Der Streit um den richtigen Weg aus der Corona-Krise wird mit immer härteren Mitteln ausgetragen. Am Mittwoch haben der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Chefvirologe des Robert-Koch-Instituts, Christian Drosten, Drohbriefe erhalten. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wird in sozialen Netzwerken mit Hass überzogen. Im Live-Interview unserer Redaktion warnte der CDU-Politiker vor einer neuerlichen Spaltung der Gesellschaft. Am Anfang der Pandemie habe es ein neues Wir-Gefühl gegeben, nun drohe eine ähnliche Polarisierung wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. „Wir müssen sehr aufpassen, dass uns das nicht wieder passiert“, sagte der CDU-Politiker.
Jens Spahn fordert offene Debatten-Kultur in der Corona-Krise
Den Vorwurf, über die drastischen Einschränkungen sei zu wenig diskutiert worden, hält Spahn für unangebracht. Zur vermeintlichen Alternativlosigkeit der Regierungspolitik sagte er lakonisch: „Es gibt natürlich immer eine Alternative. Eine Alternative wäre zum Beispiel gewesen, nichts zu tun und sich das Virus einfach weiter ausbreiten zu lassen.“ Obwohl immer noch eine große Mehrheit der Deutschen hinter den Maßnahmen im Kampf gegen das Virus steht, wird die Stimmung vergifteter. Auf sogenannten Corona-Demos schlägt den politisch Verantwortlichen Verachtung entgegen. Eine Umfrage von Infratest dimap ergab, dass jeder fünfte Wahlberechtigte der Meinung ist, dass „Politik und Medien die Gefährlichkeit des Coronavirus ganz bewusst übertreiben, um die Öffentlichkeit zu täuschen“. Häufiges Ziel der Anfeindungen ist Gesundheitsminister Spahn.
Der 40-Jährige fordert eine offene Debattenkultur: „Entscheidend ist die Frage: Wollen wir einander zuhören und verstehen, warum jemand eine andere Position hat als man selbst, oder ist jeder in seiner Echokammer und es wird immer polarisierter und man beschimpft sich und macht sich gegenseitig Vorwürfe?“ Spahn appelliert an die Protestierenden, sich nicht von Verschwörungstheoretikern vereinnahmen zu lassen. „Debatten sind auch lebensnotwendig für eine Demokratie. Den Demonstranten sollte aber klar sein, mit wem sie demonstrieren. Man muss nach links und rechts schauen, wer da so dabei ist.“
Bundesländer im Osten wollen schnellere Lockerungen der Corona-Beschränkungen
Die Ministerpräsidenten der Länder reklamieren die Entscheidungshoheit über die Maßnahmen inzwischen für sich. Formal haben sie ohnehin die Befugnisse, doch auf dem Höhepunkt der Krise hatten sich Bund und Länder geeinigt, gemeinsam vorzugehen. Am Dienstagabend beschlossen sie, dass die Kontaktbeschränkungen – also die Vorgaben, wie viele Menschen sich wo treffen dürfen – noch mindestens bis 29. Juni gelten sollen. Vor allem im Osten, der von Infektionen weniger stark betroffen ist, ist der Wunsch nach schnelleren Lockerungen aber groß. Am Mittwoch sprach Kanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefs der ostdeutschen Bundesländer. Vom Vorpreschen des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der die Einschränkungen quasi komplett abschaffen will, ist sie wenig begeistert. Der Mindestabstand von eineinhalb Metern müsse eine Verpflichtung bleiben. „Denn sonst kann es sehr schnell zu der Situation kommen, dass die sich durchsetzen, die stärker sind, und die, die etwas schwächer sind, sich gar nicht mehr auf die Straße trauen“, warnte Merkel.
Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Jens Spahn: Jens Spahn zu Corona-Schutz: "Die Vernunft gebietet, sich impfen zu lassen"
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