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Die spannendsten Erkenntnisse aus dem Ergebnis der Europawahl 2024

Analyse zur Europawahl 2024

Die sechs wichtigsten Lehren aus der Europawahl

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    Europawahl gelaufen. Und jetzt? Aus dem Wahlergebnis vom Sonntag lassen sich einige Lehren ziehen.
    Europawahl gelaufen. Und jetzt? Aus dem Wahlergebnis vom Sonntag lassen sich einige Lehren ziehen. Foto: Thorsten Jordan

    1. Der SPD droht eine Kanzlerdebatte

    Die SPD hat mit ihrer Kampagne voll auf Olaf Scholz gesetzt – und verloren. Die Geschichte vom "Friedenskanzler", der Deutschland mit ruhiger Hand davor bewahrt, in den Ukraine-Krieg hineingezogen zu werden, verfing nicht. Im Gegenteil: Die Sozialdemokraten kassierten ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl

    Damit steht der Regierungspartei eine Personaldebatte ins Haus. Denn es ist ja nicht nur so, dass in der Bilanz des Kanzlers miserable Beliebtheitswerte und schlechte Wahlergebnisse stehen – die SPD hätte in ihren Reihen auch einen, der aus Sicht der Deutschen das Zeug dafür hätte, jederzeit die Führung zu übernehmen.

    Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist seit einem Jahr der populärste Politiker des Landes. Wieso sollte man also nicht mit ihm an der Spitze in den Bundestagswahlkampf ziehen statt mit dem schwer angeschlagenen Scholz? 

    Je mehr sich diese Frage vor und hinter den Kulissen stellt, desto genervter reagiert der Bundeskanzler darauf. Und doch wird die Debatte um die nächste Kanzlerkandidatur in den kommenden Tagen weiter Fahrt aufnehmen. 

    2. Friedrich Merz zieht nicht so richtig

    In der Union ist die Rollenverteilung zumindest auf dem Papier klar. CDU-Chef Friedrich Merz hat den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Und doch schwingt im Kleingedachten immer ein Aber mit. Denn die beiden Schwesterparteien hatten sich nach dem Laschet-Söder-Bauerntheater von 2021 geschworen, beim nächsten Mal denjenigen ins Rennen zu schicken, der die besseren Erfolgsaussichten verspricht. Dass das wirklich Merz ist, lässt sich aus dem Ergebnis der Europawahl nicht herauslesen. Obwohl die Ampel bei den Deutschen nahezu jeden Kredit verspielt hat, konnte die CDU ihre Ergebnis nur minimal steigern. 

    Rückenwind für den Parteichef ist das nicht unbedingt. Und man kann getrost davon ausgehen, dass der CSU-Kollege das auch registriert hat. Markus Söders Platz ist in Bayern – außer vielleicht, er sieht doch noch eine realistische Chance auf das Kanzleramt. Zu falscher Bescheidenheit neigt man in München ja ohnehin nicht gerade. Kein Wunder also, dass CSU-Landtagsfraktionschef Klaus Holetschek noch am Wahlabend im Gespräch mit unserer Redaktion die Kanzlerkandidatenfrage in der Union quasi im Vorbeigehen neu entfachte. 

    3. Die Grünen müssen sich neu erfinden

    Immerhin, über die Kanzlerkandidatur müssen sich die Grünen vorerst keine Gedanken mehr machen. Nach ihrem Allzeithoch 2019 sind sie am Sonntag hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen. All die Krisen der vergangenen Jahre haben grüne Themen aus dem Fokus vieler Menschen verdrängt. Das mag unlogisch erscheinen, wenn man etwa auf die Energiepreise schaut, die ja vor allem deshalb durch die Decke gingen, weil Deutschland die von den Grünen geforderte Energiewende so halbherzig angegangen war und dann ohne russisches Gas in die Bredouille geriet.

    Aber solche Argumente bringen den Grünen aktuell wenig. Im Empfinden einer großen Mehrheit sind sie heute eine Partei, die Klimaschutz mit der Brechstange machen will. Das Heizungsgesetz ist das Symbol dafür. Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck neulich sagte, es sei auch ein "Test" gewesen, wie weit die Bevölkerung im Kampf gegen Klimawandel mitziehen würde, macht die Sache nicht besser. Die Grünen werden sich neu justieren und mehr Pragmatismus wagen müssen. 

    4. Die AfD ist immun gegen Skandale

    Gelder aus Russland, Spionage für China, Razzien – der Wahlkampf der AfD bot so viele Peinlichkeiten, dass andere Parteien in einer solchen Situation längst implodiert wären. Die AfD allerdings scheint immun gegen sämtliche Skandale zu sein. Viele ihrer Anhänger glauben gerne die Opfergeschichte von vermeintlichen Hetzjagden und Kampagnen - selbst dann noch, wenn Büros durchsucht und Mitarbeiter von Abgeordneten verhaftet werden. 

    Die AfD musste ihre beiden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron in der heißen Phase des Wahlkampfes vor der Öffentlichkeit verstecken, weil sie derart ins Zwielicht geraten waren. Vielen Leuten im Wahllokal war das offenbar egal – Hauptsache nicht die Ampel, scheint das Motto der Stunde zu sein. Bystron, der Geld aus dubiosen russischen Quellen kassiert haben soll, wurde übrigens neu ins EU-Parlament gewählt. 

    5. Mit Sahra Wagenknecht ist zu rechnen

    Auch Sahra Wagenknecht profitierte vom tiefen Ampelfrust vieler Wählerinnen und Wähler. Galt sie mit ihrem neuen Bündnis bislang vor allem als Umfrage-Schreckgespenst für die politische Konkurrenz, so ist seit Sonntag klar: Mit Wagenknecht wird in diesem Jahr tatsächlich zu rechnen sein, gerade mit Blick auf die drei Landtagswahlen im Osten im Herbst. Wagenknecht punktet – ähnlich wie die AfD – mit dem Thema Migration, aber auch mit ihrer demonstrativen Anbiederung an den Kreml. 

    "Krieg oder Frieden? Sie haben jetzt die Wahl", plakatierte das BSW – und schaffte es aus dem Stand locker über die bei der Europawahl unbedeutende, aber symbolisch wichtige Fünfprozenthürde. Dass "Frieden" für Wagenknecht bedeutet, einen Pakt mit Wladimir Putin auf Kosten der Ukraine zu schließen und damit dem Großmachtstreben Moskaus nachzugeben, ist für ihr Publikum kein Grund, sie nicht zu wählen. 

    6. Hubert Aiwanger bleibt ein Bayern-Phänomen

    Der Chef der Freien Wähler hat eine große Mission: Hubert Aiwanger ist Bayern nicht genug, er will nach Berlin, nach Brüssel und überhaupt überall hin, wo er mit seinem "gesunden Menschenverstand" Politik machen kann. Doch die Europawahl hat auch gezeigt: Das brachiale Prinzip Aiwanger funktioniert offenbar nur in Bayern so wirklich. Der Traum, die Freien Wähler als konservative Kraft irgendwo zwischen Union und AfD zu positionieren, ist jedenfalls vorerst geplatzt. 

    Trotz hoher Präsenz ihres Vorsitzenden in Talkshows und Sozialen Netzwerken, wo sich Aiwanger mit Inbrunst in jedes verbale Scharmützel stürzt, bleibt seine Partei bei bundesweiten Wahlen weiterhin eher eine Randnotiz. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Niederbayer tatsächlich nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr Richtung Berlin zieht, ist mit der Europawahl nicht gerade gestiegen. 

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