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Kommentar: Europa findet beim EU-Gipfel zu alter Geschlossenheit zurück

Kommentar

Europa findet beim EU-Gipfel zu alter Geschlossenheit zurück

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    Bundeskanzlerin Angela Merkel  bei ihrer Ankunft im Gebäude des Europäischen Rates.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft im Gebäude des Europäischen Rates. Foto: John Thys, dpa

    Die Ergebnisse dieses EU-Gipfels mögen unvollständig, umstritten und sogar oberflächlich sein. Ein Erfolg war er trotzdem. Denn es ist der deutschen Ratspräsidentschaft gelungen, die wohl strittigsten Fragen, die die Gemeinschaft überhaupt haben kann, zu lösen.

    Der Haushalt steht. Der Aufbaufonds kann kommen, auch wenn die Parlamente der Mitgliedstaaten noch die diversen Gegenfinanzierungen durch eine Plastik-, Finanztransaktions- und Digitalsteuer sowie einen erweiterten Emissionshandel beschließen müssen. Und das wird kein Spaziergang.

    Vor allem östliche Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn haben in den vergangenen Jahren Konflikte geschürt

    Es ist noch viel Feinarbeit zu leisten – übrigens auch für den Rechtsstaatsmechanismus und sein Strafsystem für demokratiefeindliche Politik. Doch der eigentliche Erfolg dieses Gipfels liegt an anderer Stelle und er macht den in diesen Brüsseler Tagen oft gehörten Satz, Angela Merkel habe der Gemeinschaft auf Jahre hinaus ihren Stempel aufgedrückt, zu einem Statement.

    In den vergangenen Jahren haben vor allem die widerspenstigen Regierungen im Osten der Union Konflikte vergrößert, indem sie Ressentiments gegen den Westen schürten. Der Höhepunkt war zweifellos das Veto gegen das Finanzpaket der EU, mit dem man sich gegen den neuen Rechtsstaatsmechanismus zu wehren versuchte – am Ende allerdings beispiellos unterlag. Dass es zu diesem Umfaller kam, ist tatsächlich ein Verdienst der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.

    Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, dehnt sich nach einer nächtlichen Verhandlungssitzung beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs.
    Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, dehnt sich nach einer nächtlichen Verhandlungssitzung beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs. Foto: Olivier Hoslet, dpa

    Polen und Ungarn haben über Jahre hinweg jeden Widerstand gegen ihre Rechtsstaatsdemontage als Überheblichkeit des liberalen Westens hingestellt und das Bild einer Quasi-Diktatur Brüssels wie einst durch Moskau entstehen lassen.

    Die EU-Staaten haben in der Pandemie zu ihrer Geschlossenheit zurückgefunden

    Die beiden Länder hielten zusammen, der Rest aber scherte schnell auf die Linie der übrigen EU-Mitglieder ein – auch wenn es dabei vorrangig um Geld ging. Warschau und Budapest das Argument zu nehmen, der Westen betreibe eine Art Kulturkampf gegen die wahren Werte im Osten, hat neue Bewegung in die Union gebracht.

    Die neue Einigkeit zeigte sich auch bei anderen Themen. Die EU-Staaten haben in der Pandemie zu ihrer Geschlossenheit zurückgefunden. Sie überließen Großbritannien den Erfolg, als Erste mit den Impfungen gegen das Coronavirus begonnen zu haben, weil sie die nationalen Regierungsinstitute wie das deutsche RKI an den Prüfungen der Vakzine beteiligen wollten.

    Und sie haben sich nun darauf verständigt, in allen 27 Mitgliedstaaten am gleichen Tag mit den Schutzimpfungen zu beginnen. Keiner soll der Erste oder der Letzte sein müssen. Das mag eine medizinische Aussage sein, aber es bleibt eben auch ein starkes politisches Symbol.

    Die Lastenteilung der CO2-Reduzierung um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 darf unterschiedlich sein, muss aber fair bleiben

    Umso wichtiger wird es in den nächsten Monaten sein, die Beschlüsse in die Details zu übersetzen. Die Vergabekriterien für den Aufbaufonds müssen klar und transparent sein, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, die Gelder würden für andere nationale Interessen zweckentfremdet.

    Der Gipfel macht den in diesen Brüsseler Tagen oft gehörten Satz, Angela Merkel habe der Gemeinschaft auf Jahre hinaus ihren Stempel aufgedrückt, zu einem Statement.
    Der Gipfel macht den in diesen Brüsseler Tagen oft gehörten Satz, Angela Merkel habe der Gemeinschaft auf Jahre hinaus ihren Stempel aufgedrückt, zu einem Statement. Foto: Olivier Matthys, dpa

    Die Lastenteilung der CO2-Reduzierung um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 darf unterschiedlich sein, muss aber fair bleiben. Wenn sich der Eindruck verfestigen sollte, dass die starken Länder nicht nur alles zahlen, sondern auch den Löwenanteil der Einsparungen schultern sollen, während andere nur kleine Beiträge zum Abbau der Treibhausgase leisten, die sie sich auch noch aus der Gemeinschaftskasse finanzieren lassen, wird es zu neuem Streit kommen.

    Die EU hat nach einem beispiellosen Krisenjahr einen starken Akzent gesetzt, den sie in den kommenden Monaten ausbauen, festigen und vertiefen muss. Nichts wäre schlimmer, als wenn sich die großen Versprechungen am Ende als Worthülsen herausstellen würden.

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