Der Ziehvater sagt sich von der Ziehtochter los. Sigmund Freud hätte seine helle Freude daran, was gerade in der Politik in Mecklenburg-Vorpommern passiert. Das Familiendrama spielt in der SPD. Es geht um das Gas aus Russland, den Willen zum Geschäft mit Wladimir Putin, eine dubiose Stiftung und verbrannte Steuerakten. Alt-Ministerpräsident Erwin Sellering wirft seiner Nachfolgerin Manuela Schwesig vor, sich „reinwaschen“ zu wollen.
Wie ein schmieriger Ölfilm haften die Vorwürfe an der 48-Jährigen. Um jeden Preis habe sie die seit Jahren umstrittene Pipeline Nord Stream vollenden wollen, die Gas aus Russland nach Lubmin an der Ostseeküste gebracht hätte. Die Osteuropäer hatten gewarnt, dem Kreml damit die Kriegskasse zu füllen. Die Amerikaner hatten Sanktionen verhängt, um den beinahe fertigen Bau auf den letzten Metern zu stoppen.
Manuela Schwesig für Nord Stream 2: Eine Tarn-Stiftung für Gas soll dem Klima helfen
Schwesig gründete eigens eine Klimastiftung, um unter dieser Tarnung die fehlenden Röhren-Kilometer fertig bauen zu lassen. Das Geld für die Stiftung kam vom russischen Staatskonzern Gazprom. Die Stiftung agierte wie ein Makler, gab Betrieben Aufträge und kaufte ein Schiff. Alles diente dem Zweck, mehr Gas aus Russland zu beziehen. Seinerzeit war das feste Bekenntnis zu russischer Energie in ihrer SPD und in der deutschen Industrie unumstritten, die CDU hatte Zweifel, trug es aber mit, dass sich Deutschland in die ökonomische Abhängigkeit des Kreml begab.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist das anders. Entsetzt blickten die Mächtigen auf die eigene Naivität, die ihnen von aller Welt vorgeworfen wurde. Doch das große Aufräumen blieb aus. Die ewige Kanzlerin Angela Merkel war in den Ruhestand gegangen, SPD-Politiker wie Frank-Walter Steinmeier sprachen davon, dass wir alle getäuscht worden wären und machten weiter. Genau wie Manuela Schwesig. Sie sprach im Landtag von einem Fehler, „den auch ich gemacht habe“. Auch heißt, dass ihn auch andere gemacht haben und er deshalb verzeihlich ist. Es sah so aus, als könne sie den Skandal aussitzen, wie es Helmut Kohl einst gemacht hatte. Sie kam gut durch damit.
Mitte Januar eröffnete sie mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) das neue Flüssiggasterminal in eben jenem Lubmin, wo das Gas aus Russland hätte anlanden sollen. Beide trugen bei dem Kameratermin neon-gelbe Jacken, die sonst die Arbeiter vor Wind und Kälte schützen. Gemeinsam mit Scholz drehte sie symbolisch den Hahn auf für das dringend benötigte Ersatzgas. „Wir freuen uns, dass wir heute einen weiteren Schritt machen zur Energiesicherheit in Deutschland", sagte sie bei der Einweihung. Der Makel der Russland-Treue klebte an ihr, aber die Rücktrittsforderungen waren verstummt.
Steuerunterlagen von angeblicher Klimastiftung verbrannt - Schwesig unter Druck
Schwesigs SPD steht trotz des Skandals mit Abstand weiter auf Platz Eins in den Umfragen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Ministerpräsidentin hatte die Politik in dem Bundesland unangefochten dominiert. Bei der Landtagswahl 2021 holte sie 40 Prozent. Schwesig war „die Frau für MV“, wie sie im Wahlkampf getitelt hatte. Von ihrer großen Beliebtheit profitiert sie noch heute, in der Landespolitik kann sie niemand ernsthaft herausfordern. Hinzu kommt, dass sich mehr Ostdeutsche als Westdeutsche selbst nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine ein gutes Auskommen mit Moskau wünschen.
Doch Ende Februar wurde Schwesig aus der brüchigen Ruhe gerissen. Ans Licht gekommen war durch die Enthüllungen des Magazins Cicero, dass eine Finanzbeamtin Steuerunterlagen der Umweltstiftung verbrannt hatte. Es ging um 10 Millionen Euro, die die Stiftung als Schenkungssteuer auf eine Zuwendung des russischen Energieriesen Gazprom hätte zahlen sollen. Dann hätte aber weniger Geld für Klimaschutzprojekte zur Verfügung gestanden, die Schwesig als Deckmantel für ihr Engagement brauchte. Auf der Finanzbeamtin lastete also ein erheblicher Druck.
Seitdem die Kaminaffäre aufgedeckt wurde, wächst auch der Druck auf die Ministerpräsidentin wieder. CDU-Politiker fordern jetzt in kurzer Folge ihren Rücktritt. Vor wenigen Tagen kam dann auch noch heraus, dass Schwesig den früheren Stasi-Mann und Putin-Freund Matthias Warnig siebenmal getroffen hatte. Warnig war jahrelang Chef der Nord Stream 2 AG und trieb die Pipeline gemeinsam mit Altkanzler Gerhard Schröder (auch SPD) voran. Zu Schröders treuen Genossen zählte auch Sellering, der sich vor den Karren der Tarn-Stiftung spannen ließ. Nun will er nicht mehr. Der einstige Förderer kappt die Beziehung zu Schwesig und wirft ihr vor, die bestimmende Kraft hinter dem Konstrukt gewesen zu sein.
„Sie hat auch wichtige Absprachen persönlich getroffen“, sagte er der Bild-Zeitung. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass die zum Verbergen gegründete Stiftung nun nicht verschwinden will. Sellering und zwei Mit-Vorstände sind von ihren Posten zurückgetreten. Schwesig hatte die Auflösung der Stiftung gefordert, aber das kann nur ein neuer Vorstand beschließen. Sellering ist sogar davon überzeugt, dass die Einrichtung gar nicht aufgelöst werden könne. Seine einstige Vertraute Schwesig steht nun allein da mit der Ruine, die ihre fatale Russland-Treue symbolisiert.