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Interview: Wolfgang Schäuble: "Parlament ist der Ort für Streit nach Regeln"

Interview

Wolfgang Schäuble: "Parlament ist der Ort für Streit nach Regeln"

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    Wolfgang Schäuble macht sich Gedanken, wie der politische Diskurs digital gelingen kann.
    Wolfgang Schäuble macht sich Gedanken, wie der politische Diskurs digital gelingen kann. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Herr Präsident, diese Woche gab es im Bundestag schon große Aufregung um Störaktionen durch Gäste von AfD-Abgeordneten am Rande der Debatte über das Infektionsschutzgesetz. Sie haben die Verwaltung gebeten, rechtliche Möglichkeiten gegen die Täter und diejenigen zu prüfen, die den Störern Zugang verschafft haben. Gibt es schon Ergebnisse?

    Schäuble: Die Ermittlungen dauern noch an. Der Bundestagspolizei liegen zahlreiche Hinweise vor, die derzeit intensiv ausgewertet werden. Dazu gehört auch umfängliches Filmmaterial. Bei aller politischer Empörung gilt wie bei anderen Verfahren auch hier: Erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts können die Geschehnisse umfassend rechtlich bewertet und Fehlverhalten angemessen sanktioniert werden.

    Es war der erste Protest dieser Art, der ins Reichstagsgebäude gelangte. Vorher kam er dem Parlamentsgebäude sehr nahe. Müssen die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden? Von 210 Stellen bei der Bundestagspolizei sind 20 mangels Nachwuchs nicht besetzt, spielt das eine Rolle?

    Schäuble: Das hat damit nichts zu tun. Die Sicherheit der Abgeordneten war und ist gewährleistet. Die Präsenz von Beamtinnen und Beamten der Bundestagspolizei wurde auf der Plenarebene bereits früher sichtbar erhöht. Und wenn nach Abschluss der laufenden Prüfung unserer Sicherheitsvorkehrungen Änderungen bei den Regeln notwendig sind, werde ich den Fraktionen dazu Vorschläge machen.

    Es gibt eine juristische Bewertung des Vorfalls, aber auch eine moralische. Ausgerechnet das Reichstagsgebäude, dieses Symbol deutscher Parlamentsgeschichte, ist betroffen. Was haben Sie als langgedienter Abgeordneter angesichts dieses offensichtlichen Mangels an Respekt vor dem Bundestag und unserer Geschichte empfunden?

    Schäuble: Da muss man dann auch die Bilder des 29. August mit einbeziehen, als die Treppen des Reichstagsgebäudes kurzzeitig besetzt wurden. Das war unerhört. Eine der Konsequenzen war, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer im Einvernehmen mit mir Demonstrationen am vergangenen Mittwoch im befriedeten Bereich verboten hat. Das haben wir bisher ganz selten gemacht, denn auch deutlicher Protest gehört zur Demokratie. Aber hier ging es darum, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sicherzustellen. Im Juli haben sich übrigens Greenpeace-Aktivsten an der Westfassade abgeseilt und ein Transparent enthüllt. Damals war die Empörung nicht so groß. Wir können jedoch die Empörung über den Missbrauch des Reichstages als Kulisse nicht an den politischen Zwecken bemessen, wenn wir glaubwürdig bleiben wollen.

    Hintergrund der Proteste ist die Wut auf die politischen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Demnach müsste sich der Zorn legen, wenn die Pandemie durch einen Impfstoff beherrschbar geworden ist. Glauben Sie an eine solche Entwicklung?

    Schäuble: Wir sehen die generelle Entwicklung, dass sich die Gesellschaft verändert. Das gilt für die Einstellung mancher Teile der Bevölkerung, aber auch für die Medien. Die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen wird heftiger, gleichzeitig sind die Erregungswellen immer kurzfristiger. Für die Parteien und die Politik wird es dadurch schwieriger, den Menschen ein Grundvertrauen in die Funktionsweise der freiheitlich-rechtsstaatlichen Institutionen zu vermitteln. Das Debattenklima wird auch im Bundestag rauer. Aber die Frage ist, was Ursache und was Wirkung ist. Ich glaube nicht, dass die Härte der Auseinandersetzung im Bundestag die Ursache für die Härte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist. Es ist eher umgekehrt. Kontroverse Debatten gehören ins Parlament, hier ist der Ort für den Streit nach Regeln.

