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Interview: George Soros: "Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisation"

Interview

George Soros: "Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisation"

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    George Soros hat schon viele Krisen erlebt. Doch das Coronavirus hat auch seine Welt durcheinandergewirbelt.
    George Soros hat schon viele Krisen erlebt. Doch das Coronavirus hat auch seine Welt durcheinandergewirbelt. Foto: imago/China Foto Press

    Herr Soros, Sie haben als legendärer Investor so viele Krisen erlebt. Ist Corona mit irgendeiner vergleichbar?

    George Soros: Nein. Dies ist die größte Krise meines Lebens. Corona hat das Leben so vieler Menschen völlig auf den Kopf gestellt. Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisation.

    Hätten Politik und Gesellschaft sie mit besserer Vorbereitung verhindern können?

    Soros: Ansteckende Seuchen sind ja wahrlich keine neue Erscheinung. Sie waren im 19. Jahrhundert ziemlich häufig, und dann erlebten wir die Spanische Grippe am Ende des 1. Weltkriegs, die in drei Wellen verlief – mit einer zweiten Welle, die besonders viele Menschen tötete. Und dann hatten wir vor gar nicht so langer Zeit Sars oder die Schweinegrippe. Also ist schon erstaunlich, wie wenig vorbereitet unsere Regierungen waren.

    Als Investor ging es für Sie immer um Informationen. Ist das größte Problem dieser Krise die fehlende Information –dass etwa niemand genau weiß, wie lange wir mit dem Virus leben müssen?

    Soros: Natürlich ist das ein großes Problem. Wir lernen zwar ziemlich schnell dazu. Aber wir werden Zeit brauchen, um einen Impfstoff zu entwickeln. Und selbst wenn wir diesen haben, müssen wir ihn vermutlich jedes Jahr anpassen, weil sich das Virus verändern wird. Das müssen wir bei Grippeimpfstoffen auch jedes Jahr tun.

    Wir stehen vermutlich am Beginn einer historischen Rezession. Wird das unsere Sicht auf den Kapitalismus verändern? Schon seit Jahren tobt eine Debatte um die Nachteile von Globalisierung und Freihandel – in Trumps USA, aber auch im Rest der Welt.

    Soros: Wir können nicht einfach so weitermachen wie vor Corona, das kann ich Ihnen sagen. Aber ich weiß auch nicht, wie es weitergeht. Und wenn Menschen ehrlich sind: Niemand weiß es.

    Versuchen wir mal einen positiven Ausblick: Könnte diese Krise Menschen – und Nationen – enger zusammen bringen?

    Soros: Langfristig ja. Aber im Moment haben die Menschen vor allem Angst. Und wenn Menschen – oder Staaten – Angst haben, neigen sie dazu, Dinge zu tun, die ihnen selber schaden.

    Wir erleben ja schon statt Kooperation gegenseitige Vorwürfe etwa zwischen den USA und China, wer schuld sei am Ausbruch des Virus.

    Soros: Der offene Kampf zwischen den USA und China macht alles noch viel komplizierter. Diese beiden riesigen Nationen müssten eng zusammenarbeiten, um unsere Menschheitsprobleme zu lösen, den Klimawandel oder nun das Corona-virus. Aber wir streiten ja gerade schon mit den Chinesen darüber, wer einen möglichen Impfstoff als Erster einsetzen dürfte. Und man darf nicht vergessen, wie unterschiedlich unsere Regierungsformen sind. Immer noch demokratisch in den USA und…

    …autokratisch in China?

    Soros: Genau. Viele Menschen sagen, wir müssten enger mit China zusammenarbeiten. Aber ich bin dagegen. Wir müssen unsere demokratischen und offenen Gesellschaften verteidigten, so fehlerhaft diese sein mögen. Die Chinesen leben unter einem Diktator, Präsident Xi Jinping. Und viele gut ausgebildete Chinesen sind zutiefst wütend, weil die Parteiführung Corona so lange verheimlicht hat.

    Könnte das schlechte Krisenmanagement die Vorherrschaft der Partei in China schwächen?

    Soros: Als Xi Jinping sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt hat, hat er die politischen Hoffnungen vieler Politiker in seinem Land zerstört. Das war ein großer Fehler. Im Moment ist Xi einerseits sehr stark. Andererseits ist seine Stellung sehr geschwächt. Ich verfolge diesen Kampf in China mit großem Interesse, weil ich immer aufseiten der Menschen stehe, die für eine offene und freie Gesellschaft eintreten. Und ich glaube, davon gibt es auch in China sehr viele.

