i
Foto: Frederic Cirou, Photoalto
Foto: Frederic Cirou, Photoalto

Nach einer Krebstherapie fühlen sich viele Menschen extrem erschöpft.

Gesundheit
31.07.2022

Erst Krebs, jetzt dauernde Erschöpfung: Ein junger Mann erzählt, was ihm hilft

Von Daniela Hungbaur

Vor zwei Jahren bekam ein 25-Jähriger Lymphdrüsenkrebs. Die Therapie war erfolgreich. Heute kämpft er mit Erschöpfungszustand. Eine Stelle in Augsburg hilft.

Lymphdrüsenkrebs im Endstadium lautete kurz vor Weihnachten 2020 seine Diagnose. Den Schock, den der heute 25-jährige David Spajic damals verarbeiten musste, kann man mit Worten gar nicht beschreiben: „Es war eine Katastrophe“, sagt er. Doch der junge Mann nahm den Kampf auf, und obwohl seine Überlebenschancen anfangs gering gewesen seien, hat er nun gute Aussichten, die bösartige Erkrankung zu bewältigen. Was ihn nach all den Behandlungsstrapazen heute stark belastet, ist sein anhaltender Erschöpfungszustand. Eine tiefe Kraftlosigkeit, die auch mit noch so viel Schlaf nicht verschwindet – Tumor-assoziierte Fatigue, kurz TF, heißt der Fachbegriff dafür.

Bayerische Krebsgesellschaft bietet Sprechstunden für Krebspatienten mit Erschöpfungssyndrom

Die Bayerische Krebsgesellschaft (BKG) nimmt das Problem seit langem ernst. Die Diplom-Psychologin Inna Schneider arbeitet in der Beratungsstelle der BKG in Augsburg, der Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten aus ganz Nordschwaben. Sie weiß nicht nur, wie viele Betroffene es gibt, die Psychologische Psychotherapeutin beobachtet auch, dass es meist schon helfe, überhaupt eine Diagnose für die Probleme zu erhalten. Bereits 2014 hat die BKG gemeinsam mit dem Institut für Tumor-Fatigue-Forschung im fränkischen Emskirchen begonnen, im Freistaat durch das Angebot von ärztlich geleiteten, kostenlosen Spezialsprechstunden eine flächendeckende Versorgung für Krebspatienten mit TF aufzubauen. Nun will man herausfinden, ob die Sprechstunde in ihrer jetzigen Form dem Bedarf der erkrankten Frauen und Männer entspricht. Daher hat man mit der Universität Regensburg eine Studie gestartet, die vom bayerischen Sozialministerium gefördert wird.

Dr. Dörthe Reitmeier ist Internistin sowie Psychologische Psychotherapeutin und bringt viel Erfahrung aus der Onkologie mit. Sie ist die ärztliche Leiterin der TF-Sprechstunde in Augsburg. Zunächst stellt sie eine exakte Diagnose. So sei es wichtig, zu prüfen, ob es wirklich eine TF ist oder nicht doch eine Depression. Denn auch an einer Depression Erkrankte spüren diese Antriebslosigkeit, den Verlust von Freude und Interesse und befinden sich in einer gedrückten Grundstimmung. Wer an einer TF leidet, weiß allerdings ganz genau, was ihm Spaß machen würde und hat Interessen, erklärt Reitmeier. Aber ihn hindere diese tiefe Kraftlosigkeit an der Umsetzung. „Viele sagen: Sie empfinden es, als würde ihnen immer wieder plötzlich ein Stecker rausgerissen.“

Und was die Ärztin auch beobachtet: Viele Krebspatientinnen und -patienten mit einer TF sind Menschen, die schon vor ihrer Erkrankung sehr leistungsbereit waren und sich sowohl in ihrer Familie als auch in ihrer Arbeitsstelle enorm engagierten. Dementsprechend hoch sei dann für sie oft der Leidensdruck, wenn sie erkennen müssen, dass nach überstandener Krebstherapie die Kräfte einfach nicht mehr wie früher vorhanden sind, sondern sie sich nicht selten schon nach dem Ankleiden am Morgen wieder jeder Energie beraubt fühlen.

