Wenig ist so klischeeverkleistert wie das deutsche Italien-Bild. Rein wirtschaftlich gab es für die Dolce-far-niente-Unterstellung zuletzt zumindest immer ein Argument: Italiens notorische Wachstumsschwäche. Politisch wurde sie von den sich nicht gerade durch Kontinuität auszeichnenden Verhältnissen begleitet. Inzwischen aber hat Italien als Regierungschef Mario Draghi. Und es läuft so manches anders. Man könnte auch frei nach Wolfgang Schäuble sagen: Wachstumsschwäche „isch over“.
Renato Brunetta, Minister für öffentliche Verwaltung, sprach gerade sogar von einem „wirtschaftlichen Boom“. Auch die Ex-Chefin des Industriellenverbandes Confindustria, Emma Marcegaglia, nahm das Wort „Boom“ in den Mund, um die Lage der italienischen Wirtschaft zu beschreiben. Es war Ende September, als Ministerpräsident Draghi die bemerkenswerte Prognose verkündete. Italiens Bruttoinlandsprodukt, erklärte der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, würde 2021 um sechs Prozent wachsen. „Die wirtschaftliche Lage ist bei weitem besser, als wir noch vor fünf Monaten dachten“, so Draghi. „Es gibt wieder Vertrauen gegenüber Italien, bei den Italienern und im Rest der Welt.“
Ministerpräsident Mario Draghi setzt seit Jahren fällige Reformen um
Die Regierung sagte auch einen Anstieg der Investitionen um 15 Prozent für 2021 voraus, 2022 soll der Anstieg sechs Prozent betragen. Bis 2024 ist die Wirtschaftsprognose der Regierung günstig.
Im Pandemiejahr 2020 waren die Investitionen um 9,2 Prozent eingebrochen. Schon vor Corona befand sich Italien am Rande einer Rezession. Umso aufsehenerregender ist nun der Aufschwung, der sich mit einem Anstieg der Beschäftigung um 2,5 Prozent abzeichnet. Als Gründe machen Experten vor allem das Vertrauen in die Vielparteien-Regierung des parteilosen Finanzexperten Draghi geltend. Italien erwartet über 200 Milliarden Euro Investitionen aus dem Recovery Fund der EU, kein EU-Land bekommt mehr Unterstützung.
Strikte Corona-Regeln in Italien
Im Gegenzug verabschiedete die Regierung Reformen auf dem Gebiet der Konkurrenz-Gesetzgebung, der Justiz sowie der öffentlichen Verwaltung. Diese Veränderungen schaffen zusätzliches Vertrauen auf den Märkten. Der Aufschwung wird von einer strikten und nicht unumstrittenen Gesundheitspolitik begleitet. In Italien sind seit Oktober auch alle Arbeitnehmer verpflichtet, entweder geimpft oder negativ getestet zu sein.
Für die Region sind das gute Nachrichten, denn laut der hiesigen Industrie- und Handelskammer (IHK) hat Europas Stiefel für Bayern und Schwaben eine wichtige Rolle. Das Land gehört weltweit zu Bayerns fünf wichtigsten Handelspartnern, die Wirtschaftsräume sind eng verflochten, was besonders auf die Region zutrifft. 700 Firmen, sagt IHK-Sprecher Thomas Schörg, unterhalten aktive Geschäftsbeziehungen zu Italien. Und: „Ungefähr die Hälfte dieser Firmen ist sogar mit einer eigenen Niederlassung oder Produktionsstätte in Italien.“
Auch Haimer aus Igenhausen hat in Italien einen Standort
Eine davon ist Haimer, ein familiengeführter mittelständischer Maschinenbauer in Igenhausen bei Augsburg. Haimer ist weltweit unterwegs und hat auch einen Standort in Mailand. Claudia Haimer, geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin des Unternehmens, sagt: „Italien ist für uns der wichtigste Exportmarkt in Europa.“ Durch eine konsequente Impfpolitik und durch Subventionen für Automatisierung und Digitalisierung habe der für Italien so wichtige Maschinenbau gestärkt werden können und sei bereits wieder auf Vorkrisenniveau zurückgekehrt. Im vergangenen Oktober sei Haimer Aussteller auf der weltweit wichtigsten Werkzeugmaschinenmesse EMO in Mailand gewesen, und auch dort habe man die Investitionsfreudigkeit wahrnehmen können. Haimer sagt: „Wir werden auch weiterhin in Italien stark aktiv bleiben.“
Mit gutem Grund. Denn als diese Woche der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) die Ergebnisse einer Umfrage bei den deutschen Auslandshandelskammern, Delegationen und Repräsentanzen, den sogenannten „World Business Outlook“, präsentierte, sprach DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier von einem „Revival“ des Wirtschaftsstandortes Italien.
DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier: Unternehmen sind größtenteils optimistisch
Er erklärt das auf Nachfrage unserer Redaktion so: „Es zeigt sich dort aktuell eine kräftigere Erholung aus der Corona-Krise als im Gesamttrend und auch in der Eurozone. Das Land war besonders von Corona betroffen, entsprechend stark waren die wirtschaftlichen Einschränkungen für die Unternehmen.“ Die Auswirkungen der staatlichen Unterstützungsprogramme, aktuelle Lockerungen und die hohe Impfquote sorgten nun für gute Stimmung in der Wirtschaft. Die Unternehmen seien größtenteils optimistisch und schätzten ihre eigenen Geschäftsaussichten als gut ein. Die Folge erklärt Treier: „Entsprechend schrauben viele ihre Beschäftigungs- und Investitionsabsichten nach oben.“ Auch in Italien gebe es allerdings Risiken für den wirtschaftlichen Aufschwung: „Wie an vielen Standorten der Welt stehen dabei Lieferkettenprobleme und fehlende Waren oder Dienstleistungen ganz oben auf der Liste.“
Das größte Risiko dürfte aber entstehen, wenn Draghi irgendwann nicht mehr Premier ist.