    Andererseits kann man US-Präsident Donald Trump nicht gerade als Vorreiter einer offenen und freien Gesellschaft bezeichnen...

    Soros: Da untertreiben Sie noch. Donald Trump wäre gerne ein Diktator. Zum Glück kann er das bislang nicht sein, weil die amerikanische Verfassung das Schlimmste verhindert. Aber Trump wird das Schlimmste immer wieder versuchen, weil er buchstäblich um sein politisches Überleben kämpft. Ich habe stets daran geglaubt, dass Trump sich eines Tages selber zerstören wird – und er übertrifft in der Hinsicht meine wildesten Erwartungen.

    Welche Rolle spielt Europa – ihre Heimat – in diesem globalen Wettstreit?

    Soros: Leider keine gute. Ich mache mir gewaltige Sorgen, ob die Europäische Union diese Krise überleben kann. Denn sie ist ja immer noch eine unfertige Union, es gibt keine wirkliche politische und ökonomische Einheit. Deswegen ist Europa jetzt so viel verwundbarer als die USA. Außerdem setzen die Europäer auf den Rechtsstaat. Und die Mühlen der Justiz mahlen sehr langsam, während ein Virus wie Corona blitzschnell agiert.

    Wollen Sie damit ernsthaft sagen, wir bräuchten weniger Rechtsstaat, um schneller Viren bekämpfen zu können?

    Soros: Natürlich nicht. Ich sage nur, dass dadurch das Krisenmanagement oft komplizierter wird. Nehmen Sie etwa das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB): Dieses Urteil ist eine politische Bombe, die die ganze EU zerfetzen könne – zumindest als eine Union, die das Recht ernst nimmt. Denn das Urteil kam nicht von irgendeinem Gericht, sondern vom Bundesverfassungsgericht, der meist respektierten Institution in Deutschland. Wir erleben einen offenen Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof: Wer hat das Sagen?

    Eigentlich geht Europarecht vor.

    Soros: Genau. Das Urteil wirft aber noch eine viel größere Frage auf: Wenn das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes offen anzweifeln kann, werden sich dann andere Länder genau das auch trauen?

    Wir sehen ja schon erste Reaktionen.

    Soros: Polen hat natürlich die Gelegenheit gleich beim Schopf gepackt und klargestellt, dass seine regierungskontrollierten Gerichte entscheiden, nicht Europa. In Ungarn hat Victor Orbán die Corona-Krise genutzt, um sich zu einer Art Diktator zu ernennen – und er erlässt Dekrete, die ganz klar das Europarecht verletzen. Wenn diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes die EU daran hindert, auf so etwas angemessen zu reagieren, ist bald von der Idee eines demokratischen und rechtsstaatlichen Europas nichts mehr übrig.

    Muss die Europäische Zentralbank ihre umstrittene Staatsanleihen-Politik nach diesem Urteil aufgeben?

    Soros: Die deutschen Richter haben der EZB drei Monate Zeit gegeben, um ihre aktuelle Politik zu rechtfertigen. Das ist machbar, wird aber die Zentralbank sehr ablenken. Und das mitten in einer historischen Krise, in der die EZB als einzige europäische Institution wirklich funktioniert – und die Mittel für einen europäischen Rettungsfonds aufbringen kann.

    Gäbe es für Europa Alternativen, um an Geld zu kommen?

    Soros: Ich habe mehrfach vorgeschlagen, dass die EU in dieser Krise eine „ewige Anleihe“ aufnehmen soll. Viele Kritiker haben meine Idee einfach beiseitegewischt, wohl auch, weil sie den Vorschlag mit „Corona-Bonds“ verwechselt haben. Zur Klarstellung: Ich lehne Corona-Bonds ab, weil gemeinsame Darlehen der Euro-Länder die EU spalten. Sie verstärken die schon bestehende Kluft zwischen Nord- und Südeuropa und sorgen für Spaltungen auch zwischen alten und neuen Mitgliedsländern der EU.

    Aber was ist der Unterschied?

