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Interview : „Während der Kanzlerschaft von Frau Merkel ist im Osten viel Vertrauen verloren gegangen“

Interview

„Während der Kanzlerschaft von Frau Merkel ist im Osten viel Vertrauen verloren gegangen“

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    Ex-CDU-Generalsekretär und Buchautor Mario Czaja.
    Ex-CDU-Generalsekretär und Buchautor Mario Czaja. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Czaja, der Titel ihres Buches lautet „Wie der Osten Deutschland rettet“. In der Einleitung geht es dann zunächst darum, wie CDU-Chef Friedrich Merz Sie von ihrem Posten als CDU-Generalsekretär entbindet. Was hat diese Abrechnung mit dem Osten zu tun?
    MARIO CZAJA: Bereits nach meinem gewonnenen Direktmandat im Bundestagswahlkreis Marzahn-Hellersdorf im Herbst 2021 hatte ich die Absicht, über die besonderen Erfahrungen zu schreiben, die wir aus dem Osten in ganz Deutschland einbringen können. Als ich dann Generalsekretär wurde, habe ich das Projekt erst einmal zu den Akten gelegt. Mit dem Ende dieser Aufgabe bot sich nun wieder diese Möglichkeit. Diese Beweggründe habe ich in der Einleitung beschrieben. Für eine Abrechnung gab und gibt es keinen Grund. Für mich waren es in erster Linie intensive und auch durchaus lehrreiche 20 Monate an der Spitze der CDU Deutschlands und an der Seite von Friedrich Merz. Diese Erfahrungen habe ich in das Buch natürlich einfließen lassen.

    Sie nennen Michael Kretschmer, Rainer Haseloff und Manuela Schwesig als Beispiele für Persönlichkeiten, denen man im Osten zuhört. Aber auch denen gelingt es nicht, das Ruder herumreißen. Stattdessen hören viele Menschen auf Björn Höcke von der AfD. Warum?
    CZAJA: Im Zuge der Wiedervereinigung kam es im Osten des Landes zu einem weitreichenden Austausch der Führungseliten. Nicht nur in der Politik, sondern in allen Gesellschaftsbereichen. Das unterscheidet sich ganz maßgeblich im Vergleich zu Polen, Tschechien oder Ungarn. Nur magere 1,7 Prozent der Spitzenpositionen aller Bereiche von der Politik über die Wirtschaft, die Kultur, die Justiz bis zur Verwaltung haben heute Ostdeutsche inne. Das Versprechen zu Beginn der 1990er Jahre, es wird sich in der nächsten Generation schon wieder angleichen, war ein Trugschluss.

    Aber was hat das mit der AfD zu tun?
    CZAJA: Es gibt im Osten und aus dem Osten zu wenig Vorbilder, vertrauenswürdige Führungspersönlichkeiten, die den Menschen Halt und Sicherheit geben. Das beziehe ich nicht nur auf die Politik, dazu gehören auch der Direktor oder die örtliche Direktorin der Sparkasse, des Amtsgerichts oder des regionalen Medienhauses. Außerdem haben die Menschen im Osten die Erfahrung gemacht, dass sie die Veränderungen im Land nicht selbstbestimmt begleiten können. Dieser Verlust an Selbstwirksamkeit, gepaart mit zu wenig Vorbildern und Fürsprechern, ist leider ein Nährboden für die Ansprache von denen, die mit vermeintlich simplen Lösungen glauben, komplizierte Dinge angehen zu können. Den beiden Westdeutschen Höcke oder auch Maaßen gelingt es, dieses Vertrauens-Vakuum rein populistisch zu füllen.

