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Interview: Manfred Weber: "Ich will Europa den Menschen zurückgeben"

Interview

Manfred Weber: "Ich will Europa den Menschen zurückgeben"

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    CSU-Politiker Manfred Weber ist der Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl.
    CSU-Politiker Manfred Weber ist der Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

    Herr Weber, Sie wollen als Spitzenkandidat der EVP – und hierzulande von CSU und CDU – Chef der EU-Kommission werden. Wie würden Sie eigentlich den typischen

    Manfred Weber: Kommissionsbeamte sind fachlich qualifiziert und arbeiten fleißig. Aber für die Zukunft muss noch klarer sein, dass gewählte Politiker entscheiden, wie es in Europa weitergeht – nicht Bürokraten. Das ist meine große Mission: Ich will

    Sie schimpfen also über die „Brüsseler Blase“, sind als langjähriges Mitglied des Europaparlaments aber Teil dieser Blase. Wie sollen ausgerechnet Sie die platzen lassen?

    Weber: Es gibt zwei Seiten: Wir haben ja in Europa auch viel erreicht. Wir leben auf einem freien, wirtschaftlich starken Kontinent, der uns Sicherheit und Stabilität gibt. Aber wenn wir weiter eine gute Zukunft wollen, brauchen wir Reformen. Deshalb trete ich mit einer Agenda an, deren Grundbotschaft ist: Wir benötigen den Willen zu echter Partnerschaft und Zusammenhalt unter den Nationen. Denn die Hauptkräfte, die uns herausfordern, sind die Nationalisten.

    Manfred Weber: Europa wird seine Grenzen schützen

    Partnerschaft? Zu Europa fällt uns gerade ein anderer Grundsatz ein: Jeder ist sich selbst der Nächste.

    Weber: Wir streiten gerade so viel in Europa, weil wir uns in theoretischen Debatten verlieren statt konkrete Projekte anzugehen. Werde ich Kommissionspräsident, will ich etwa die Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden. Europa braucht Grenzen und Klarheit, wo die EU endet. Meine zweite Zusage lautet: Europa wird seine Grenzen schützen. Wir müssen sicherstellen, wer sich auf europäischem Grund und Boden aufhält. Wer an der Außengrenze keinen Pass vorweisen kann, der muss konsequent abgewiesen werden.

    Das sind die Klassiker.

    Weber: Ja, ich möchte aber auch noch einen dritten Punkt mit einem Zukunftsansatz ergänzen: Ich gebe die Zusage, dass ich als Kommissionspräsident alle Gelder und alles Know-how, das wir haben, bündeln möchte im Kampf gegen Krebs. Die Wissenschaft weiß, dass wir diese Krankheit stoppen können, wenn wir den Willen dazu haben. Und wir Europäer können so die Welt zu einem besseren Platz machen.

    Klingt gut, aber das Grundproblem bleibt: Viele Bürger sehen „Brüssel“ als abgehobene Regulierungs-hauptstadt. Auch Jean-Claude Juncker, erster direkt gewählter Kommissionspräsident, hat daran nichts geändert.

    Weber: Die letzten Jahre befand sich Europa im Krisenmodus. Erst gab es die Eurokrise, dann die Migrationskrise. Die wichtigste Frage nun ist, wie aus diesem wirtschaftlichen Giganten Europa nun auch ein politischer Gigant wird. Es gäbe weniger syrische Flüchtlinge, wenn Europa früher in Syrien eine aktive Rolle übernommen hätte. Noch heute ist in

    EVP-Spitzenkandidat Weber fordert nach Datenklau europäische Cyber-Einheit

    Wie könnte eine gemeinsame europäische Außenpolitik aussehen?

    Weber: Wir müssen in den nächsten Jahren eine europäische Interventionstruppe aufstellen, beispielsweise für Afghanistan, für die Sahel-Zone. Und wir müssen eine europäische Cyber-Security-Einheit aufbauen. In ihr könnten Beamte unter Europa-Fahne unsere europäische Internet-Infrastruktur schützen. Das ergibt gemeinsam einfach Sinn. Vielleicht müssen wir sogar einmal Gegenoffensiven starten, wenn wir von Staaten im Internet attackiert werden.

    Brauchen wir vielleicht einfach weniger Europa statt mehr Europa?

