sie zum Friseur wollte. Als der Test positiv ausfiel, wurde auch ich in Ingolstadt getestet. Ich bin heilfroh, dass ich niemanden angesteckt habe, auch nicht im Innenministerium in Berlin. Da hättet ihr was zu schreiben gehabt: der Bundesinnenminister als Superspreader. Das ist mir zum Glück erspart geblieben. Aber Sie wissen ja, dass ich schon einmal mit einer schweren Virusinfektion auf der Intensivstation lag. So etwas vergisst man nicht. Und deshalb waren die Ungewissheit und das Warten darauf, was das Coronavirus mit meinem Körper macht, mental sehr belastend.

    "Die Ungewissheit und das Warten darauf, was das Coronavirus mit meinem Körper macht, mental sehr belastend", sagt Horst Seehofer über seine Infektion.
    "Die Ungewissheit und das Warten darauf, was das Coronavirus mit meinem Körper macht, mental sehr belastend", sagt Horst Seehofer über seine Infektion. Foto: Ulrich Wagner

    Sie könnten schon längst im Ruhestand sein. Dann wäre Ihnen auch der Machtkampf mit Ihrem Nachfolger Markus Söder erspart geblieben.

    Seehofer: Das stimmt, zumindest parteipolitisch. Ich gehöre jetzt der siebten Regierung an. Es wäre sicher für niemanden eine Belastung gewesen, wenn ich früher aufgehört hätte. Andererseits war es im Rückblick wahrscheinlich die eleganteste Art, den schwierigen Übergang in der CSU über die Bühne zu bringen. Heute bin ich froh. Markus Söder und ich haben ein gutes und konfliktfreies Miteinander. Abgesehen davon möchte ich die Aufgabe als Bundesinnenminister nicht missen. Sie ist mit großer Verantwortung verbunden und ein guter Abschluss meiner politischen Laufbahn.

    Und jetzt hätte es Ihr Nachfolger Söder beinahe zum Kanzlerkandidaten der Union gebracht. Hat Ihnen das gefallen?

    Seehofer: Ja, hören Sie mal. Ich bin jetzt seit 50 Jahren in der CSU. Da ist man mit Herz und Seele dabei. Selbstverständlich habe ich das Interesse, dass die Union ihre erfolgreiche Politik fortsetzen kann. Markus Söder lag in den Meinungsumfragen weit vorn. Mit ihm hatte die CSU zum dritten Mal die Chance, den Kanzlerkandidaten zu stellen. Das hat mir als CSU-Mitglied gut gefallen.

    Haben Sie Armin Laschet die Hartnäckigkeit zugetraut, die er gezeigt hat?

    Seehofer: Ja. Ich kenne ihn ja schon ein bisschen länger. Er ist unglaublich standfest, ein echter Realpolitiker. Entscheidend in der Auseinandersetzung um die Kanzlerkandidatur der Union war die Standfestigkeit von Armin Laschet – und die entschiedene Haltung von Wolfgang Schäuble.

    Sie haben gefordert, die CSU müsse wieder mutiger werden. Wie meinen Sie das?

    Seehofer: Ich meine, dass wir konzeptionell stärker werden müssen. Das gilt für beide Unionsparteien. CDU und CSU müssen zu Beginn einer neuen Legislaturperiode mit Ideen für zwei oder drei große Neuerungen überzeugen. Immer, wenn uns das gelungen ist, haben wir auch die Wahl gewonnen.

    Nennen Sie doch ein paar Beispiele.

    Seehofer: Wir brauchen zum Beispiel Reformen in der Europäischen Union. Da haben wir große Schwierigkeiten mit der Handlungsfähigkeit und der Reaktionsgeschwindigkeit des politischen Systems. Wir müssen die Chance nutzen, die sich aus der neuen Politik der USA und ihrem Bekenntnis zu westlichen Werten ergeben. Angela Merkel hat den Weg aufgezeigt und klar gemacht, wie wichtig für Deutschland – und übrigens besonders für Bayern – die wirtschaftlichen Beziehungen zu China und Russland sind. Sie plädiert dafür, an der Seite der Amerikaner den Dialog zu suchen, ohne die Differenzen mit China und Russland unter den Teppich zu kehren. Oder nehmen Sie die Debatte um den Öffentlichen Dienst. Wer weniger Bürokratie will, muss weniger Paragrafen machen. Das ist Sache der Politik, nicht der Verwaltung. Und wer in der Pandemie die Schwäche der Gesundheitsämter beklagt, der muss zugeben: Die Politik hat die Gesundheitsämter krank gespart. Ich nehme, wenn ich das sage, meine Amtszeit als Ministerpräsident in Bayern nicht aus.

    Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie: "Jede Zeit hat Ihre Herausforderungen", sagt Seehofer.
    Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie: "Jede Zeit hat Ihre Herausforderungen", sagt Seehofer. Foto: Ulrich Wagner

    Das hört sich so an, als hätten Sie mehr Probleme hinterlassen als gelöst.

    Seehofer: Jede Zeit hat Ihre Herausforderungen. Es geht immer weiter. Wir hatten die Finanzkrise, wir hatten die Flüchtlingskrise und zuletzt die Corona-Pandemie. Wir hatten aber auch eine lange Phase steigender Steuereinnahmen. Dadurch wurde uns eine Reformdebatte erspart. Unsere Nachfolger werden diese Debatte aber führen müssen. Das kann hart werden. Wir müssen hoffen, dass die deutsche Wirtschaft innovativ und robust genug ist, dass es ausreichend Wachstum gibt. Gerade die kleinen Leute dürfen wir nicht weiter belasten. Wirtschafts- und steuerpolitische Kompetenz sind ebenso wie die soziale Verantwortung ein Markenkern der CSU.

    Es gibt in Ihrer Partei eine spannende Debatte. Die einen sagen, die CSU dürfe ihre Stammwähler nicht vernachlässigen. Andere sagen, dass es „den“ Stammwähler nicht mehr gibt.

    Seehofer:  Richtig ist, dass die Gesellschaft bunter und vielfältiger geworden ist und dass sich immer weniger Menschen dauerhaft an eine Partei binden. Das macht es für eine Volkspartei schwieriger. Dennoch müssen wir versuchen, diese Vielfalt abzubilden und eine Partei zu sein, die unterschiedliche Entwicklungen erträgt und zusammenführt. Das ist meine Definition von Volkspartei. Die sollten wir aufrechterhalten. Ich werde auch im Ruhestand dafür kämpfen, dass die Partei für einzelne Themen authentische Köpfe hat. Unser Potenzial liegt immer noch deutlich über 40 Prozent.

    Schafft es die CSU, tatsächlich mit der Zeit zu gehen? 

    Seehofer: Ja, nehmen Sie zum Beispiel die Haltung zur Homosexualität. Verglichen mit der Zeit meiner Kindheit und Jugend hat sich in der Partei unglaublich viel geändert. Wir haben es geschafft, Toleranz und Respekt zu entwickeln, nicht nur nach außen hin. Wir haben das auch innerlich akzeptiert.

    Dann kann Ihnen nicht gefallen, was zur Zeit in Ungarn passiert. Dort wurde ein Gesetz erlassen, das unterschiedliche sexuelle Orientierung diskriminiert.

    Seehofer: Das gefällt mir tatsächlich nicht.

    Sollte die EU den Rechtsstaatsmechanismus in Gang setzen oder Ungarn Fördergelder kürzen?

    Seehofer: Wir müssen die europäischen Werte entschlossen vertreten. Das kann auf unterschiedliche Weise passieren. Ich halte die Kürzung von EU-Fördergeldern für eine Möglichkeit, um zu zeigen, dass wir nicht tatenlos zuschauen.

    Sie galten lange Zeit als einer der letzten Freunde des ungarischen Regierungschefs Orbán in Europa. Sind Sie zum ihm auf Distanz gegangen?

    Seehofer: Mit diesem Gesetz ist Viktor Orbán zu weit gegangen. Es verletzt zentrale Werte der Europäischen Union. Das dürfen und werden wir nicht hinnehmen.

    Horst Seehofer galt lange als Freund von Viktor Orbán.
    Horst Seehofer galt lange als Freund von Viktor Orbán. Foto: Ulrich Wagner

    Halten Sie es für möglich, dass er abgewählt wird?

    Seehofer: Das kann in der Politik immer passieren. Wenn Macht nicht kontrolliert wird, durch die Opposition und die Medien, dann sucht sich die Kontrolle neue Wege. Niemand in politischer Verantwortung ist davor gefeit.

    Wir müssen auch noch über ein anderes Thema reden. Die schrecklichen Ereignisse in Würzburg erschüttern die Menschen in unserem Land. Was können Sie zu den Hintergründen sagen?