    Also hat die etablierte Politik im Osten versagt?
    CZAJA: Ganz offensichtlich sehen es viele Menschen so. Meine Botschaft ist daher: Politik muss immer mit allen den Dialog suchen, auch und gerade mit den Enttäuschten. Zweitens brauchen wir mehr Ostdeutsche in Führungsfunktionen, in den Bundesministerien, aber auch in den Ländern. Deswegen spreche ich mich auch klar für eine Quote aus. Drittens ist elementar wichtig, dass die Ostdeutschen ihre Dinge selbst in die Hand nehmen und der Osten nicht nur als der Ort dargestellt wird, wo die Enttäuschten, Zurückgebliebenen und Resignierten wohnen. Es gibt dafür viele positive Beispiele, die wir selbstbewusst zeigen können

    Hätte die CDU und vor allem die im Osten geborene Kanzlerin Angela Merkel früher auf diese Entwicklung reagieren müssen?
    CZAJA: Die CDU hat nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle für das Zusammenwachsen gespielt. Es gab viele maßgebliche Köpfe, ich denke da zum Beispiel an Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel oder auch Lothar Späth und den Aufbau bei Jenoptik. Danach ist der CDU der Osten zunehmend abhandengekommen und weggeredet worden. Ich beschreibe in meinem Buch, dass in den westdeutsch dominierten Gremien der CDU Deutschlands immer schnell eine Antwort darauf gegeben wird, wie eine Regierungsbildung in einem ostdeutschen Bundesland aussehen soll. Da ist sich der Bundesvorstand immer relativ schnell einig gewesen. Solch einen Vorschlag von außen würden sich Baden-Württemberg oder Hessen zu Recht verbitten. Während der Kanzlerschaft von Frau Merkel ist im Osten vor allem durch die Flüchtlingspolitik viel Vertrauen verloren gegangen. Und obwohl unmittelbar danach meine Partei die Fehler dieser Zeit korrigiert hat, ist das Vertrauen nicht zurück.

    Wie kam dieser Bruch zustande?
    CZAJA: Ich denke, dass die CDU im Osten zu wenig auf eigene politische Souveränität gepocht hat. Es gab eine immer stärkere westdeutsche Umklammerung, sie führte unter anderem dazu, dass man in Thüringen eben nicht mit der Linken unter Bodo Ramelow zusammengegangen ist. Es muss ja nicht gleich eine Koalition sein, aber es hätte ein Kabinett der Köpfe sein können. Ein Vertrag, in dem es um die wesentlichen gemeinsamen Inhalte für das Bundesland Thüringen geht. Mein Plädoyer an die ostdeutsche CDU ist deshalb, diese eigene politische Souveränität einzufordern, sich zu erklären und sich in der Umklammerung nicht auch noch selbst zu beweinen.

    Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei, nicht aber mit dem BSW von Sahra Wagenknecht.
    CZAJA: Es ist ja fast absurd, dass es diesen Beschluss gibt und man mit der pragmatischen Linken nicht zusammenarbeiten will. Die Wahrheit ist doch, dass die Linke in Ostdeutschland in großen Teilen eine konservative Sozialdemokratie ostdeutscher Prägung ist. Gleichzeitig ist die Haltung bei der ehemaligen Anführerin der Kommunistischen Plattform, nämlich Sahra Wagenknecht: Da sagen wir jetzt mal lieber nichts dazu. Die CDU hat sich mit der unsachgemäßen Interpretation der Hufeisentheorie in eine Sackgasse begeben. Da müssen wir heraus. Denn wer die Linkspartei mit der AfD gleichsetzt, verharmlost deren menschenverachtendes Denken und die Ideologie bei der AfD. Dahinter steckt eine Partei, die flächendeckend, ausgehend von Thüringen, vom Verfassungsschutz überwacht wird. Das gleichzusetzen mit einer Linkspartei unter Bodo Ramelow, der Bundesratspräsident war, geht nicht. Bodo Ramelow ist sicher keine Gefahr für die Demokratie. Björn Höcke ist es schon.