    Weber: Die EU muss schneller werden in ihren Entscheidungen und ihre Grenzen kennen. Ich trete ausdrücklich für einen Ausgabencheck auf europäischer Ebene ein. In der Finanzgesetzgebung etwa haben wir in den vergangenen Jahren eine Fülle von Gesetzen verabschiedet. Heute sollten wir uns hinsetzen und schauen: War das alles im Detail notwendig? Aber in der Außen- und Sicherheitspolitik brauchen wir beispielsweise mehr Europa.

    Haben Sie nicht Bammel vor einem möglichen ersten Tag bei der Kommission? Als neuer Chef von 30.000 hoch qualifizierten Beamten, Sie ohne jede Regierungserfahrung...

    Weber: Diese Frage würden Sie einem neuen Minister oder Bundeskanzler in Berlin nie stellen. Ich bin vom Volk gewählter Politiker. Ich habe vier Jahre lang die größte Fraktion im Europäischen Parlament geführt. Schon daher kenne ich die Sorgen der Menschen in vielen europäischen Ländern, weil ich etwa schon in Bulgarien, in Kroatien, in Spanien unterwegs war.

    Sie sind aber auch Bayer. Viele in Europa erinnern sich, dass die CSU vor fünf Jahren noch Europawahlkampf zu angeblichen osteuropäischen Sozialschmarotzern gemacht hat mit Slogans wie „Wer betrügt, der fliegt“.

    Weber: Ich habe damals vor dieser Art von Wahlkampf gewarnt. Heute ist der Weg der CSU zum Glück glasklar: Wir wollen Europa – und zwar nicht erleiden, sondern mitgestalten. Natürlich bin ich Deutscher, und Bayer. Aber jeder, der in Europa Verantwortung übernimmt, muss an Gesamteuropa denken.

    In bayerischen Bierzelten taugt die „Brüsseler Kommission“ aber immer noch als beliebte Zielscheibe.

    Weber: Die CSU war und ist eine pro-europäische Partei. Aber sie hat immer auch um ihren Europakurs gerungen, was gut war. Die Menschen müssen sehen, dass wir es uns nicht leicht machen mit Themen wie der Eurorettung. Aber am Ende muss die Grundrichtung klar sein. Der Freistaat Bayern kann gar keine andere Zukunft haben als eine Verankerung in Europa.

    Ministerpräsident Markus Söder unterstützt Sie voll Leidenschaft. Vielleicht aus Freude, dass Sie ihm nicht den CSU-Vorsitz streitig machen?

    Weber: Die CSU wird in den nächsten Jahren als Mannschaft auftreten. Wer sich in der europäischen Parteienlandschaft umsieht, erkennt, dass viele christdemokratische und sozialdemokratische Parteien bereits zerstoben sind. Für die deutsche Unionsfamilie steht die Frage im Raum, ob wir den gleichen Weg gehen oder ob uns ein Gegenentwurf gelingt. Ich bin vom Erfolg fest überzeugt.

    Sie sind zwar Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl – doch selbst wenn ihre Partei stärkste Kraft wird, ist nicht klar, ob Sie danach zum Kommissionspräsidenten gewählt werden. Entscheiden werden die Staats- und Regierungschefs.

    Weber: Was ist falsch an der Idee, den Leuten vor der Wahl zu sagen, wer anschließend Europa führen soll? Deshalb wird die EVP dieses Prinzip mit aller Kraft verteidigen. Alle großen Parteien haben ihre Kandidaten aufgestellt, damit machen sie auch ein Versprechen. Ich bin überzeugt, dass der Spitzenkandidat der siegreichen Partei Kommissionspräsident werden muss.

    Wie viel Europäerin ist Angela Merkel?

    Und wenn Kanzlerin Angela Merkel nach der Wahl davon nichts mehr wissen will?

    Weber: Ich habe keine Zweifel daran, dass mich Angela Merkel unterstützt. Darüber hinaus kann ich auf die acht Staats- und Regierungschefs der EVP vertrauen. Das ist eine solide Grundlage. Entscheidend wird sein, ob die EVP bei der Europawahl stärkste Fraktion wird.

    Sollten Sie schlecht abschneiden, könnte Kanzlerin Angela Merkel zu einem früheren Abschied aus dem Kanzleramt gedrängt werden. Spüren Sie von ihr Druck?

