Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble dringt auf tiefreichende gesellschaftliche Konsequenzen als Lehre aus der Coronavirus-Krise. „Wir müssen das Verhältnis zwischen Marktwirtschaft und staatlicher Regulierung neu definieren“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. „In unserer Gewissheit, dass alles schon irgendwie gut geht, sind wir schwer erschüttert“, betonte Schäuble. Man müsse nun „darüber nachdenken, ob es damit zu tun hat, dass wir vieles übertrieben haben“, fügte er hinzu. „Diese Krise ist eine Erfahrung, die wir in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg so nicht gemacht haben.“
Die Krise offenbare die Probleme der globalen Vernetzung: „Globalisierung bedeutet eben leider auch: Klimawandel und Artensterben.“ Es gehe nicht darum,, die marktwirtschaftlichen Mechanismen außer Kraft zu setzen. „Aber den Rahmen, in dem wir uns bewegen, muss man neu bewerten.“ Schäuble äußerte sich dabei unter anderem kritisch über das Ausmaß der internationalen Flugverkehrs: „Schauen Sie nur mal, wie viele deutsche Staatsbürger, nicht nur Touristen wir in den letzten Wochen nach Hause zurückholen mussten.“
Schäuble sieht Ende der Schwarzen Null ohne Bedauern
Gleichwohl müssen der freie Binnenmarkt und Reiseverkehr in Europa schnellstmöglich wieder hergestellt werden: „Wir müssen auch dringend darauf achten, dass wir durch dauerhafte Grenzkontrollen unserer Wirtschaft nicht noch zusätzlich Schaden zufügen – in einer Zeit, in der die Handlungsfähigkeit Europas ohnehin dringend verbesserungswürdig ist“, sagte Schäuble.
Der frühere Bundesfinanzminister und heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat das Ende der Politik der Schwarzen Null ohne Bedauern als zwingend notwendig verteidigt. „Die Schwarze Null war ein wirkungsvoller kommunikativer Begriff für eine gesunde Finanzpolitik, die darin bestand, die hohe Neuverschuldung wieder abzubauen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. „Das haben wir mit großem Engagement und gegen manche Widerstände konsequent getan“, betonte Schäuble.
Er bedauere jedoch nicht, dass die Schwarze Null mit dem Ausbruch der Coronavirus Geschichte ist. „In einer Situation wie der jetzigen müssen wir jedoch das Notwendige tun, also Ausgaben erhöhen und auch neue Schulden machen“, betonte der langjährige Finanzminister. „Das ist aber kein Widerspruch. Schließlich haben wir in der Schuldenbremse genau für diesen Fall Ausnahmen eingebaut.“
Schäuble fordert Reform der Währungsunion
Schäuble sprach sich zugleich klar gegen Eurobonds zur Bewältigung der dramatischen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise aus: „Ich bin dafür, dass man Hilfen für die Schwächeren ermöglichen muss, aber das muss über Investitionsprogramme und den europäischen Haushalt gehen“, sagte der CDU-politiker. „Nicht über gemeinsame Anleihen, bei denen dann nicht kontrolliert werden kann, wie die Mittel verwendet werden bei denen und die Verantwortung für das Handeln und das Haften auseinanderfallen.“
Statt über Eurobonds solle besser über eine Reform der Währungsunion diskutiert werden. „Es wäre jedenfalls die intelligentere Debatte, als nur über Eurobonds zu reden, von denen jeder weiß, dass sie nach den europäischen Verträgen rechtlich überhaupt nicht zulässig sind“, sagte Schäuble. „Der Strukturmangel der Währungsunion ist ja seit ihrer Schaffung bekannt“, betonte er. „Wenn die Krise dazu führt, dass wir uns in Europa an eine Beseitigung des Mangels machen, umso besser.“ (AZ)
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