Es ist eine ungewohnte Stille in Rom. Nicht nur auf den Straßen, sondern auch politisch – und diese Stille um Mario Draghi hält weiter an. Dabei war am Ende einer intensiven Woche mit zig Sondierungsgesprächen alles ganz schnell gegangen: Am Freitagabend hatte Draghi bei Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella sein Mandat zur Regierungsbildung offiziell angenommen. Und schon am Samstagmittag wurde der 73-jährige Römer als neuer Ministerpräsident vereidigt, 23 Kabinettsmitglieder steuern mit ihm fortan die Geschicke der Republik. Doch auf ein Regierungsprogramm oder auch nur eine kurze inhaltliche Erklärung warteten die Italiener auch am Sonntag vergeblich. Noch herrscht Stille.
Italien wartet noch auf eine Ansprache von Mario Draghi
Mit dem Ex-Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) koordiniert nicht nur ein parteiübergreifend anerkannter Experte für Wirtschaft und Finanzen die Linien der Politik in Rom. Auch hält mit ihm eine für Italien ungewohnt ruhige Art der Kommunikation Einzug, die mit Reserviertheit noch schwach umschrieben ist. Bis zu den Vertrauensabstimmungen in Senat und Abgeordnetenhaus Mitte der Woche wird es wohl still um Draghi bleiben. Kein Kommentar, kein Tweet, kein Post auf Facebook, wie man es von seinen Vorgängern gewohnt war. Die 67. Regierung der Nachkriegszeit steht – doch sie ist anders als alles Dagewesene.
Die 23 Ministerposten besetzte der Ex-Bankier und Hochschullehrer in Abstimmung mit Staatsoberhaupt Mattarella. Er berücksichtigte die politischen Kräfteverhältnisse in seiner aus sechs größeren und weiteren kleineren Parteien bestehenden Koalition. Als weiterhin stärkste parlamentarische Kraft besetzt die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung vier Ministerien, der 34 Jahre alte Außenminister Luigi Di Maio blieb im Amt. Die rechte Lega stellt drei Regierungsmitglieder, ebensoviele Posten erhielten die Sozialdemokraten sowie Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Wie lange halten es diese bislang in offenem Konflikt koexistierenden Kräfte in einem Bündnis aus? Das ist nun die große Frage in Italien.
EU-Gelder: Brüssel fordert von Rom Pläne bis April
Auch wenn Draghi sein Regierungsprogramm noch schuldig ist, sind die Prioritäten ob der Pandemie und ihrer Folgen klar. Der Premier bestätigte Gesundheitsminister Roberto Speranza (Linkspartei Leu) im Amt: Im Umgang mit der Pandemie setzt Draghi also auf Kontinuität. Neben der Impfkampagne liegt der Schwerpunkt auf der Koordination und der Verteilung der EU-Hilfsgelder: Bis Ende April ist in Brüssel ein schlüssiger Ausgaben-Plan vorzulegen. Vier parteilose Experten bilden den Kreis, der unmittelbar mit der Verwendung der bis zu 209 Milliarden Euro befasst sein wird. Wirtschaftsminister Daniele Franco hat langjährige Erfahrung als Spitzenfunktionär bei der italienischen Zentralbank und im staatlichen Verwaltungsdienst, er gilt als Intimus des Ex-EZB-Chefs.
Als Minister für technologische Innovation wurde Ex-Vodafone-Manager Vittorio Colao vereidigt, der für die Vorgängerregierung bereits einen Plan zur Verwendung der EU-Milliarden erarbeitet hatte. Dritter im Bunde ist der Physiker Roberto Cingolani, der das Umweltministerium in eine Behörde für die „ökologische Wende“ umbauen soll. Als Minister für Infrastruktur und Verkehr amtiert der frühere Leiter des Statistikinstituts Istat, Enrico Giovannini. Der Premier behielt das Portfolio für Europaangelegenheiten für sich. Die wichtigsten Kontakte nach Brüssel koordiniert Draghi mit seinen exzellenten Kontakten also selbst.
Kritik: Von 23 Ministerien sind nur acht von Frauen besetzt
Kritik wurde bereits laut, da im Kabinett von 23 Ministerien nur acht von Frauen besetzt sind. Darunter sind die bisherige parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese sowie die neue Justizministerin Marta Cartabia, frühere Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes. Besonders in der Fünf-Sterne-Bewegung rumort es: In einer Urabstimmung hatten die Mitglieder am Donnerstag den Weg für die Regierung freigemacht. Die politische Ausrichtung des Kabinetts aber stößt vielen an der Parteibasis nun auf. Bei der Vertrauensabstimmung im Senat wird deshalb mit bis zu 40 Nein-Stimmen aus den Reihen der Fünf Sterne gerechnet.
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