    Weber: Ich sehe dieses Szenario nicht. Wir haben gute Chancen, dass wir als Union gestärkt aus der Europawahl hervorgehen. Ohnehin ist Angela Merkel die starke Führungskraft Europas. Sie genießt großen Respekt. Gerade in einer Phase, in der sich die EU neu aufstellen will, wird Frau Merkel eine wesentliche Rolle spielen müssen.

    Ist Merkel überhaupt eine gute Europäerin? Immerhin hat sie Europa mit ihrer Migrationspolitik klar an seine Grenzen gebracht.

    Weber: Natürlich vertritt Angela Merkel deutsche Interessen – das ist ihre Aufgabe als Kanzlerin. Aber ich sehe nur sehr wenige, die ihr vorwerfen, sie hätte sich zu wenig um Europa gekümmert. Sie hat die Wirtschafts- und Währungskrise gemanagt, wir haben in Europa 13 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. In Sachen Klimaschutz ist Europa der führende Kontinent, auch dank der Kanzlerin. Merkels Bilanz ist sehr, sehr gut. Jetzt müssen wir aber in die Zukunft schauen. Und da brauchen wir unter anderem einen europäischen Arbeitsmarkt. Wenn ein Ingenieur aus Mailand arbeitslos wird, muss er wissen, dass er auch in Bayern nach einem Job suchen kann.

    Das scheitert oft an der Sprache.

    Weber: Natürlich ist die Sprache eine Herausforderung. Aber im Forschungs- und Innovationszentrum von BMW bei München ist auch Englisch die Umgangssprache. Ich will keine Vereinheitlichung von Sozialsystem oder Arbeitslosenversicherungen wie die SPD. Doch ich will ganz klar einen mobilen europäischen Arbeitsmarkt.

    Europa-Politiker Weber geht auf Distanz zu ungarischem Regierungschef Orban

    Einer ihrer Unterstützer ist der akut unter Autokratieverdacht stehende Ungar Viktor Orban. Ist Ihnen das nicht peinlich?

    Weber: Ich habe viel zu kritisieren an Viktor Orban. Da sage ich klipp und klar meine Meinung. Für uns in der EVP gibt es keinen Rabatt in Sachen Grundrechte. Die europäischen Prinzipien gelten. Andererseits ist Viktor Orban gewählter Regierungschef seines Landes. Wir müssen mit den Politikern arbeiten, die in Verantwortung stehen.

    Herrn Orban aus Ihrer EVP-Familie zu schmeißen ist also keine Option?

    Weber: Ich erlebe so oft, dass sich Politiker wie Emmanuel Macron in Interviews gegen Viktor Orban stellen und Konflikte schüren. Aber wenn die Staats- und Regierungschefs zusammen sind, hat es bislang keine einzige Diskussion darüber gegeben, dass Ungarn Nichtregierungsorganisationen unter Druck setzt.

    Gibt es überhaupt noch einen Konsens, was europäische Grundwerte sind?

    Weber: Es gibt eine Basis. Gleichzeitig würde ich vor der Annahme warnen, dass wir im „alten Europa“ immer genau wussten, was richtig war. Die EU hat sich verändert und wir müssen mit Respekt aufeinander zugehen. In der Eurokrise haben wir Deutschen etwa zu wenig die Probleme Italiens und Griechenlands wahrgenommen, zu wenig gesehen, wie viele Zukunftshoffnungen der jungen Generation zerstört worden sind. Heute müssen wir respektieren, dass Länder wie Ungarn und Polen ein stärkeres Bewusstsein für nationale Identität haben, weil sie junge Demokratien sind. Ich werbe dafür, in Europa miteinander zu reden anstatt immer übereinander zu reden.

    Worüber noch immer am meisten Streit herrscht, ist die Flüchtlingspolitik. Die CSU will straffällig gewordene Migranten schneller abschieben. Teilen Sie diese Pläne?

    Weber: Die Grundbedingung der CSU und der EVP für alles beim Thema Migration ist die Grenzkontrolle, die Vergewisserung, wer sich auf europäischem Grund und Boden befindet. Wir müssen dafür sorgen, dass Recht und Ordnung in Europa umgesetzt werden – und dazu gehört auch die Abschiebung. Ich unterstütze alle Initiativen, die deutlich machen, dass diejenigen, die ihr Gastrecht verwirkt haben, weil sie straffällig geworden sind, umgehend das Land verlassen müssen. Dazu kann auch Europa einen wesentlichen Beitrag leisten. Denn wenn wir Europäer gemeinsam den Herkunftsstaaten sagen: Wir sind bereit, unsere Unterstützung fortzusetzen und auch unsere Handelsmärkte zu öffnen, aber ihr müsst auch eure abgelehnten Staatsbürger zurücknehmen – dann sind Rückführungsabkommen vielleicht leichter abzuschließen. Wir wollen, dass die Asylverfahren zügig abgeschlossen werden und schneller abgeschoben wird.

