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Pandemie: Was bei Corona in der Krisen-Kommunikation schiefläuft

Pandemie

Was bei Corona in der Krisen-Kommunikation schiefläuft

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    Krisen-Kommunikatoren Lothar H. Wieler, Christian Drosten und Jens Spahn: Tricks nach dem „Good-Guy-Bad-Guy-Prinzip“
    Krisen-Kommunikatoren Lothar H. Wieler, Christian Drosten und Jens Spahn: Tricks nach dem „Good-Guy-Bad-Guy-Prinzip“ Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Noch Ende März lehnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Maskenpflicht ab. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisierte das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln als „reine Symbolpolitik“.

    Und am gleichen Tag erklärte der Virologe Alexander Kekulé, Erfahrungen aus Hongkong zeigten, dass der Gesichtsschutz ganz erheblich vor Ansteckungen schütze: nur ein Beispiel für das Kommunikationschaos in der Corona-Krise. Oft war gar nicht klar, wer überhaupt die Linie im Land vorgibt: Virologen als Wissenschaftler oder Politiker als Entscheidungsträger?

    Kommunikationsexperte Norbert Bolz:  „Der Reflex, dass man in Krisenzeiten zusammenhalten muss, wäre für die Medien ein extrem gefährliches Selbstmissverständnis.“
    Kommunikationsexperte Norbert Bolz:  „Der Reflex, dass man in Krisenzeiten zusammenhalten muss, wäre für die Medien ein extrem gefährliches Selbstmissverständnis.“ Foto: imago stock&people

    „Die Virologen sind zu Medienstars geworden wie Schauspieler“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz. „Jeder stellt eine Hypothese auf, und der Laie kann sich dann die Variante aussuchen, die ihm am besten gefällt.“ Für den Berliner Professor ein typisches Beispiel, was in der Corona-Krise bei der Kommunikation schiefläuft.

    Wissenschaftler als Ersatzpolitiker

    „Wissenschaftler treffen niemals politische Entscheidungen, das ist Aufgabe der Politik“, betont er. „Doch es gibt Politiker, die Angst davor haben, falsche Entscheidungen zu treffen und sich hinter den Wissenschaftlern verstecken.“ Doch auch der Wissenschaft schade es, wenn die Grenzen zur Politik verwischten.

    Für die Bevölkerung brachte dies weitere Verunsicherung: „Viele Menschen mussten in der Pandemie enttäuscht lernen, dass es in der modernen Wissenschaft keine Wahrheiten gibt, sondern nur Hypothesen, die sich ändern“, sagt Bolz. „Es gilt frei nach Karl Popper das Prinzip: Der Wissenschaftler möchte geradezu widerlegt werden. Das verträgt sich natürlich überhaupt nicht mit der Erwartungshaltung der Laien an die Experten.“

    Viele hätten die Arbeit der Forscher zwar regelrecht live miterleben können. „Doch man sieht in der Pandemie, dass die auch in der Klimapolitik aufgestellte Losung ,Folge der Wissenschaft‘ kein Modell sein kann, denn Entscheidungen sind Sache der Politik“, betont Bolz.

    Merkel bestätigt ihren Spitznamen

    Kanzlerin Angela Merkel sei mit ihren ernsten Krisenansprachen ihrer Art treu geblieben: „Wäre Frau Merkel ein Mann, würde man sagen, sie verhält sich mit ihrer präsidialen Art landesväterlich, sie trägt ja nicht umsonst den Spitznamen Mutti“, sagt Bolz. Die Kanzlerin kommuniziere nicht mit Argumenten, sondern mit Mahnungen. „Das kommt bei vielen an, die von der politischen Führung an der Hand genommen werden wollen. Aber als Wissenschaftler wäre es mir viel lieber, man würde viel transparenter und offener darüber diskutieren, wie unklar die Situation ist und wie wenig man weiß.“

    Am ehesten erfülle dies noch Spahn, der sich sehr geschickt in der Krise verhalte. So habe er früh mit Äußerungen sich abgesichert, falls sich manche seiner Entscheidungen doch als Fehler erwiesen, mit Sätzen wie:  „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen.“  Spahn nutze die Chance, die sich die Krise ihm als Politiker biete. Das gelte auch für den bayerischen Ministerpräsident: „Markus Söder hat sich sehr früh eine auf harte Linie festgelegt und hält an seiner Linie in der Kommunikation fest, weil er authentisch bleiben will“, sagt Bolz.