    Soros: Die europäische Öffentlichkeit und ihre politische Führung sind mit dieser Art von ewigen Anleihen nicht vertraut, dabei haben sie eine lange Geschichte in Großbritannien und den USA. Sie wurden unter anderem zur Finanzierung der Kriege gegen Napoleon verwendet, für die Abschaffung der Sklaverei, die Finanzierung des Ersten Weltkrieges. Wie ihr Name schon sagt, muss die Kreditsumme einer solchen Daueranleihe nie zurückgezahlt werden; fällig werden immer nur die jährlichen Zinsen. Eine Anleihe über eine Billion Euro würde die EU bei einer Zinsrate von 0,5 Prozent fünf Milliarden Euro im Jahr kosten. Und es könnte, wenn Investoren das Instrument besser kennen, sogar besser kommen: Deutschland ist es ja auch schon gelungen, eine 30-jährige Staatsanleihe mit Negativrenditen zu verkaufen. Es wäre ein Schritt in Richtung Gemeinschaftshaftung, ja. Aber die Vorteile überwiegen die Risiken bei weitem – denn Europa braucht dringend Geld.

    In der Tat: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine Billion Euro für den Kampf gegen Corona veranschlagt – und eine weitere Billion für den Klimaschutz.

    Soros: Mit einer ewigen Anleihe ließen sich solche Beträge locker aufbringen. Leider sind Deutschland und andere Staaten wie die Niederlande strikt dagegen. Aber sie sollten wirklich noch einmal darüber nachdenken. Im Moment ist ja die Rede davon, dass Krisen-Mittel durch eine Verdopplung der Beiträge zum EU-Haushalt aufgebracht werden könnten – bloß 100 Milliarden Euro sollen so zusammen kommen. Die viel höhere ewige Anleihe käme Deutschland und die Niederlande viel billiger. Statt ihren Mitgliedsbeitrag für die EU zu verdoppeln, müssten sie sich nur an den jährlichen Zinsen von 0,5 Prozent beteiligen, im Vergleich Peanuts.

    Vor allem Italien drängt auf Hilfe.

    Soros: Die Italiener waren immer unglaublich proeuropäisch – schon weil sie ihren eigenen Regierungen nicht vertrauen konnten. Jetzt haben dort Populisten wie Matteo Salvini viel Einfluss, die aus der EU aussteigen wollen. Das liegt auch daran, dass die Italiener in der Flüchtlingskrise und nun auch in der Corona-Krise schlicht allein gelassen wurden. Aber was wäre Europa ohne Italien?

    Sie pumpen seit Jahrzehnten viele Milliarden in den Kampf für offene und freie Gesellschaften. Nun sehen Sie Trump, die Populisten überall, Brexit…Denken Sie manchmal: Habe ich gar nichts erreicht?

    Soros: Manchmal mache ich mir schon Gedanken. Da ist der Aufstieg von künstlicher Intelligenz, die Diktaturen wie China geschickt einsetzen, um ihre Macht zu sichern. Da sind „soziale Netzwerke“, deren Geschäftsmodell darauf beruht, Lügen zu verbreiten. Und da sind Krisen wie Corona und die europäische Uneinigkeit. Aber ich bin 89, und ich mache immer weiter. Solange ich noch Vorschläge machen kann wie nun die „ewigen Anleihen“, werde ich die Hoffnung nicht aufgeben.

    Sie sind seit Jahren nicht mehr als Spekulant aktiv und haben ihr Vermögen in eine Stiftung eingebracht. Aber Hand aufs Herz – juckt es den legendärsten Investor aller Zeiten in Zeiten wie diesen nicht, mal wieder an den Märkten zu spekulieren?

    Soros: Oh nein, das liegt hinter mir. Und bevor Sie mich nach Tricks fragen: Auch die habe ich alle schon enthüllt. Der wichtigste lautet: Glauben Sie nie daran, dass Märkte klug agieren. Sie sind absolut nicht perfekt, genau wie wir Menschen. Und das sehen wir auch in dieser Corona-Krise. Die Menschen schwanken täglich zwischen Verzweiflung und Hoffnung. Und genauso schwanken auch die Märkte. Die Akteure dort wissen nicht mehr als wir.

    Zur Person: George Soros, 89, ist einer der berühmtesten – und umstrittensten – Investoren und Philanthropen aller Zeiten. In Ungarn geboren, überlebte Soros als Junge den Holocaust im Untergrund und machte später in den USA ein Milliardenvermögen, etwa mit seiner Wette gegen das britische Pfund. Seit vielen Jahrzehnten unterstützt seine „Open Society Foundation“ den Kampf für freie und offene Gesellschaften im Geist von Karl Popper.

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