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Jahresrückblick: Bewegte Karrieren: Diese Menschen prägten das Politik-Jahr 2021

Jahresrückblick

Bewegte Karrieren: Diese Menschen prägten das Politik-Jahr 2021

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    Ämterwechsel, neue Koalition, Auf- und Abstieg: Die Politik im Jahr 2021.
    Ämterwechsel, neue Koalition, Auf- und Abstieg: Die Politik im Jahr 2021. Foto: dpa/AZ

    Sebastian Kurz und Mario Draghi – überraschende Entwicklungen in gegensätzliche Richtungen

    Hätten wir im Februar darauf wetten müssen, ob am Ende dieses Jahres eher Mario Draghi oder Sebastian Kurz noch im Amt ist, die Sache wäre ziemlich eindeutig ausgegangen: Auf der einen Seite der neue italienische Premierminister, in dessen Land Regierungschefs häufiger ausgetauscht werden als Fußballtrainer im Abstiegskampf. Auf der anderen der immer noch junge Bundeskanzler, dem nicht nur seine eigenen Anhänger eine lange Ära prophezeit hatten.

    Doch das an Überraschungen nicht gerade arme Jahr hat uns auch hier eines Besseren belehrt. Oder aus Sicht der Kurz-Ultras, die es ja auch in der deutschen Politik gab, eher eines Schlechteren. Die konservative ÖVP hatte sich dem smarten Star an der Spitze förmlich unterworfen. Selbst seinen peinlich gescheiterter Versuch, die rechtspopulistische FPÖ in einer gemeinsamen Regierung zu zähmen (Ibiza!), verzieh man ihm. Denn er stand für Erfolg. Heute stehen er und seine „Buberlpartie“ für ein schmieriges System, das von Anfang an nur ein Ziel verfolgte: Sebastian Kurz mit allen Mitteln zur Macht zu verhelfen. Korruptionsermittlungen und dramatische sinkende Beliebtheitswerte zwangen den Kanzler erst zum Rücktritt und dann zum (vorläufigen) Abschied aus der Politik.

    In Italien gehören solcherlei Eskapaden spätestens seit Silvio Berlusconi zur Folklore. Umso erstaunlicher, dass es Mario Draghi gelungen ist, sein Land mit merkelhafter Gelassenheit und klarem Kurs durch dieses dramatische Jahr zu steuern. „Sachen werden gemacht, weil sie gemacht werden müssen“, sagt er lapidar. Und während die Österreicher kaum noch nachkommen, wer gerade Kanzler ist, wirkt Italien plötzlich wie ein Hort der Stabilität. Ob das so bleibt? Wir würden eher nicht darauf wetten.

    Der neue und der alte Gesundheitsminister: Karl Lauterbach (SPD) und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU).
    Der neue und der alte Gesundheitsminister: Karl Lauterbach (SPD) und sein Vorgänger Jens Spahn (CDU). Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa - Kay Nietfeld, dpa

    Karl Lauterbach und Jens Spahn - Wirbler und Gewirbelte im Corona-Sturm

    Politiker wie Karl Lauterbach und Jens Spahn wissen, dass es in ihrer Branche auf und ab geht. Mit einem Schuss in unglaubliche Höhen und ebenso schnellen Absturz in unangenehme Tiefen, ganz Achterbahn eben. Tatsächlich hat manche Politgröße Vergnügen daran, sich als Krisenmanager zu beweisen. Spahn hatte es in der Pandemie zur Genüge. Mal zählte er zu den beliebtesten Politikern des Landes. Mal zu den größten Buhmännern. Das Timing geriet ihm dabei nie zum Glück. Immer als die CDU gerade einen Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten suchte, stand der 41 Jahre alte Münsterländer nicht im Sonnenschein des Erfolgs, sondern im Schatten der Pandemie.

    Die Wellen der Virusverbreitung trafen Spahn mit voller Wucht. Zwar formulierte er für das große Geschichtsbuch der Politik den schönen Satz: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Doch diese Salvatorische Klausel, die jeden Juristen vor Neid erblassen lassen muss, half dem Bankkaufmann aus Ahaus nicht: Zum Ende des Jahres ist die Zukunft des CDU-Nachwuchstalents offen.

    Karl Lauterbach spülte die vierte Pandemiewelle dagegen mit perfektem Timing voller Glück doch noch in das Amt, von dem er Jahrzehnte träumte: Das Bundesgesundheitsministerium. Im Sommer ungeliebter Dauerwarner, im Pandemie-Winter vertrauenserweckender Epidemie-Bekämpfer mit geduldigem Erklärtalent. Corona machte vergessen, dass der Professor Doktor Doktor nicht nur leidenschaftlicher Epidemiologe ist, sondern vor allem ein einflussreicher kühler Gesundheitsökonom. Der 58-Jährige ist seit einem Vierteljahrhundert einer der Architekten jenes Gesundheitsfinanzierungssystems, das heute an Kliniken medizinisches und Pflegepersonal fast verzweifeln lässt.

    Bärbel Bas und Wolfgang Schäuble – ein Amtswechsel mit hartem Kontrast

    Viel gemein haben Wolfgang Schäuble und Bärbel Bas weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick. Nicht politisch, nicht im Auftritt. Bis auf eines: Schäuble war Bundestagspräsident – Bas wird nach Annemarie Renger (1974 bis 1978) und Rita Süssmuth (1988 bis 1998) dritte Präsidentin des Parlaments. Kaum zu glauben: Als die resolute SPD-Politikerin Renger das Amt übernahm, saß Schäuble bereits seit zwei Jahren im Bundestag. Der Baden-Württemberger war in den letzten knapp 50 Jahren überall dabei: Er war einer der Architekten der Einheit, er galt als Kronprinz des Dauerkanzlers Helmut Kohl bevor ihm seine Rolle in der CDU-Spendenaffäre den Weg ins Kanzleramt verbaute. Später sollte er Bundespräsident werden, aber Angela Merkel wollte das nicht. Zuletzt gab es in der CSU Vorwürfe, seine Unterstützung von Armin Laschet habe der Union das Kanzleramt gekostet.

    Bärbel Bas, so heißt es, kam nicht nur aus rein fachlichen Aspekten jetzt zum Zuge. Die Partei habe es sich nicht leisten können, dass neben Olaf Scholz als Kanzler und Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident auch noch ein SPD-Mann zum Bundestagspräsidenten wird. Bas zeigte sich jedoch von solchen Spekulationen unbeeindruckt und startete selbstbewusst und gelassen in das Amt. Eigenschaften, die schon Schäuble gut brauchen konnte, um der seit dem Einzug der AfD im Parlament angespannten, ja oft aggressiven Stimmung zu begegnen. Für die Duisburgerin Bas muss es kein Nachteil sein, dass sie bisher einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb von NRW kaum bekannt war. Als Gesundheitsexpertin hatte sie es schwer, an dem jetzigen Gesundheitsminister Karl Lauterbach vorbei eigene Akzente zu setzen. Das allerdings soll schon vielen anderen Politikern passiert sein.

    Christian Lindner und Robert Habeck – Inszenierer auf ihrem Weg zur Macht

    Sie lieferten ohne Zweifel den politischen Coup des Jahres: Noch während sich Union und SPD balgten, wer der wahre Gewinner dieser Bundestagswahl sein sollte, schmiedeten Robert Habeck und Christian Lindner einen Pakt, der selbst den pragmatischsten Politbeobachtern noch wenige Monate vorher nur ein müdes Lächeln entlockt hätte. Ausgerechnet FDP und Grüne wurden zum Kanzlermacher. Nicht sie warteten, bis sie zu Koalitionsgesprächen eingeladen wurden – sie luden selbst ein. Olaf Scholz mag mit hanseatischer Zurückhaltung auftreten, Habeck und Lindner hingegen lassen keinen Zweifel: Hier geht es um Macht. Und genau die wollen sie.

    Die beiden wichtigsten Architekten der Ampel-Regierung verbindet mehr, als ihnen selbst wohl lieb ist. Sie sind geschmeidige Inszenierer ihrer selbst, begabte Rhetoriker, die einen neuen Stil in die Politik bringen wollen. In den Koalitionsgesprächen haben sie der SPD deutlich signalisiert, dass das Prinzip der Augenhöhe für sie ein wesentliches ist.

    Und noch etwas verbindet sie: Sie kennen das Gefühl der eigenen Wiederauferstehung. Lindner hat seine Partei aus der außerparlamentarischen Opposition in die Regierung – und sich selbst ins Finanzministerium – geführt. Habeck kann die Wunde, die ihm Annalena Baerbocks Kanzlerkandidatur geschlagen hat, mit der Gewissheit streicheln, dass er Vizekanzler und Superminister ist.

    Doch vielleicht, gerade weil sie sich in vielem ähnlich sind, dürfte es zwischen Habeck und Lindner in der Ampel-Regierung am ehesten krachen: Die Kluft zwischen ihren politischen Prinzipien könnte – allem Pragmatismus zum Trotz – größer nicht sein. Die erste koalitionsinterne Klimakrise wird nur eine Frage der Zeit bleiben.

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