Klassische Spionage, Cyberangriffe, wirtschaftliche Abhängigkeiten schaffen, Technologie absaugen – deutsche Behörden beobachten mit Sorge, wie weit der Arm chinesischer Geheimdienste inzwischen reicht. Gleich zwei Vorfälle sorgten zuletzt für öffentliche Aufmerksamkeit: Am Montag war in Dresden ein Mitarbeiter des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah festgenommen worden. Er soll für einen chinesischen Geheimdienst tätig sein. Krah war auch innerhalb seiner Partei in den vergangenen Jahren mit besonders unkritischen Positionen zu China und Russland aufgefallen. Kurz zuvor waren drei mutmaßliche Spione in Düsseldorf und Bad Homburg festgenommen worden. Die beiden Männer und eine Frau sollen in Deutschland Informationen über Militärtechnik beschafft haben, um sie an den chinesischen Geheimdienst weiterzugeben. „China und Russland untergraben unsere Demokratie und Sicherheit und die radikale Rechte ist ihr trojanisches Pferd!“, mahnte Guy Verhofstadt, belgischer Politiker im EU-Parlament.
In Peking wischt man die Anschuldigungen kategorisch beiseite. Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, betonte, es handle sich um eine „böswillige Verleumdung“, die „völlig aus der Luft gegriffen“ sei: „Die Absicht hinter diesem Hype ist ganz offensichtlich, nämlich China zu verleumden, zu unterdrücken und die Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen China und Europa zu untergraben“. Die Reaktion ist wenig überraschend, die Parteiführung reagiert auf Kritik meist nach dem gleichen Muster: Anschuldigungen werden nicht anerkannt, als Diffamierung gebrandmarkt und schlussendlich in einen Gegenangriff umgemünzt.
Deutscher Verfassungsschutz warnt vor Spionage
In Berlin verfängt die Argumentation nicht. Nicht nur der deutsche Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte die Schwere der Vorwürfe. Auch die Geheimdienste selbst wählen deutliche Worte. "Wir sehen zunehmend Versuche der Einflussnahme mit illegitimen Mitteln auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch klassische Spionage", sagte der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, bei einer gemeinsamen Veranstaltung seiner Behörde und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW). Es sei höchste Zeit, hier zu einer realistischeren Einschätzung zu kommen.
Selen sagte, die chinesische Führung sei auf dem Weg zu ihrem langfristigen Ziel, der "Weltführerschaft", unter anderem stark interessiert an Know-how zu Robotik, Luft- und Raumfahrt und Automatisierung. Abschottung sei keine Lösung. Notwendig sei es vielmehr, Risiken zu erkennen. Überraschend ist die Erkenntnis nicht.
In der öffentlichen Debatte Chinas finden solche Anschuldigungen – auch wegen einer flächendeckenden Zensur – praktisch nicht statt. Wer auf der führenden chinesischen Online-Plattform "Weibo" nach dem Schlagwort „Spionage“ sucht, erhält als ersten Treffer den patriotischen Aufruf eines Chinesen: „Es ist Zeit für uns, etwas zu unternehmen. Das ganze Volk sollte sich vereinen, um Verräter, Verräter und Spione zu fangen, die das Mutterland verraten“. Das Posting ist mit der roten Fahne der Volksrepublik unterlegt.
Auch Geschäftsleute werden in China der Spionage beschuldigt
Tatsächlich schwört Präsident Xi Jinping seine Bevölkerung massiv darauf ein, dass die Gefahren aus dem Ausland kommen. Universitäten und Oberschulen berichten auf ihren Social-Media-Accounts stolz von Anti-Spionage-Kursen, in Peking müssen selbst die Pädagoginnen staatlicher Kindergärten pro forma ihre Reisepässe abgeben, und in Staatsbetrieben wird auf den Fluren in Plakaten vor ausländischen Spitzeln gewarnt. Regelmäßig ruft die Staatssicherheit ihre Bürger dazu auf, verdächtige Aktivitäten bei den Behörden zu melden.
Und immer häufiger werden selbst internationale Geschäftsleute oder Akademiker wegen Spionage-Verdachts festgenommen. Ob die Vorwürfe stimmen oder politisch motiviert sind, lässt sich aufgrund der Intransparenz des Systems kaum überprüfen: Selbst Diplomaten bleibt der Zugang zum Gerichtssaal verwehrt. Doch es fällt auf, dass die Vorwürfe vor allem Staatsbürger aus politisch verfeindeten Nationen trifft – insbesondere Menschen aus Japan, den USA und dem angelsächsischen Raum.
Erst vor einer Woche warnte der deutsche Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH): Immer mehr Inspekteure würden sich nicht mehr nach China trauen, um dort Unternehmen zu untersuchen. Da die Branche jedoch ohne regelmäßige Inspektionen keines der notwendigen Zertifikate ausstellen kann, drohe schon bald eine Versorgungsunsicherheit von Arzneimitteln in Deutschland und Europa. (mit dpa)