Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Interview: Theo Waigel: „Ich kann die Wut der Griechen gut verstehen“

Interview

Theo Waigel: „Ich kann die Wut der Griechen gut verstehen“

    • |
    Theo Waigel in seinem Wohnhaus in Seeg im Allgäu: "Wenn das Wachstum weiter steigt, dann werden auch die Zinsen wieder steigen."
    Theo Waigel in seinem Wohnhaus in Seeg im Allgäu: "Wenn das Wachstum weiter steigt, dann werden auch die Zinsen wieder steigen." Foto: Fred Schöllhorn

    Die Deutschen spüren die Eurokrise an vielen Stellen: Sparzinsen und Lebensversicherungen lohnen sich kaum noch, die private Altersvorsorge wird immer schwieriger. Aktien sind teuer wie nie. Es gibt zwar günstige Kreditzinsen, dafür steigen aber die Immobilienpreise und Mieten. Sind die Bundesbürger die Verlierer der

    Euro-Krise: Diese Finanzbegriffe sollten Sie kennen

    Staatsanleihen: Sie sind für Staaten die wichtigsten Instrumente, um ihre Finanzierung langfristig sicherzustellen. Der ausgebende Staat sichert in der Regel die Rückzahlung der Summe plus einen festen Zinssatz zu einem festgelegten Zeitpunkt zu. Die Laufzeiten liegen bei bis zu 30 Jahren.

    Auktion: Dies ist der bevorzugte Weg für Staaten, um ihre Schuldpapiere zu verkaufen. Einige Tage vor dem Verkauf werden Summe und Laufzeiten der Anleihen bekannt gemacht. An einem festgelegten Tag können dazu berechtigte Investoren ihre Gebote abgeben. Die Bieter mit den günstigsten Geboten erhalten den Zuschlag. In der Euro-Krise haben einige Staaten, darunter auch Deutschland, bei Auktionen auch schon nicht genug Käufer gefunden. Andere Staaten mussten höhere Zinsen als geplant bieten, um ihre Papiere loszuwerden.

    Primär- und Sekundärmarkt: Die Neuausgabe von Staatsanleihen wird als Primärmarkt bezeichnet. Danach werden sie wie gewöhnliche Wertpapiere weitergehandelt, am sogenannten Sekundärmarkt. Er funktioniert wie ein Gebrauchtwarenmarkt - bereits ausgegebene Staatsanleihen werden während ihrer Laufzeit weiterverkauft. Dabei können sie im Laufe der Zeit an Wert zunehmen oder verlieren. Ein Verkauf vor Ablauf der Laufzeit kann also Gewinn bringen - oder Verlust.

    Zins: Dies ist die Summe, die ein Schuldner - bei Staatsanleihen also der Staat - pro Jahr zusätzlich zahlen muss, damit er für eine bestimmte Zeit Geld geliehen bekommt. Bei den Staatspapieren haben die Zinsen für kriselnde Länder wie Italien in den vergangenen Wochen ständig neue Höchstwerte erreicht. Bei einer Neuausgabe zehnjähriger Staatsanleihen musste das Land zuletzt mehr als sieben Prozent Zinsen bieten - schon sechs Prozent Zinsen gelten als kritischer Wert, ab dem Länder wie Irland oder Griechenland um internationale Hilfe bitten mussten.

    Rating: Rating ist das englische Wort für Bewertung. Es wird für die Noten benutzt, die Prüfunternehmen - die Ratingagenturen - vergeben, um die Kreditwürdigkeit von Staaten zu beurteilen. Verschlechtern diese Unternehmen etwa wegen hoher Schulden die Note eines Landes, ist von einer Herabstufung die Rede. Das betroffene Land muss dann höhere Zinsen zahlen, um sich Geld zu leihen.

    Rendite: Damit wird im Prinzip der tatsächliche Gewinn bezeichnet, den ein Käufer von Schuldpapieren am Ende eines Jahres macht. Depotgebühren werden dabei eingerechnet genauso wie Kursgewinne oder -verluste. Die Rendite liegt derzeit in der Regel höher als der Zinssatz, der bei der Erstausgabe für die Staatsanleihen festgelegt wurde. Denn aufgrund der krisenhaften Entwicklung verlangen die Investoren am Sekundärmarkt Risikoaufschläge, wenn sie Staatspapiere kaufen. Unterm Strich zahlen sie damit für eine Anleihe also einfach weniger - und machen am Ende einen größeren Gewinn. An der aktuellen Rendite orientiert sich der künftige Zinssatz, der für neue Staatsschuldtitel bezahlt werden muss.

