Es ist 50 Jahre her, dass sich in der New Yorker Christopher Street ein Aufstand gegen die andauernde gewaltsame Diskriminierung von Trans- und Homosexuellen formierte. Seit 40 Jahren setzen auch in deutschen Städten regenbogenbunte Paraden im Gedenken an jenen Christopher-Street-Day Zeichen. Aber bis ins Jahr 1992 war Homosexualität im Katalog der Weltgesundheitsorganisation noch als Krankheit erfasst. Und erst seit 25 Jahren ist Homosexualität in der Bundesrepublik nicht mehr strafbar.
In diesem Jahr nun verkündete der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn: „Homosexualität ist keine Krankheit und nicht behandlungsbedürftig“ – um damit ein Verbot der sogenannten Konversionstherapie einzuleiten, die noch immer eine „Heilung“ der „Betroffenen“ versucht. Und in welchem Jahr werden sich gleichgeschlechtliche Paare auch in unseren Gemeinden als ganz normal fühlen können?
Es geht um die Herzen der Menschen, nicht um Unisex-Toiletten
Denn es mag im Geschlechterverhältnis inzwischen so manchen vor allem rechtlichen Fortschritt gegeben haben: Die sogenannte Homo-Ehe wurde beschlossen, es gibt neben Mann und Frau mit „divers“ nun auch amtlich ein drittes Geschlecht, das der körperlichen und seelischen Realität mancher Menschen Rechnung trägt. Aber gerade in den mitunter empörten Reaktionen darauf zeigte sich: Sind Masse und Heftigkeit der Intoleranz auch weniger geworden – entschiedene Ablehnung wird spätestens dann laut, wenn vermeintlich die Grenzen verwischt werden zu dem, was doch normal sei und als solches auch hervorgehoben bleiben müsse: die Beziehung zwischen Mann und Frau mit der Perspektive auf Vater, Mutter, Kind – „Keimzelle der Gesellschaft“, die traditionelle Familie.
Nun ließe sich ja einwenden: Gerade die Tradition markiert hier eine Geschichte der Diskriminierung einer immer schon vorhandenen, aber unterdrückten Vielfalt. Und dass, wer mit der Ordnung der menschlichen Natur durch die Gesetze der Fortpflanzung argumentiert, vergisst: Der Wert des individuellen Lebens und Liebens bemisst sich in einer zivilen Gesellschaft gerade nicht mehr an biologischen oder religiösen Maßstäben. Am deutlichsten aber wird das Problem an dem Wort „normal“.
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Denn vor alle Erwägungen, was durch die kulturelle Prägung in unserem Alltag als Normalität erscheint, und vor allem vor alles Abwägen, was die Mehrheit in unserer Gesellschaft als Normalität empfindet, hat schon das Grundgesetz das höchste Prinzip gestellt: die Würde des Menschen. Und das meint gerade auch hier das Ideal: die Freiheit des Einzelnen in seinem Leben und Lieben – insofern er oder sie damit nicht die Würde eines anderen verletzt. Übersetzt heißt das: Nein, nicht Heterosexualität ist in dieser Gesellschaft normal – aber freilich auch nicht Homosexualität. Normal soll die Freiheit des Einzelnen, sollen die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Liebesmodelle sein. Insofern also muss die Absage gegen eine verbreitete Stammtischparole deutlich ausfallen: Nein, es ist nicht genug mit der Gleichberechtigung, solange sich Homosexuelle nicht genauso „normal“ fühlen wie Heterosexuelle.
Das heißt aber nicht, dass daraus folgende Forderungen maßlos sein können. In der Debatte etwa, ob praktisch ab sofort nur noch Unisex-Toiletten korrekt wären, weil Menschen dritten Geschlechts sich ansonsten im Entweder-oder diskriminiert fühlten, verwandelt sich das Recht auf Vielfalt in ein Diktat, das die gesellschaftliche Realität überfordert. Vielleicht wird das in 50 Jahren anders sein. Aber jetzt und vordringlich geht es nicht um Klos der Geschlechter, sondern um die Herzen der Menschen.