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Affäre: Abhör-Affäre: "Die Politik darf nicht in die russische Falle tappen"

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Abhör-Affäre: "Die Politik darf nicht in die russische Falle tappen"

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    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat die Affäre um mitgeschnittene Gespräche von Offizieren mit individuellem Fehlverhalten erklärt. Doch es bleibt Klärungsbedarf.
    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat die Affäre um mitgeschnittene Gespräche von Offizieren mit individuellem Fehlverhalten erklärt. Doch es bleibt Klärungsbedarf. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Die Affäre um die mitgeschnittene Schaltkonferenz vier hoher Offiziere nimmt klare Konturen an: Man weiß, worüber gesprochen wurde. Bekannt ist, dass die Russen abgehört haben. Und am Dienstag hieß es aus dem Verteidigungsministerium, dass einer der Militärs es den Lauschern durch "individuelle Fehlanwendungen" leicht gemacht hat. 

    Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte am Dienstag auf einer Pressekonferenz, einer der Gesprächsteilnehmer habe sich aus Singapur über Mobilfunk oder WLAN, sprich eine „nicht sichere“ Verbindung, in die gesicherte Konferenz über den Anbieter Webex eingewählt. Dabei handelt es sich um Brigadegeneral Frank Gräfe, der von 2013 bis 2015 Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 in Neuburg war. Der gebürtige Saarländer ist aktuell Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando

    Boris Pistorius will die Offiziere nicht "Putins Spielen opfern"

    Gegen die vier Offiziere – darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz – laufen disziplinarische Vorermittlungen. Allerdings erklärte Pistorius, dass er, falls nicht noch etwas Gravierenderes ans Licht komme, keinen seiner "besten Offiziere Putins Spielen opfern" werde. 

    Fachleute hegen Zweifel an der Sicherheit von Webex. "Wenn sich zwei Privatleute verschlüsselt über die Kommunikationsdienste Facetime oder Signal unterhalten, sind sie besser davor geschützt, belauscht zu werden, als es nach aller Wahrscheinlichkeit die Luftwaffenoffiziere waren", sagte der deutsche Experte für Cybersicherheit, Thomas Rid, im Gespräch mit unserer Redaktion. Rid, der für die Johns-Hopkins-Universität in Washington ein Institut für Cybersicherheitsstudien aufgebaut hat, hält jedoch die Frage, "wie effektiv die Computer der Bundeswehr vor Angriffen durch Hacker geschützt sind, für noch wichtiger als das Thema Verschlüsselung". 

    Wichtige Fragen in der Abhör-Affäre sind noch offen

    Dass mit dieser technischen Erklärung von Minister Pistorius der Fall nun erledigt ist, daran glaubt keiner in Berlin. Die deutschen Geheimdienste warnen seit dem russischen Generalangriff auf die Ukraine im Februar 2022 verstärkt vor Spionageattacken und hybriden Angriffen aus Moskau. Vor rund zwei Monaten erst meldete das Auswärtige Amt eine großangelegte Kampagne auf der Plattform X. Die Bilanz: Von rund 50.000 gefälschten Nutzerkonten aus wurde insbesondere die Ukraine-Hilfe der Bundesregierung systematisch attackiert – in deutscher Sprache, versteht sich, und mit oft abstrusen Vorwürfen. 

    "Die Ironie ist doch: Russland wirft Deutschland vor, zu eskalieren und am Ukrainekrieg teilzunehmen – und tut das in einer aggressiven nachrichtendienstlichen Aktion, die selbst eskaliert und letztlich Teil des Ukrainekrieges ist", sagt Rid. "Der Kreml hat dabei vermutlich – das muss noch geklärt werden – seinen militärischen Geheimdienst in einer Operation eingesetzt, und sie dann öffentlich gemacht. Das ist etwas anderes als nur Spionage. Denn das würde bedeuten, dass Moskau Deutschland als Ziel in einem Informationskrieg sieht." Für den gebürtigen Baden-Württemberger ist nun entscheidend, dass "Berlin nicht in Moskaus Falle tappt und die Politik sich gegenseitig mit heftigen Vorwürfen überzieht. Dann hätte Russland sein Ziel, zu destabilisieren, erreicht". Rid begrüßt es, dass Pistorius nicht überstürzt mit der Entlassung der beteiligten Offiziere reagiert hat.

    Grundsätzlich plädiert Rid für eine offensivere Taktik auch der deutschen Geheimdienste: "Ich sehe keinen Grund dafür, warum nicht auch westliche Dienste aktiv auf diese Weise gegen Russland vorgehen sollten. Allerdings sollten offene Demokratien dabei auf Fälschungen grundsätzlich verzichten." Die wichtige Aufgabe von Medien und Experten sei es "im Zeitalter von Fake News und KI, Fakten zu überprüfen, um die Gesellschaft vor Desinformation zu schützen". 

    Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt bei seiner Ablehnung von Taurus-Lieferungen

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) blieb am Montag dabei, dass eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper für ihn "ausgeschlossen" sei, wenn unklar sei, wer dieses Waffensystem programmieren und steuern würde. In der abgehörten Videoschalte hatten die Militärs die Ansicht geäußert, dass es zwar zeitaufwendig, aber durchaus möglich sein würde, ukrainische Soldaten so zu schulen, dass sie Taurus selbstständig einsetzen können. Scholz jedoch macht offensichtlich zur Bedingung, dass Deutschland die Kontrolle über den Einsatz behält, ohne dass eigene Experten daran beteiligt sind. Das wäre die Quadratur des Kreises, legt aber gleichzeitig nahe, dass der Kanzler der ukrainischen Seite nicht restlos traut – Kiew hatte versichert, dass Taurus mit seiner Reichweite von bis zu 500 Kilometern nicht gegen Ziele auf russischem Boden eingesetzt werde. 

    Besteht die Gefahr, dass Geheimdienste der Verbündeten auf Distanz gehen?

    Der Sicherheitsexperte Peter Neumann äußerte am Dienstag im Deutschlandfunk die Befürchtung, dass verbündete ausländische Geheimdienste in Zukunft angesichts der russischen Lauschaktion zögern könnten, Deutschland brisante Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Gefahr, dass dies geschieht, hält Experte Rid für nicht sehr groß. "Eher macht mir Sorgen, dass die Geheimdienste in Deutschland selbst stiefmütterlich und auch ein wenig abschätzig behandelt werden." Man solle die Affäre im Gegenteil zum Anlass nehmen, deutlich mehr gute Leute für die Dienste zu rekrutieren, die in der Lage sind, kreative Operationen durchzuführen. "Es wäre bei aller Aufregung ein großer Fehler, die Fähigkeiten der russischen Dienste zu überschätzen. Die Operation, die wir jetzt gesehen haben, ist relativ banal. Die westlichen, gerade die englischsprachigen Dienste der USA oder der Briten sind weit schlagkräftiger und kreativer." 

    Noch für diese Woche ist vorgesehen, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) seine Erkenntnisse über die Kommunikationspanne veröffentlicht. Danach soll die heikle Causa Thema einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses im Bundestag sein – an der, so fordert die Opposition, auch Kanzler Scholz teilnehmen soll.

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