    Vor dem nächsten CDU-Parteitag könnte man den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei aber gar nicht mehr ändern, oder?
    CZAJA: Wir haben viele Formen der Mitsprache und Entscheidungsfindung gefunden, auch in den anderthalb Jahren, in denen ich Generalsekretär war. Wenn der Wille besteht, sich von falschen Beschlüssen zu verabschieden, dann gibt es auch dafür Möglichkeiten. Da müssen wir nicht auf einen Parteitag warten.

    Wäre ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW sinnvoll?
    CZAJA: Das BSW ist eine sehr autokratische Partei. Das Führungspersonal wird allem Anschein nach handverlesen von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht in Saarbrücken ausgesucht. Die Partei hat ein paar Eckpunkte, aber kein Programm. Wir wissen gar nicht, was das BSW ist, außer dass vorn die quasi selbsternannte Marketingikone Sahra Wagenknecht steht, die im Hintergrund von Oskar Lafontaine dirigiert wird. Das heißt, diese Frage kann man heute noch gar nicht beantworten.

    Die CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und auch Friedrich Merz wollten die AfD halbieren. Das aber wird wohl nichts mehr?
    CZAJA: Ich beschreibe in meinem Buch, dass sich ein stetig wachsender Teil der Gesellschaft im Osten von der Parteiendemokratie enttäuscht gezeigt hat, nicht mehr zur Wahl gegangen ist und jetzt in der AfD und auch im BSW ein Ventil für ihre politische Auffassung sieht. Dieses Potenzial hat es schon länger gegeben. Es ist nur früher nicht zur Wahl gegangen und wird jetzt von diesen beiden Parteien mobilisiert. Zu dieser Mobilisierung trägt vor allem die Bundesregierung bei. Wenn man sich die letzten Wahlergebnisse zum Beispiel in Berlin ansieht, dann sieht man, dass die größte Wählerwanderung zur AfD von FDP, SPD und Grünen stattgefunden hat und dass die CDU sogar Wähler von der AfD gewinnen konnte. Das heißt, die Aufgabe, die AfD kleiner zu halten, ist vor allem die Aufgabe der Regierung.

    Sie sprechen von einem „Aufbau Ost 2.0“ und wollen Sonderförderzonen für gezielte Investitionen schaffen. Im Westen wird das vielen klammen Kommunen nicht gefallen. Wäre dem Land mit einer Wirtschaftsförderung, die auf die Trennung zwischen Ost und West verzichtet, nicht besser gedient?
    CZAJA: Es geht mir nicht um ein plumpes Betteln um einen zweiten Aufbau Ost, sondern um Förderzonen, wie ich sie nenne, also Zentren, in denen besonders investiert wird in Forschung und Entwicklung, in Zukunftsindustrien, in Branchen, die aktuell im Osten besser expandieren und funktionieren. Von diesen Investitionen kann das ganze Land profitieren. Wenn der Westen denkt, jetzt sei er erst einmal wieder dran, dann habe ich dafür Verständnis. Aber das ist zu kurz gesprungen, denn das hätte weitere dauerhafte Sozialtransfers in den Osten zur Folge, die ganz Deutschland bezahlen müsste.

    Sie plädieren für eine „DIN Ost“, die Standards für ganz Deutschland enthält. Im Osten war also nicht alles schlecht, es gibt auch Dinge, von den die Wessis profitieren können. Können Sie mal zwei Beispiele nennen?
    CZAJA: Nach der Wiedervereinigung hat man versucht, bis dato unbefestigte Straßen oder nicht vorhandene Abwassernetze in Ostdeutschland eins zu eins wie in Westdeutschland aus- und aufzubauen. Da knabbern viele der von diesen vermeintlichen Segnungen betroffenen Regionen heute noch dran, weil dort überhaupt nicht so viele Menschen wohnen und es daher für die Bevölkerung extrem teuer ist. In meinem Wahlkreis zum Beispiel gibt es nur einen Gehweg an nachgeordneten Straßen, schmalere Straßen und ein Entwässerungssystem, das nicht über Kanäle, sondern über Regenwassermulden funktioniert. Das hat viel Geld gespart. Ein anderes Beispiel sind die Polikliniken, die man in Westdeutschland gerne MVZ nennt. Die stärkere Delegation von ärztlichen Leistungen auf Gemeindeschwestern und die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung ist ein Thema, dass insbesondere in den ländlichen Regionen im Westen immer mehr ankommt.