    Fehler auf Landesebene

    Frank Roselieb ist Direktor des Kieler Instituts für Krisenforschung und einer der gefragtesten Experten für Krisenkommunikation. „Angesichts der hohen Zustimmungszahlen in der Bevölkerung kann man sagen, dass die Krisenkommunikation funktioniert hat“, sagt er. Doch es wurden auch Fehler gemacht, vor allem auf Landesebene. „In Berlin verkündete man, die Schulen zu schließen und wollte zugleich die Bars und Clubs noch einige Tage offenlassen. Das war natürlich ein fragwürdiges Signal an die Bevölkerung.“ Und auch in der Lockerungsdebatte gab es keine einheitlichen Entscheidungen, kritisiert Roselieb.

    Vorbereitete Botschaften aus Drehbuch von 2017  

    „Auf der Bundesebene hat man in der Krisenkommunikation im Großen und Ganzen die bereits 2007 erstellten und 2017 aktualisierten Pläne und Szenarien für eine landesweite Pandemie nach einer Art Drehbuch abgearbeitet“, verrät der Experte. „Die wichtigsten Kernbotschaften, Fragen und Antworten, wie man den Menschen die Lage erklärt, waren vorbereitet.“ Es gebe sogar eine Din-Norm 17091 für öffentliche Krisenkommunikation. „Die kann man neben viele Erklärungen der Bundesregierung und viele Interviews legen und dabei Punkt für Punkt abhaken.“

    Mehr Tests, höheres Bußgeld: Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern

    Im Kampf gegen die Corona-Pandemie verfolgen die Länder längst ganz unterschiedliche Linien. Auf ein paar neue Leitplanken haben sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten bei ihren Gesprächen am Donnerstag nun aber geeinigt. Ein Überblick:

    Bei Verstößen gegen die Maskenpflicht soll in allen Bundesländern mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt ein Bußgeld von mindestens 50 Euro fällig werden.

    Großveranstaltungen, bei denen eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregelungen nicht möglich ist, sollen bis mindestens Ende Dezember 2020 nicht stattfinden. Eine Länder-Arbeitsgruppe soll bis Ende Oktober Regelungen für einen einheitlichen Umgang mit Publikum bei bundesweiten Sportveranstaltungen vorschlagen.

    Die Möglichkeit zu kostenlosen Coronavirus-Tests für Reisende, die aus dem Ausland nach Deutschland zurückkommen, soll ab dem 16. September auf Rückkehrer aus Risikogebieten begrenzt werden.

    Wer aus einem Risikogebiet zurückkommt, soll die verpflichtende Quarantäne frühestens durch einen Test ab dem fünften Tag nach der Rückkehr beenden können. Die Regelung soll "möglichst ab 1. Oktober" gelten. Die häusliche Quarantäne soll intensiv kontrolliert und bei Verstößen sollen empfindliche Bußgelder verhängt werden. Der Bund will auf die Pflicht zu der 14-tägigen Quarantäne stärker hinweisen - "an den Grenzen und in den Urlaubsgebieten". Angestrebt wird, dass sich Rückkehrer künftig noch im Risikogebiet testen lassen müssen.

    Angestrebt wird, dass in Zukunft Einkommensausfälle nicht entschädigt werden, wenn die Quarantäne aufgrund einer vermeidbaren Reise in ein bei Reiseantritt ausgewiesenes Risikogebiet erforderlich wird.

    Gesetzlich Versicherten mit Anspruch auf Kinderkrankengeld sollen in diesem Jahr fünf zusätzliche Tage zur Betreuung eines kranken Kindes gewährt werden. Alleinerziehende sollen zehn zusätzliche Tage dafür bekommen.