    Bund und Länder haben unter Leitung der Kanzlerin die Corona-Maßnahmen noch einmal verschärft. Der Bundestag war bei den Beratungen nicht vertreten. Nach außen könnte erneut der Eindruck entstehen, das Parlament sei im Corona-Kampf außen vor. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

    Schäuble: Es hat im Bundestag ein bisschen gebraucht – das lag auch an der für alle unkalkulierbaren Pandemie-Situation, die im Frühjahr schnelles staatliches Handeln erforderte. Aber wir haben, auch unter meiner Beteiligung, den Druck auf die Regierung verstärkt. Und der Gesetzgeber hat jetzt klargestellt, dass Bund und Länder in diesen schwierigen Fragen auf Grundlage der freien Entscheidung der Mehrheit unseres Parlaments handeln.

    Im strahlenden Sonnenschein schien die Corona-Pandemie noch einigermaßen ertragbar. Jetzt hält der graue Winter Einzug. Wie nehmen Sie die Stimmung im Land gerade wahr?

    Schäuble: Es ist für alle Abgeordneten schwieriger geworden, im direkten Austausch Stimmungen wahrzunehmen, weil wir durch die Kontaktbeschränkungen weniger mit Menschen zusammenkommen. Das ist schon eine schwerwiegende Beeinträchtigung für den demokratischen Prozess. Schauen wir dann auf die Umfragen, ist ein erstaunlich hohes Maß an Zustimmung zu den Maßnahmen von Bund und Ländern zu verzeichnen – trotz aller Proteste und öffentlichen Debatten. An der Corona-Pandemie sehen wir, dass Dinge passieren können, die wir nicht für möglich gehalten haben. Darin liegt bei allen Zumutungen der Krise auch eine Chance für unsere Gesellschaft.

    Herr Schäuble, Sie sind ein Kenner der Werke von Friedrich Hölderlin, der einst schrieb: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Was könnte das Rettende in der Corona-Pandemie sein?

    Schäuble: Wir wissen jetzt, dass wir bei der Produktion der Grundstoffe für wichtige Medikamente nicht völlig abhängig werden dürfen. Wir müssen in unserem Land und gemeinsam in Europa ausreichend Vorsorge treffen und uns als fähig erweisen, Masken, Schutzkleidung oder Medikamente selbst in ausreichendem Maße herzustellen. Um Churchill zu zitieren: Never waste a good crisis. Wir können jetzt als Europäer die richtigen Lehren aus der Krise ziehen und wo nötig umsteuern.

    Impfstoffe gegen Covid-19 sind in greifbare Nähe gerückt. Gleichzeitig geht Umfragen zufolge die Impfbereitschaft grundsätzlich zurück. Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie sich impfen lassen?

    Schäuble: Wir brauchen die Bereitschaft der Menschen, sich impfen zu lassen. Aber eine Impfpflicht wird es nicht geben. Das will niemand, der Verantwortung trägt. Ich gehe im Übrigen davon aus, dass die Zustimmung zum Impfen wieder wächst, wenn die Versorgung mit Impfstoffen erst einmal anläuft. Dann sollten in der ersten Impf-Runde vor allem diejenigen sein, die unmittelbar mit infizierten und mit besonders gefährdeten Menschen zu tun haben. Im Übrigen haben die Ständige Impfkommission, der Ethikrat und die Leopoldina in einem gemeinsamen Positionspapier bereits Empfehlungen für die sensible Frage gegeben, welche Priorisierung beim Zugang zum Impfstoff gelten sollte. Grundsätzlich bin ich sehr froh, dass nun bald verschiedene Impfstoffe zur Verfügung stehen – entwickelt auch in Deutschland. Und so werde ich wie viele andere vermutlich relativ bald in Abwägung der Risiken und möglicher Nebenwirkungen sagen können: Ja, ich bin froh, wenn ich die Impfung bekommen kann.

    Mit einem Impfstoff sind auch Großveranstaltungen wieder denkbar. Sollte die CDU mit ihrem Wahlparteitag über den 16. Januar hinaus abwarten und die Veranstaltung im gewohnten Format abhalten?