    Spread: Damit wird der Unterschied am Markt bei der Rendite von zwei Staatsanleihen angegeben. Dieser Wert, der in Basispunkten oder Prozentpunkten angegeben wird, ist umso höher, je größer das Risiko eines Zahlungsausfalls eines Landes ist. In der Euro-Krise sind die zehnjährigen Staatsanleihen Deutschlands ein Referenzwert, weil diese als besonders sicher gelten: Wenn also der «Spread» für Frankreich auf zwei Prozentpunkte steigt, dann bedeutet dies, dass das Land einen um diesen Wert höheren Zinssatz als Deutschland bei einer Neuausgabe von Schuldpapieren zahlen muss.

    Theo Waigel: Nein. Wir haben auch die positive Seite: Die Zahl der Arbeitsplätze ist höher als je zuvor. Die Bürger stellen als Steuerzahler auch den Bundeshaushalt dar und hier steigen die Steuereinnahmen stets stärker als erwartet. Der Haushalt profitiert durch niedrige Zinsen jedes Jahr in Höhe von 15 bis 20 Millionen Euro. Und was die niedrigen Sparzinsen anbelangt, muss man auf eines hinweisen: Wir hatten in den vergangenen Jahrzehnten sehr oft die Situation, dass die Zinsen niedriger waren als die Inflation. Aber es ist richtig, Anleger brauchen derzeit eine gute Beratung.

    Die Zeit für eine Steuerentlastung ist da

    Wie Sie sagen profitiert der Staat von den niedrigen Schuldenzinsen gewaltig und hat seit der Krise über hundert Milliarden Euro gespart. Die Steuerzahler spüren davon nichts: Bis auf die jüngste Ankündigung, die sogenannte kalte Progression zu entschärfen, halten Ihre Nachfolger, was Steuersenkungen angeht, den Staatssäckel fest verschlossen...

    Waigel: Ich erinnere mich gut daran, wie sehr mich Wolfgang Schäuble 1996 dazu gedrängt hat, eine Steuerreform mit einer realen Entlastung für die Bürger durchzuführen. Das war bei den Belastungen der Wiedervereinigung sehr schwierig, und wir haben unser Steuerkonzept gegen den Widerstand der SPD im Bundesrat leider nicht durchsetzen können. Heute bin ich es, der Steuerentlastung ist da. Das kann beim Solidaritätszuschlag stattfinden, wo der Bund nicht von der Länderzustimmung abhängig ist.

    Heißt das eine echte Steuersenkung noch vor der nächsten Wahl?

    Waigel: Ja, eine schrittweise Absenkung des Solidaritätszuschlags könnte schon in diesem Jahr beginnen.

    Waigel plädiert für eine symmetrische Finanzpolitik

    An welche Größenordnung denken Sie?

    Waigel: Ich möchte dem Bundesfinanzminister nicht dreinreden, aber wir hatten damals in der schwierigen Legislaturperiode 1994 bis 1998 den Solidaritätszuschlag von 7,5 auf 5,5 Prozent gesenkt. Unter schwierigeren Umständen, als sie der Finanzminister heute hat. Ich plädiere für eine symmetrische Finanzpolitik, die Konsolidierung und Entlastung des Steuerzahlers berücksichtigt.

    Bei diesen 5,5 Prozent liegt der Soli heute noch. Was wäre denn heute eine spürbare Entlastung?

    Waigel: Eine Senkung um eineinhalb bis zwei Prozentpunkte würde ich noch in dieser Legislaturperiode für realistisch halten.

    Wie lange kann sich Europa die Niedrigzinspolitik noch leisten?

    Waigel: Nicht ewig. Wenn das Wachstum weiter steigt, dann werden auch die Zinsen wieder steigen.

    Anleihenkauf-Programm sollte ständig überprüft werden

    Die Europäische Zentralbank pumpt derzeit mit einem umstrittenen Programm zum Kauf von Staatsanleihen zig Milliarden Euro in die Märkte. Viele kritisieren dieses Gelddruck-Programm. Wie sehen Sie das?

    Waigel: Ich habe vergangene Woche mit EZB-Chef Mario Draghi intensiv über dieses Thema gesprochen. Wir sollten das Anleihenkauf-Programm Monat für Monat nüchtern überprüfen. Das macht die EZB. Jedenfalls hat dieses Programm bisher nicht geschadet. Der Vorteil der EZB ist, wenn das angepeilte Ziel einer Inflation von knapp unter zwei Prozent in der Eurozone erreicht ist, kann sie das Ankaufprogramm auch wieder stoppen.

    Griechenland bleibt ein Krisenherd der Europolitik. Wie groß ist die Gefahr, dass sich die EU von Athen am Ende erpressen lässt?