    Seehofer: Ich habe noch nicht alle Informationen. Wir haben Hinweise auf eine islamistische Gesinnung des Täters. Eine psychische Störung kommt offenbar dazu. Was mich an dem Fall am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie es sein kann, dass ein 24-jähriger Mann, der zwar kein Asyl bekommen hat, aber subsidiären Schutz als Flüchtling genießt und sich rechtskonform in Deutschland aufhält, nach sechs Jahren in unserem Land in einer Obdachlosenunterkunft lebt. Damit können wir uns doch nicht abfinden. Da müssen wir, Bund und Länder, gemeinsam überlegen, ob unsere Integrationsbemühungen verstärkt werden müssen.

    Nimmt die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus wieder zu? 

    Seehofer: Wir weisen seit vielen Monaten auf die hohe Bedrohungslage durch alle Erscheinungsformen von Extremismus und Terrorismus hin. Eine beachtliche Zahl von Medien hat das zuletzt leider überhaupt nicht interessiert. Ich will die Menschen nicht in Angst und Schrecken versetzen, aber wir dürfen die Gefahren auch nicht verharmlosen. Wir leben in einer Alarmsituation, unsere Sicherheit und unsere Demokratie werden von mehreren Seiten bedroht. Und ich warne ausdrücklich davor, die eine Gefahr gegen die andere aufzuwiegen. Die Sicherheitsbehörden hatten sich in der Vergangenheit lange auf den islamistischen Terrorismus fixiert, tatsächlich aber war der Rechtsextremismus schon in voller Blüte. Die Alarmlage ist gegeben durch Islamisten, Rechts- und Linksextremisten und auch durch die sogenannten Reichsbürger. In der Pandemie hat sich das noch verstärkt. Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre, wenn wir die eine Entwicklung durch eine andere relativieren. Wir müssen alles gleichermaßen ernst nehmen. Unsere Sicherheitsbehörden tun dies.

    Sie sprechen zuerst von Integration, nicht von Repression. Das überrascht ein bisschen bei einem Bundesinnenminister von der CSU.

    Seehofer: Wir haben die repressive Seite schon massiv ausgebaut und gestärkt. In den vergangenen Jahren wurden bei der Polizei rund 32000 Stellen zusätzlich geschaffen. Aber eine starke Ordnungskraft alleine reicht nicht aus. Wir müssen uns auch um Integration und Prävention bemühen. Eine Demokratie ist nur wehrhaft, wenn auch die Bevölkerung das zu ihrer Sache macht. Wenn ein junger Mann sechs Jahre in einem Obdachlosenheim lebt, ohne dass jemand hinschaut und sich kümmert, dann kann ich mit unserer Politik nicht zufrieden sein. Da fehlt es am Bewusstsein.

    Seehofer über Alfred Sauter: "Ich finde, er hat eine faire Chance verdient."
    Seehofer über Alfred Sauter: "Ich finde, er hat eine faire Chance verdient." Foto: Ulrich Wagner

    Bewusstsein ist ein gutes Stichwort für unser letztes Thema: Alfred Sauter. Mit seinen Masken-Geschäften ist er zur unerwünschten Person in der CSU geworden. Ist die Partei zu hart mit ihm umgegangen?

    Seehofer: Ich kenne Alfred Sauter seit 40 Jahren, und ich werfe meine Freundschaft zu ihm nicht weg, auch wenn unser Kontakt nicht mehr so intensiv ist. Wenn Vorwürfe auftauchen, dann muss das geklärt werden. Das ist Sache der unabhängigen Justiz. Ich jedenfalls habe in der Politik nie einen Menschen infrage gestellt, solange etwas nicht geklärt ist. Ich finde, er hat eine faire Chance verdient.

    Haben Sie mit ihm über die Vorgänge gesprochen?

    Seehofer: Selbstverständlich nicht. Ich bin Bundesinnenminister. Ich darf, ich will und ich werde mich da nicht einmischen.

    Bleibt noch eine brisante Frage, die viele Ihrer Parteifreunde bewegt: Werden Sie im Ruhestand ein Buch schreiben?

    Seehofer: Gut möglich. Aber mir fehlt noch ein Schreiber. Und wenn ich ein Buch schreibe, dann steht da auch die Wahrheit drin, es soll ja nicht langweilig werden (lacht).

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