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Kommentar: Der Corona-Impfstoff wird umkämpft sein

Kommentar

Der Corona-Impfstoff wird umkämpft sein

Rudi Wais
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    Der Alltag bleibt auch mit einem Impfstoff gegen den Corona-Virus zunächst eingeschränkt.
    Der Alltag bleibt auch mit einem Impfstoff gegen den Corona-Virus zunächst eingeschränkt. Foto: Christoph Schmidt, dpa (Symbol)

    Bleiben wir auf dem Teppich. Selbst wenn schon bald ein Impfstoff gegen Corona verfügbar sein sollte, ist der Weg zurück zur alten Normalität noch weit. Einmal angenommen, in den Arztpraxen werden im nächsten Jahr zehn Millionen Patienten geimpft und in jedem der 60 geplanten Impfzentren weitere 1000 Menschen pro Tag - dann wären am Ende des Jahres knapp 32 Millionen Menschen in Deutschland geschützt. Die berühmte Herdenimmunität aber, die Infektionsketten durchbricht, beginnt nach Schätzungen von Experten frühestens bei einer Impfquote von 60 Prozent. In der Bundesrepublik wäre sie im obigen Beispiel also erst nach eineinhalb Jahren erreicht. Wenn überhaupt.

    So gesehen spielt es keine große Rolle, ob die Bundesregierung sich jetzt in einer ersten Tranche 80 oder 100 Millionen Impfdosen sichert. Die Impfkapazitäten sind begrenzt, umso ausgeklügelter muss daher die Impfstrategie sein. Die Risikogruppen wie Alte und einschlägig Erkrankte zuerst, dann die Gesundheitsberufe und danach vom Polizisten bis zum Lehrer alle sonstwie Systemrelevanten: Für eine solidarische Lösung, wie Gesundheitsminister Jens Spahn sie favorisiert, gibt es überzeugende ethische Argumente. In der nüchternen Logik der Mathematik dagegen könnte es sogar sinnvoller sein, Jüngere zuerst zu impfen – weil ein 25-Jähriger, der sich mit Corona infiziert hat, tendenziell deutlich mehr Menschen ansteckt als ein 85-Jähriger, der in einem Pflegeheim lebt.

    Corona-Impfung: Der Andrang bei den Ärzten wird groß sein

    Um das Risiko von Todesfällen und schweren Verläufen in den Risikogruppen zu mindern, wird Spahn dieser etwas zynische Argumentation sicher nicht folgen. In dem Moment jedoch, in dem der Impfstoff verfügbar ist, stellen sich auch so eine Reihe von brisanten Verteilungsfragen: Spätestens in Stufe drei der Impfstrategie, bei den besonders wichtigen Berufen, könnte die Debatte schnell eskalieren: Wird die Kindergärtnerin zuerst geimpft oder der Feuerwehrmann? Ist eine Kassiererin im Supermarkt nicht genauso systemrelevant wie eine Apothekerin oder ein Abgeordneter? Oder gilt hier schon das Motto, dass dann der zuerst mahlt, der zuerst kommt? Gerade in einem Wahljahr wie 2021 steckt in solchen Fragen enorme politische Sprengkraft. Der Andrang bei den Ärzten wird vermutlich groß sein, daher benötigen sie entsprechend klare Vorgaben. In der Pandemie entscheidet ja nicht die Medizin, wer wann geimpft wird, sondern die Politik.

    Verglichen damit ist die aktuelle Debatte, ob Deutschland nach der Zulassung von „BNT162b2“ genügend Impfstoff bekommt, von eher mäßiger Brisanz. Pfizer und Biontech sind nach eigenen Angaben in der Lage, bis zu 1,3 Milliarden Dosen innerhalb eines Jahres zu produzieren – für einen ersten schweren Schlag gegen Corona müsste das reichen, zumal der Wirkungsgrad mit mehr als 90 Prozent überdurchschnittlich hoch sein soll. Außerdem dürfte ein mit dreistelligen Millionenbeträgen aus dem deutschen Steuertopf gefördertes Unternehmen wie Biontech schon aus Eigeninteresse darauf achten, dass sein Heimatland bei der Vergabe nicht benachteiligt wird – immer vorausgesetzt, die euphorischen Erwartungen werden durch Rückschläge auf der Zielgeraden zur Zulassung nicht noch enttäuscht.

    Maske runter? Zu schön, um wahr zu sein

    Danach sieht es zwar nicht aus, die Illusion, Corona sei mit der Entwicklung eines vielversprechenden Impfstoffes schon so gut wie besiegt, sollte gleichwohl niemand haben. Für eine Übergangsphase, die durchaus ein Jahr und länger dauern kann, werden noch eine ganze Reihe von Einschränkungen gelten. Maske runter und zurück ins alte Leben: Diese Vorstellung ist, im Moment jedenfalls, noch zu schön, um wahr zu sein.

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