    Waigel: Man darf sich weder privat, beruflich noch in der Politik erpressen lassen. Schon gar nicht, wenn man weiß, dass der Kurs Europas in der Eurokrise richtig ist. Das zeigt sich an den positiven Beispielen Irland, Portugal, Spanien und sogar in Zypern. Und nicht zuletzt würde man die Länder im Baltikum für ihre Leistungen geradezu bestrafen, wenn man jetzt den Kurs ändert. Sie haben gewaltige Anstrengungen unternommen, um die Euro-Reife zu erreichen. Das muss der Regierung in Athen unmissverständlich klargemacht werden.

    Austritt Griechenlands aus der EU?

    In Ihrer Partei liebäugeln viele mit einem Austritt Griechenlands aus dem Euro als der besten Lösung.

    Waigel: Solche Stimmen gibt es nicht nur in der CSU, sondern auch in anderen Parteien, in anderen EU-Ländern und nicht zuletzt in Griechenland selbst. Aber das wäre für alle Beteiligten die unangenehmste Lösung. Doch, wenn die griechische Regierung nicht bereit ist, das Notwendige und Richtige zu tun, liegt es allein in ihrer Verantwortung, wenn es zu etwas kommt, das eigentlich niemand will.

    Für wie groß halten Sie das Risiko, dass die Regierung in Athen das Land mutwillig oder unabsichtlich in die Pleite treibt?

    Waigel: Diese Herrschaften sind nicht ganz kalkulierbar. Aber ich hoffe, sie sind intellektuell in der Lage, zu verfolgen, wie sich die Dinge in anderen Ländern positiv entwickelt haben. Ich kann die Wut der Menschen in Griechenland gut verstehen. Aber zu einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung führt nur ein Weg: Reformen, die zu mehr Investitionen führen, und die Konsolidierung des Staatshaushalts. Griechenland war bereits auf einem guten Weg mit Wirtschaftswachstum. Aber das ist durch den Hickhack zerstört worden, für den die neue Regierung verantwortlich ist.

    Europa ist auf einem guten Weg

    Wie groß sind die Risiken in den großen Ländern Frankreich und Italien?

    Waigel: Die Wachstumszahlen in Europa sind besser als erwartet. Das Defizit Italiens liegt unter drei Prozent. Ministerpräsident Matteo Renzi hat einiges an Reformen angestoßen und schwierige Probleme angepackt. Die Strukturreformen in Frankreich haben fast zu lange auf sich warten lassen: Aber auch hier kann die Regierung bessere Wachstumszahlen vorweisen und sie reduziert das Defizit. Wenn die Reformen weitergehen, ist Europa auf einem guten Weg. Die positiven Zukunftserwartungen drücken sich auch in einem wieder steigenden Kurs des Euro aus.

    Nicht wenige glauben, dass Deutschland mit der D-Mark heute besser dastünde als mit dem Euro...

    Waigel: Die Mehrheit der Deutschen sieht den Euro trotz aller Probleme der vergangenen Jahre überwiegend positiv. Das ist eine beachtliche Entwicklung. Ohne den Euro hätten wir in Europa jeden Tag eine Achterbahnfahrt der Währungen gegeneinander, nach oben und nach unten. Wir hätten in Europa viel mehr Probleme und Streit. Der Euro ist unverzichtbar. Man braucht nur in die Schweiz zu schauen: Ich habe im letzten Skiwinter auf den Pisten im Allgäu

    Frieden in Europa wird als selbstverständlich betrachtet

    Dieser Tage wurde viel des Kriegsendes vor 70 Jahren gedacht. Helmut Kohl hatte oft die friedenstiftende Rolle des Euro für die Zukunft betont. Wie wichtig ist dieser Gedanke heute noch?

    Waigel: Das hat nicht nur Helmut Kohl gesagt. Die Diskussion gibt es seit 1945. Ich zitiere immer den Gründer der CSU, Josef Müller, genannt Ochsensepp. Nachdem er den Konzentrationslagern in Flossenbürg und Dachau und der SS-Geiselhaft in Südtirol entkommen war, hat er gesagt: „Wir brauchen eine gemeinsame europäische Währung, weil Länder die eine gemeinsame Währung haben, nie mehr Krieg gegeneinander führen.“

    Was bedeutet dieser Satz für Sie?

    Waigel: Heute wird der Frieden in Europa als etwas Selbstverständliches betrachtet. Mein älterer Bruder ist 1944 im Elsass gefallen. Ich werde immer wieder darauf angesprochen, dass auf seinem Grabstein auf dem Soldatenfriedhof in Bad Niederbronn Euro-Münzen liegen. Der französische Leiter der Albert- Schweitzer-Jugendbegegnungsstätte führt Jugendliche dorthin und erzählt ihnen, dass zur Zeit, als dort die Soldaten gegeneinander kämpften, beide Seiten der Münzen in ihren Taschen Nationalsymbole trugen. Die Euro-Münzen sind für ihn ein Symbol – mit einer nationalen und einer friedensstiftenden europäischen Seite.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden