Das Teatro Ariston in Sanremo ist eigentlich ein unpolitischer Ort. Das traditionelle italienische Schlagerfestival in Ligurien soll vor allem gute Laune machen. Wären da nicht die jüngsten Exzesse gewesen. Bei der Ausgabe im vergangenen Jahr stand der Mailänder Rapper Fedez auf der Bühne und zerriss das Bild eines Politikers aus der Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Galeazzo Bignami, stellvertretender Minister für Verkehr, hatte einst im Nazi-Kostüm posiert. Dieses Jahr geht es in Sanremo weniger drastisch zu. Politik spielt gar keine Rolle mehr. Die Vorjahresausgabe markierte einen Wendepunkt in der Medienpolitik der Regierung.
Nun könnte man der seit Herbst 2022 amtierenden Ministerpräsidentin vorhalten, das Ende der Pluralität im staatlichen Rundfunk zu forcieren. In der vergangenen Woche protestierte auch die Oppositionspartei Partito Democratico gegen „Tele-Meloni“, damit ist das auf Regierungskurs zugeschnittene Programm-Monopol gemeint. Man vergisst dabei allerdings, dass Regierungswechsel in Italien immer drastische Personalwechsel im öffentlichen Rundfunk zur Folge hatten. Melonis Verhalten ist an sich nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass jetzt eine rechtsnationale Regierungschefin mit politischen Wurzeln im Neofaschismus diese Eingriffe vornimmt.
Es gibt auch sehr kritische Stimmen aus den Medien gegen die Regierung
Ist Italien auf dem Weg zur Gleichschaltung der Medien wie etwa im Ungarn Viktor Orbáns? Soweit ist es längst nicht. Nominell hat die Rechte zwar mit der Kontrolle der Rai und den Berlusconi-Sendern ein Meinungsmonopol. Doch es gibt auch sehr laute kritische Stimmen. La Repubblica, inzwischen vom Exor-Konzern der Turiner Unternehmerfamilie Agnelli kontrolliert, fährt regelrechte Kampagnen gegen die Regierung. Meloni bekommt durchaus publizistischen Gegenwind. Auf der anderen Seite führen die Blätter des Pharmaunternehmers Antonio Angelucci die Gegen-Fehde, auch hier erklärtermaßen parteiisch. Angelucci ist Abgeordneter des Meloni-Koalitionspartners Lega und lässt seine Zeitungen Libero, Il Tempo und Il Giornale schwere Geschütze gegen Melonis Kritiker auffahren.
Eines der beliebtesten Ziele Angeluccis ist Bestsellerautor Roberto Saviano („Gomorra“), der in mehreren Gerichtsverfahren gegen Meloni, Lega-Chef Salvini und Kulturminister Sangiuliano steckt. Saviano hatte Meloni und Salvini wegen ihrer Flüchtlingspolitik als „Bastarde“ bezeichnet. Eine bereits mit Saviano geplante und angekündigte Anti-Mafia-Sendung in der Rai wurde vom neuen Generaldirektor abgesetzt. Man konnte darin durchaus ein politisches Statement erkennen, weniger gegen Mafia-Aufklärung als gegen Saviano persönlich. Der dezidiert linke Autor fühlt sich in einem persönlichen Kampf gegen die italienische Rechte. „Was gerade in Italien passiert, ist praktisch dasselbe wie in Ungarn“, behauptet Saviano im Gespräch mit dieser Redaktion.
Meloni Wahlspruch "Gott, Vaterland, Familie" geht auf Orbán zurück
Dass sich Meloni eine Entwicklung, wie sie Orbán in Ungarn voranzubringen versucht, eines Tages auch für Italien wünscht, ist nicht auszuschließen. Melonis Wahlspruch, „Gott, Vaterland, Familie“, hat Orbán in die ungarische Verfassung schreiben lassen. So weit wie in Ungarn ist die Regierung in Rom in ihrem illiberalen Streben allerdings noch lange nicht. Auch Eingriffe in die Rechte der Opposition wie in Ungarn gibt es nicht. Meloni ist allerdings auch erst eineinhalb Jahre im Amt.
Zu beobachten ist im Staatsfernsehen ein neuer Ton. Berichtet wird nun etwa weniger kritisch über Neonazis. Manchmal verschwimmen die Grenzen. Gegen Rai-Programmdirektor Paolo Corsini wird intern ermittelt, weil er als Rai-Funktionär bei einer Meloni-Veranstaltung aus seiner Unterstützung der Regierungspartei Fratelli d'Italia keinen Hehl machte. Unter Meloni wird nun die tatsächlich existierende „kulturelle Hegemonie“ der Linken in Kultur und Medien hinterfragt. Die Regierung versucht vor allem durch Personalpolitik Boden gutzumachen.
Die Ministerpräsidentin hat es auch auf die staatlichen Strukturen abgesehen
Doch Meloni hat es auch auf die staatliche Struktur abgesehen. Immer mehr in den Fokus rückt eine vom Kabinett bereits verabschiedete und nun im Parlament diskutierte Verfassungsreform. Meloni nennt sie die „Mutter aller Reformen“. Als Ziel gibt sie aus, Italiens politisches System effektiver zu machen. Die Experten streiten sich, ob die Reform einen solchen Effekt haben wird. Kernelement ist eine Direktwahl des Ministerpräsidenten, der nicht mehr, wie bisher, vom Staatspräsidenten ernannt werden müsste. Bislang ist der Staatspräsident in Italien eine Art Schiedsrichter, der bei Krisen oder Regierungswechseln die Fäden in der Hand behält und in Krisensituationen technokratische Übergangsregierungen einsetzen kann.
Für Meloni hingegen kamen die Regierungen unter Mario Monti oder Mario Draghi aus Berlin und Brüssel gesteuerten Staatsstreichen gleich. Der Volkswille sei ignoriert worden. Deshalb sollen die Befugnisse des Staatspräsidenten beschränkt und die Macht des Ministerpräsidenten gestärkt werden. Schlittert Italien durch diese Reform in eine illiberale Autokratie? Die Umsetzung der Reform dürfte noch Jahre dauern, da das Gesetz zweimal von beiden Parlamentskammern gewählt und, wenn keine absolute Mehrheit erreicht wird, abschließend durch ein Referendum abgesegnet werden muss.
Ob die Reform eine Gefahr für die Demokratie in Italien darstelle, wurde der angesehene Sozialdemokrat, Jurist und ehemalige Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, Luciano Violante, gefragt. Er wäre sehr vorsichtig mit solchen Alarmismen. „Denn wenn die Demokratie wirklich einmal in Gefahr sein sollte, laufen wir Gefahr, es zu spät zu bemerken.“