    Warum sind Sie für eine Ost-Quote?
    CZAJA: Eliten ziehen ihre eigenen Eliten heran. Das ist leider ein offenbar nicht zu durchbrechender Kreislauf im realen Leben. Im Grundgesetz steht aber beispielsweise, dass in den obersten Bundesbehörden Beamte aus allen Ländern in einem angemessenen Verhältnis zu verwenden sind. Die Wahrheit ist aber, dass die Ostdeutschen dort nur mit maximal drei Prozent zum Zuge kommen. Und deswegen sage ich, dass 20 Prozent aller Führungsfunktionen in den Bundesministerien von Ostdeutschen besetzt sein müssen. Das entspricht dem Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtrepublik. Ohne eine Quote wird diese Veränderung nicht vonstattengehen. Mir geht es darum, dass unser Land besser zusammenwächst und die Erfahrungen aus dem Osten im Westen aufgenommen werden. Das ist in unserem ureigensten gemeinsamen Interesse in einer sich so schnell verändernden Welt.

    Zur Person

    Mario Czaja, Jahrgang 1975, wuchs in Berlin auf. 2011 wurde der CDU-Politiker Senator für Gesundheit und Soziales. 2021 kandidierte er erstmals für den Bundestag und wurde per Direktmandat gewählt. Im Januar 2022 wählte ihn die CDU Deutschlands auf Vorschlag des neuen Parteivorsitzenden Friedrich Merz zu ihrem Generalsekretär. Im Juli 2023 war Czaja diesen Posten wieder los, ist aber weiterhin Bundestagsabgeordneter. Czaja ist verheiratet und hat ein Kind.

    Zum Buch: Mario Czaja, Wie der Osten Deutschland rettet, Verlag Herder, gebunden, 192 Seiten, ISBN: 978-3-451-39829-2, 20 Euro.

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    3 Kommentare
    Johann Koch

    Richtig, Frau Merkel hat Deutschland kaputt gemacht - insbesondere 2015 durch die unbeschränkte Grenzöffnung. Aber auch durch unterlassene Investitionen in das Schulwesen, in das Gesundheitswesen und in die Infrastruktur. Frau Merkel hat es erfolgreich geschafft die Bundesrepublik Deutschland auf das Niveau der früheren DDR herunter zu wirtschaften.

    Raimund Kamm

    Sehr richtig diese Aussage von Herrn Czaja: >>Die CDU hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei, nicht aber mit dem BSW von Sahra Wagenknecht. CZAJA: Es ist ja fast absurd, dass es diesen Beschluss gibt und man mit der pragmatischen Linken nicht zusammenarbeiten will. Die Wahrheit ist doch, dass die Linke in Ostdeutschland in großen Teilen eine konservative Sozialdemokratie ostdeutscher Prägung ist.<<

    Raimund Kamm

    Sie formulieren ein Vorurteil, das absurd ist. Heute ist in Ostdeutschland die Wirtschaftskraft und der Wohlstand viel höher als zur DDR Zeit. Heute gibt es in Ostdeutschland bürgerliche Freiheiten und einen Rechtsstaat. Heute ist in Ostdeutschland die Luft (ich war mehrmals in der DDR und kann mich an die im Winter beklemmend schadstoffhaltige Luft noch erinnern) und sind die Gewässer viel sauberer als zur DDR-Zeit. Heute hat Ostdeutschland eine stabile Stromversorgung. Heute krepieren in Ostdeutschland nicht mehr Tausende durch den Uranabbau. ...

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