Mit konkreten Strategien und radikaler Selbstakzeptanz Tumor-Fatigue bekämpfen

Die gute Nachricht: Es gibt Strategien, wie man die TF bekämpfen kann, betont Reitmeier. Oft verschwinde sie sogar ganz. Allerdings bräuchten die Betroffenen oft viel Geduld: ein paar Wochen oder Monate, nicht selten sogar ein bis zwei Jahre könne es schon dauern bis man die TF überwunden habe. Zur Bewältigung rät sie zu einer „radikalen Selbstakzeptanz“. Viele müssten beispielsweise lernen, mit ihren Kräften besser zu haushalten und Prioritäten im Leben zu setzen. Reitmeier schaut sich in der Sprechstunde immer zusammen mit dem Betroffenen seine individuelle Lebenssituation an und gibt Empfehlungen. Auch unterstützt sie die Erkrankten beispielsweise mit Stellungnahmen, etwa für eine zweite Reha.

Lesen Sie dazu auch

Wichtig ist vor allem das soziale Umfeld, hebt sie hervor. „Oft bekommen die Betroffenen das Signal: Du hast es jetzt doch geschafft, jetzt kannst Du doch wieder loslegen. Aber das erhöht nur den Druck auf die Patientinnen und Patienten, es fehlt oft einfach an Empathie für ihre Situation.“

Gedächtnisprobleme bei Tumor-Fatigue belasten auch Job und Freundschaften

Auch David Spajic erzählt, wie wichtig es für ihn ist, dass er bei seiner Familie und bei einigen guten Freunden Verständnis für seine Lage findet. „Ich empfinde es so, als würde mein Kopf sagen: Ich will raus an die Sonne, an die Luft, aber mein Körper sagt immer: Ich bin zu müde. So ist beispielsweise Sport, so gern ich ihn mache, oft eine echte Qual.“ Aber er habe einen guten Freund, der mit ihm zusammen Sport macht und Rücksicht darauf nimmt, dass er viel mehr Pausen braucht, „das hilft mir wirklich sehr“.

David Spajic hat auch die TF-Sprechstunde genutzt, sie habe ihm viel gebracht, sagt er. Denn dort habe er viele konkrete Tipps erhalten, wie er an seinen Einschränkungen arbeiten kann. So hat er in Folge seiner Erkrankung und den Behandlungen beispielsweise noch Gedächtnisprobleme, das heißt, er kann sich Dinge nicht mehr so gut merken wie früher. Deshalb trainiere er sein Gehirn ganz besonders. Auch schrillt jeden Morgen um sieben Uhr sein Wecker, obwohl er noch krankgeschrieben ist. Er zwinge sich aufzustehen, halte sich an feste Tagesstrukturen, um nicht stundenlang nur zu schlafen.

Was David Spajic so schnell wie möglich wieder tun will, ist arbeiten. Er ist gelernter Zerspanungsmechaniker. Doch schweres Arbeiten, zumal im Schichtdienst, erlaube sein Gesundheitszustand nicht mehr. „Ich habe aber das Glück, einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber zu haben, der mich unterstützen will“, erzählt er. Gerade der Job ist ihm wichtig: „Ich will wieder arbeiten“, sagt er, „ich will einfach mein Leben wieder zurück.“

Information: Wer sich für die TF-Sprechstunde interessiert, kann sich bei der Augsburger Krebsberatungsstelle der Bayerischen Krebsgesellschaft melden: Telefon 0821/ 9079190; E-Mail: KBS-Augsburg@bayerische-krebsgesellschaft.de; Internet: www.bayerische-krebsgesellschaft.de

Facebook Whatsapp Twitter Mail