    Muss man also notfalls Härte zeigen?

    Weber: Ich glaube, dass man an der Außengrenze entschieden durchgreifen muss. Das heißt beispielsweise, dass heute in der Ägäis nicht nur Grenzschutz-Boote patrouillieren, sondern auch Nato-Schiffe. Damit zeigen wir, dass sich Europa von Schlepperbanden nicht vorführen lässt. Der Staat hat das Gewaltmonopol und setzt das auch durch. Deshalb müssen wir alle staatlichen Mittel einsetzen, um deutlich zu machen, dass wir uns von niemandem vorführen lassen. Das funktioniert schon jetzt in Partnerschaft mit Libyen und der Türkei.

    Soll gegen Migranten, die schwere Straftaten begangen haben, ein dauerhafter Einreisestopp für Deutschland verhängt werden?

    Weber: Ja, das wäre richtig. Wer schwere Straftaten begangen hat, muss damit leben, dass er sich bei uns nicht mehr um Asyl bewerben kann. Das ist auch im Interesse derer, die echten Schutz benötigen. Weil dann klar wäre, dass diejenigen, die sich korrekt verhalten – und das ist die überwältigende Masse – unterstützt werden können.

    Der Euro ist gerade 20 geworden. Ist das für Sie ein Grund zum Feiern?

    Weber: Der Euro gibt Europa Gewicht in der Welt, er ist stabil, er sorgt für niedrige Inflationsraten und geringere Neuverschuldung. Aber er hat natürlich auch Herausforderungen mit sich gebracht, wie die Eurokrise gezeigt hat.

    Prämisse beim Eurostart war: Der wirtschaftlichen Union folgt die politische. Das ist bis heute nicht passiert.

    Weber: Auch ich würde mir manchmal mehr wünschen. Aber es ist doch neu in Europa, dass Verschuldung ein Thema ist, um das gerungen wird. Das hat es noch vor zehn Jahren nicht gegeben, da haben Regierungen sich einfach weiter verschuldet.

    Weber kritisiert Emmanuel Macron

    Aber auch jetzt wollen Länder wie Italien doch vor allem Ausnahmen – und in Frankreich stockt der Reformkurs von Hoffnungsträger Emmanuel Macron auch schon.

    Weber: Präsident Macron ist ein junger, für den Kontinent kämpfender Politiker. Ich bin froh, dass wir ihn haben. Aber er ist natürlich auch in den Mühlen des Alltags angekommen. Seine wichtigste Aufgabe ist es, die Reformpolitik in Frankreich fortzusetzen. Wir müssen uns bewusst machen: Momentan liegt in den Umfragen die rechtsextreme Partei von Marine Le Pen vorne. Deshalb betone ich es noch einmal: Die Europawahl ist keine Nebenwahl, es ist eine Richtungswahl. Es geht um die Frage, ob im Europäischen Parlament noch eine Mehrheit von Abgeordneten sitzt, die Europa partnerschaftlich gestalten wollen.

    Sie haben in der Migrationsdebatte oft gesagt, dass die CSU Europa „gerockt“ habe. Was hört der Musikfan Manfred Weber privat?

    Weber: Ich mag Rock, höre aber zunehmend gerne Klassik. In meiner Jugend habe ich so viel Pop und Rock gespielt, dass ich heute manchmal eher die leiseren Töne bevorzuge.

    Sie waren E-Gitarrist in einer Band namens „Peanuts“ – und die haben einen Song komponiert namens „Rieseng´fühl“. Wird das ihre Siegeshymne bei der Europawahl im Mai?

    Weber: Das ist ein Liebeslied. Und so sehr ich Politik mag – Liebe und

    Was das politische Berlin von Manfred Weber hält, lesen Sie hier.

    Und wie die CSU zur EU steht, können Sie hier nachlesen. Einen Kommentar zur Bedeutung Europas finden Sie hier.

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