    Schäuble: Es war richtig, dass sich die drei Kandidaten auf einen gemeinsamen Vorschlag für einen Parteitag am 16. Januar 2021 geeinigt haben. Eine weitere Verschiebung macht die Lage nicht besser, wie auch das Interview meiner Parteivorsitzenden in Ihrer Zeitung zeigt.

    Sie meinen die Aussage von Frau Kramp-Karrenbauer, in der sie den Bewerbern um ihre Nachfolge einen „ruinösen Wettbewerb“ vorgeworfen hat, der die Partei belaste?

    Schäuble: Es ist ein normaler Wahlkampf zwischen drei Kandidaten. Das ist in der Demokratie erwünscht und erlaubt. Der Wahl von Frau Kramp-Karrenbauer vor zwei Jahren ist auch ein Wahlkampf vorausgegangen. Es war eine knappe Entscheidung, die akzeptiert worden ist. Dass die Parteivorsitzende dann anderthalb Jahre später ihren Rückzug angekündigt hat, lag nicht an mangelnder Loyalität ihrer früheren Gegenkandidaten.

    Sondern?

    Schäuble: Das hatte damit zu tun, dass die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz als Experiment, so hat Frau Merkel es selbst beschrieben, nicht erfolgreich war. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt neben einer angesehenen und erfolgreichen Kanzlerin, noch dazu in Zeiten, in denen eine Pandemie zu bewältigen ist, wenig Raum für eine Parteivorsitzende.

    Diese Situation haben wir heute auch.

    Schäuble: Deshalb habe ich schon früh den Vorschlag des CSU-Vorsitzenden Markus Söder unterstützt, sich – unabhängig von der Wahl des Parteivorsitzenden der CDU – über die Kanzlerkandidatur innerhalb der Union erst nach Ostern zu verständigen.

    Sie sind tief in die Partei hinein vernetzt. Rechnen Sie mit einem weiteren Kandidaten oder einer Kandidatin für den Parteivorsitz?

    Schäuble: Wir haben drei fähige Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen sind jeder für sich respektable Bewerber.

    Ist es vielleicht ein Problem, dass keine Kandidatin an den Start geht?

    Schäuble: Nach Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende bewerben sich jetzt halt mal drei Männer. Das kann man den Kandidaten nicht vorwerfen – und es wird auch mal wieder anders sein.

    Sie sind als gewandter Redner bekannt und von manchen als scharfzüngiger Redner gefürchtet. Die Parlamentsdebatte, auch die Parteitagsrede – sie leben aber nicht nur vom Wort, sondern auch von der nonverbalen Auseinandersetzung, von Gegenrede und Zwischenrufen. Kann ein glaubwürdiger demokratischer Diskurs überhaupt digital ausgetragen werden?

    Schäuble: Es gibt vieles, was wir jetzt neu lernen müssen. Vieles ist nicht mehr so, wie wir es gewohnt waren und gerne hätten. Wenn es analog nicht geht, dann muss es eben digital gehen. Der demokratische Diskurs verändert sich im Übrigen ständig durch neue Kommunikationsmittel. Es ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, unsere Formen von freiheitlicher Gesellschaft und freiheitlicher Demokratie unter den Bedingungen einer durch die Digitalisierung völlig veränderten Kommunikation wirkungsfähig zu halten. Da sind wir auch erst am Anfang der Bemühungen. Wir werden aber auch erleben, dass das Bedürfnis nach realen Begegnungen wieder wächst. Fußball ohne Fans, das geht auf die Dauer zum Beispiel auch nicht ganz einfach.

    In gut vier Wochen ist Weihnachten. Sie haben eine große Familie. Wie bekommen Sie die vor dem Hintergrund der Corona-Regeln an einen Weihnachtstisch?

    Schäuble: Ich hoffe sehr, dass meine Kinder und meine Enkel bei meiner Frau und mir sein können, soweit es die dann geltenden Regeln zulassen. Wichtigste Voraussetzung ist, dass alle gesund bleiben. Wir werden das, wie alle anderen auch, in diesem Jahr wohl kurzfristiger innerhalb der Familie entscheiden müssen. Wollen wir hoffen, dass es uns allen gelingt.

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