    Digitalisierung in Schulen soll voran getrieben werden. Der Bund will die Länder mit einem Sofortprogramm von weiteren 500 Millionen Euro unterstützen.

    Bund und Länder wollen daran arbeiten, dass mehr Coronavirus-Tests möglich werden.

    Vom Bund vorgeschlagene einheitliche Obergrenzen für Teilnehmer an privaten Feiern haben Bund und Länder nicht vereinbart.

    Der RKI-Chef spielt den Bösewicht

    Doch die Regierung setzte dabei zu ihren Gunsten auch auf psychologische Kniffs: „Man hat in der Krisenkommunikation beliebte Tricks, nach dem „Good-Guy-Bad-Guy-Prinzip“ des netten und des bösen Überbringers angewendet“, erklärt Profi Roselieb: „Der Gute war in dem Fall Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der vor der Presse die Rolle des beruhigenden und Hoffnung verbreitenden Kommunikators übernommen hat und der „Bösewicht“ war der Chef des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler, der die unangenehmen Botschaften und schlechten Nachrichten überbringen muss. Der RKI-Chef ist ja auch Beamter und kein Politiker, der wiedergewählt werden will.“

    Das half allerdings das diverse Fachbegriffe und immer neue Kriterien teile der Bevölkerung verwirrten. Anfangs war die Zahl freie Intensivbetten das entscheidende Kriterium, dann die Verdoppelungsrate der Infektionen und heute der Zahl der Fälle der letzten sieben Tage pro 100.000 Einwohner, der sogenannte Sieben-Tage-Inzidenzwert, der ab einer Schwelle von 50 Alarm in der Kommune bis zum regionalen Lockdown auslöst. 

    „Wir haben bei den vielen schwer verständlichen Details wie den Sieben-Tage-Inzidenzwert, das Problem, dass diese Parameter oft als Regeln international abgestimmt sind“, sagt Krisen-Kommunikations-Experte Roselieb. Das ist auch bei andern überregionalen Krisenfällen wie Atomunfällen so.“

    Corona-Skeptiker auszugrenzen ist ein Fehler

    Ein echter Fehler in der Krisenkommunikation sei es aber Corona-Skeptiker kommunikativ auszugrenzen: „Man muss sich mit den Corona-Skeptikern professionell auseinandersetzen und nicht einfach als Verschwörungstheoretiker an die Seite drängen", sagt der Kommunikationsprofi.  „Mit Kritikern muss man auf fachlich gleicher Ebene reden“, betont Roselieb.

    Es würde wenig nutzen, einen Minister mit einem kritischen Infektionsmediziner an einen Tisch zu setzen, der den Regierungskurs ablehne. Hier müssten sich tatsächlich Fachleute bereit dazu sein. Ein Modell in der Krisenkommunikation sei das „Eine Stunde-eine Stunde-Prinzip“: „Jede Seite trägt 30 Minuten ihre Position vor, dann diskutiert man eine Stunde und dann ist aber auch Schluss.“

    Riskantes Missverständnis der Medien

    Und die Medien? Experte Bolz geht für seine Verhältnisse eher nachsichtig mit der Berichterstattung in der Corona-Krise um: „Massenmedien sind auf Sensationen, Katastrophen und schlechte Nachrichten geeicht, weshalb das Publikum apokalyptischen Szenarien ausgesetzt wird“, sagt der Berliner Professor. „Kritisch muss man aber sehen, dass sich vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien zu Sprechern der Bundesregierung gemacht haben, ohne deren Kurs kritisch zu hinterfragen“, sagt der Medienkritiker.

    „Der Reflex, dass man in Krisenzeiten zusammenhalten muss, wäre für die Medien ein extrem gefährliches Selbstmissverständnis ihrer Funktion“, warnt Bolz. „Wir sehen aber oft ein Schema, dass nicht die Regierung, sondern eher die Kritik an der Regierung kritisiert wird.“

    Dieser Artikel ist Teil unseres Schwerpunkts "Corona und die Folgen: Was hätte die Politik besser machen können?" Lesen Sie hier weitere Texte zum Thema:

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