Angela Merkel hat mit ihrem „Wir schaffen das“ vielleicht keinen Satz für die Ewigkeit gesprochen. Aber doch einen, der die deutsche Politik nach wie vor prägt, gerne in Abwandlungen, etwa: „Haben wir das geschafft?“ Oder auch: „Haben wir das wirklich geschafft?“
Die Frage nach der Migrationspolitik ist zur Gretchenfrage der deutschen Politik geworden. Sie prägt die aktuelle Suche nach einem Merkel-Nachfolger. Friedrich Merz meint auch den Bruch mit Merkels „Willkommenskultur“, wenn er vom Bruch mit ihrer Ära spricht. Armin Laschet verteidigte diese Kultur zwar lange, schließt aber zu offene Grenzen längst aus (sein neuer Mitstreiter Jens Spahn beklagte einst gar einen „Kontrollverlust“). Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum die Situation an der griechisch-türkischen Grenze solche Emotionen hervorruft – und so prompte Reaktionen der Politik. Merz ruft den Flüchtlingen nun zu, sie seien nicht willkommen. Laschet und der dritte CDU-Bewerber Norbert Röttgen klingen zugänglicher. Doch einig ist sich das Trio in einem Punkt: Eine Lage wie im Jahr 2015 dürfe sich nicht wiederholen.
Von einer „Willkommenskultur“ ist europaweit keine Rede mehr
Das zu fordern, ist verständlich. Denn eine ähnlich polarisierende Debatte wie damals, als die Flüchtlingssituation eskalierte, würde die Bundesrepublik weiter spalten. Aus reiner Gesinnungsethik für eine lupenreine Aufnahmekultur zu werben, ist zu einfach, das hat auch Kanzlerin Merkel eingesehen. Was bringt es, wenn Politiker ganz großherzig erscheinen, aber so den Aufstieg von Populisten befördern, die dann hartherzig agieren? So etwas hat Italien erlebt.
Dennoch sollten wir bei aller berechtigten Besorgnis auf Fakten statt Emotionen achten. Die Anzeichen dafür, dass sich die Lage von 2015 wiederholt, sind derzeit eher gering. Nicht nur bleibt die Zahl derer, die sich an den Grenzen drängen, bislang überschaubar, selbst wenn Erdogan mit Fantasiezahlen hantiert. Wichtiger aber: Von einer „Willkommenskultur“ ist europaweit keine Rede mehr. Diverse Staaten sind bereit, ihre Grenzen aggressiv zu verteidigen, wie es die neue konservative griechische Regierung vormacht. Die EU-Flüchtlingspolitik hat zwar vieles nicht geschafft, etwa eine wirksame Verteilung von Flüchtlingen. Sie scheitert auch immer noch an Kleinerem, etwa deutlich mehr Personal für die Grenzschutzbehörde Frontex. Aber sie hat es geschafft, sich im Zweifel auf härtere Abschreckung zu verständigen.
Mehr Härte nicht nur an den Grenzen – auch gegen Putin
Ist damit alles gut? Das kann nur glauben, wer eine Festung Europa für die ideale Lösung hält – und die Situation gerade auf den griechischen Inseln und in der Türkei ignoriert. Europa hat zudem nie eine Lösung im Syrien-Konflikt ernsthaft versucht. Also konnte Diktator Assad dort so viele ermorden und so viele vertreiben. Fast vier Millionen Flüchtlinge leben nun in der Türkei. Deren Leben hat unser heikler „Deal“ mit dem schwierigen Partner Erdogan immerhin etwas verbessert, auch wenn dieser Deal den Menschen auf den griechischen Inseln nicht half.
Wer neue Flüchtlingswanderungen in Europa ehrlich verhindern will, muss ehrlich sagen, dass Europa mehr tun muss. Die Türkei braucht frische EU-Milliarden, die griechischen Inseln Entlastung. Hinzu kommen muss, so schwer das fällt, ein engerer Schulterschluss mit der Türkei in Syrien – und damit gegen Russland, das an der Seite von Assad in Idlib eine gewaltige humanitäre Katastrophe zulässt.
Viele sagen, Wladimir Putin lasse sich nicht beeindrucken. Aber dessen Land ist wirtschaftlich nur etwa so stark wie Italien. Natürlich schmerzen ihn Sanktionen. Die Härte, die für Flüchtlinge gilt, müsste auch für Putin gelten.
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