Blickt man nur auf die Statistik, ist es eigentlich gar nicht so schlecht gelaufen für Annegret Kramp-Karrenbauer. Fast zwei Jahre führte sie die CDU als Parteichefin – und damit länger als Wolfgang Schäuble und Rainer Barzel. Eine letzte Pointe des Schicksals vielleicht. Denn in die parteiinternen Analen wird sie wohl als die Vorsitzende eingehen, die bei ihrer Rücktrittsankündigung gerade einmal 430 Tage amtierende CDU-Chefin war - und mit der doch noch weitere 340 Tage vergehen sollten, ehe ein Nachfolger gefunden war. Und die sich am Ende womöglich sogar selbst fragt, ob sie die Rücktrittsforderungen nicht einfach hätte aussitzen können. Denn zumindest sie selbst ist zufrieden mit ihrer Bilanz als Vorsitzende der mächtigsten deutschen Partei. Die Union sei moderner geworden, die Partei könne programmatisch bei Klimaschutz und Digitalisierung sogar das Tempo bestimmen. Zudem sei es gelungen, "CDU und CSU zu versöhnen nach dem schrecklichen Streit um die Flüchtlingsfrage". Die "Verkrampfung" beim Thema Migration sei gelöst.
Und doch sind es die letzten Tage, ehe sie am Samstag das Zepter weiterreicht – dann wird feststehen, ob ihr Nachfolger Armin Laschet, Friedrich Merz oder doch Norbert Röttgen heißt. Drei Männer, die so ganz anders sind als Annegret Kramp-Karrenbauer. In all ihrer Unterschiedlichkeit verbindet die Kandidaten ein hohes Maß an Machthunger. War er es, der der Saarländerin gefehlt hat? „Es gibt Momente im Leben, in denen Sie kurz überlegen: Greife ich zu oder lasse ich es?“, sagte AKK in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. „Wenn man es dann nicht anpackt, bleibt oft der Gedanke, warum habe ich es damals nicht gemacht?“ Beim Parteivorsitz habe sie sich sofort gesagt: „Ich will.“ Bei der Kanzlerkandidatur habe sie für sich aber „am Ende entschieden, ich will es nicht zu 110 Prozent“, für das Kanzleramt würden 99 Prozent jedoch nicht reichen. Vielleicht ist das typisch Frau, dieses mit sich selbst ringen. Vielleicht ist es aber auch der mutigere Weg, sich selbst einzugestehen, dass es eher die Erwartungen der anderen sind, die sie zu erfüllen suchte.
Vor Rücktritt bei CDU-Parteitag: AKK sollte in der CDU Merkels Erbe fortführen
Eine Merkel 2.0 sollte die 58-Jährige werden. Unverhohlen jubelte die Kanzlerin beim Parteitag auf der Bühne, als endlich feststand, dass AKK ihre Nachfolge antreten sollte – und nicht etwa Merz, der all ihr Handeln infrage stellte. Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer gelten als eingespieltes Team, die beiden Frauen verbindet ein enges und gutes Verhältnis. Es war sicher auch der Wunsch der damals aus dem Parteivorsitz gedrängten Merkel, dass ihr Erbe weitergeführt werden sollte, dass der Bruch nicht zu hart würde. Für die einen stand die Saarländerin damit für eine Hoffnung auf Beständigkeit. Andere sahen in ihrer Wahl eine Fortsetzung der in ihren Augen bleiernen Merkel-Jahre. Doch auch wenn sie sich inhaltlich in vielen Punkten einig sind – AKK ist nicht Merkel.
Während die Kanzlerin auch nach 18 Jahren an der Spitze ihrer Partei die Tür zu ihrem Innersten noch nicht einmal einen Spaltbreit öffnet und das Spiel mit der Macht perfekt beherrscht, macht Kramp-Karrenbauer keinen Hehl aus ihren Zweifeln. „Ich wünschte mir, ich selbst hätte weniger Fehler gemacht“, sagte sie jüngst in einem Interview. „Insofern habe ich meinen eigenen Anteil daran, dass die Zeit als Vorsitzende nun früher endet als gedacht." Aber aus Fehlern lerne man. Was genau sie damit meint, lässt sie offen.
Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin: Die Situation in Thüringen ist ihr entglitten
Warum sie überhaupt gestürzt ist, dürfte nicht wenigen Menschen inzwischen kaum mehr einfallen. Zu viel ist geschehen in den vergangenen Monaten, zu ruhig ist AKK in Erscheinung getreten. Die Aufregung von damals ist längst anderen Themen gewichen. Ein politischer Skandal war es, als sich der Thüringer FDP-Politiker Thomas Kemmerich im Herbst 2020 auch mit den Stimmen von CDU und AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten wählen ließ. Kramp-Karrenbauer konnte sich nicht gegen den eigenen Landesverband durchsetzen, der auf einmal in die Nähe der AfD gerückt war. "Dies ist kein guter Tag für Thüringen, dies ist kein guter Tag für das politische System in Deutschland", sagte Kramp-Karrenbauer damals. Am Ende musste Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Machtwort sprechen und führte damit ihre Nachfolgerin vor. Am 10. Februar erklärte sie nach nur 14 Monaten im Amt ihren Rückzug. Seither lähmen die ungelöste Führungsfrage und der Machtkampf die Partei immer wieder. Auch, weil keiner der potenziellen Nachfolger die CDU so wirklich mitreißen kann. Selbst unmittelbar vor der Entscheidung scheint der Ausgang der Abstimmung weitgehend offen. So wenig Begeisterung können die Kandidaten auslösen, dass mit Markus Söder sogar ein CSU-Ministerpräsident als nächster Kanzlerkandidat ins Spiel gebracht wird.
Andererseits übergibt die 58-Jährige dem Nachfolger eine Partei mit guten Umfragewerten. Eine aktuelle Umfrage von Forsa besagt: Wenn die Wahlberechtigten jetzt bereits abstimmen würden, könnten die Parteien mit folgendem Ergebnis rechnen: CDU/CSU 36 Prozent (Bundestagswahl 32,9 Prozent), Grüne 20 Prozent (8,9 Prozent), SPD 14 Prozent (20,5 Prozent), Linke 8 Prozent (9,2 Prozent), AfD 8 Prozent (12,6 Prozent) und FDP 7 Prozent (10,7 Prozent). 7 Prozent würden sich für eine der sonstigen Parteien entscheiden (5,2 Prozent). Wie schon am Ende des Vorjahres trauen die Bundesbürger auch Anfang 2021 am ehesten der CDU/CSU zu, „mit den Problemen in Deutschland am besten fertigzuwerden“. Im Vergleich mit dem Jahresanfang 2020 haben sich die Einschätzungen der Deutschen damit deutlich verändert. Damals hatten die CDU/CSU lediglich 19 Prozent der Befragten für hinreichend kompetent gehalten, die Probleme in Deutschland lösen zu können.
Rücktritt beim CDU-Parteitag: Was macht AKK nach der Bundestagswahl?
Ob Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Höhenflug der eigenen Partei noch lange teilhaben wird, ist trotzdem fraglich. Bis zum Herbst wird sie zwar als Verteidigungsministerin im Amt bleiben, doch was danach kommt, lässt sie offen. Eine Rückkehr in die saarländische Landespolitik gilt quasi als ausgeschlossen, ob sie nochmal für den Bundestag kandidiert, weiß sie noch nicht. „Was ich persönlich weitermache, auch über das nächste Jahr hinaus, das ist eine Denksportaufgabe, die ich mir für Weihnachten vorgenommen habe“, sagte sie im Dezember RTL. Über das Ergebnis dieser inneren Einkehr ist bislang nichts bekannt. Einfach, so viel darf man annehmen, macht sich AKK auch diesen Schritt nicht. Seit den 80er Jahren ist sie in der Politik. Referentin. Landesvorsitzende. Ministerpräsidentin. Generalsekretärin. Parteivorsitzende. Eine Karriere also, von der andere nur träumen können. Und doch wird Annegret Kramp-Karrenbauer wohl auf ewig die Unvollendete bleiben.
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