Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Corona-Impfung: AstraZeneca-Stopp sorgt für neues Impfchaos: Wie geht es weiter?

Corona-Impfung

AstraZeneca-Stopp sorgt für neues Impfchaos: Wie geht es weiter?

    • |
    Leere Ampulle des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca. Nach dem Impf-Stopp gibt es viele ungeklärte Fragen. Was passiert etwa mit Patienten, die nur eine Erstimpfung erhielten?
    Leere Ampulle des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca. Nach dem Impf-Stopp gibt es viele ungeklärte Fragen. Was passiert etwa mit Patienten, die nur eine Erstimpfung erhielten? Foto: Andreas Arnold, dpa

    Die Aussetzung der Impfungen mit dem AstraZeneca-Impfstoff sendet Schockwellen durch die Politik. Denn die Hiobsbotschaft stellt die bisherige Impfstrategie komplett infrage. Bange Fragen stehen nun im Raum: Wie geht es mit der ohnehin schleppend verlaufenden Immunisierungskampagne weiter? Ist das Versprechen der Regierung, dass jeder Bundesbürger bis zum Herbst ein Impfangebot erhält, überhaupt noch zu halten? Und was bedeutet die AstraZeneca-Aussetzung für den Kampf gegen die dritte Corona-Welle?

    Deutschland und mehrere EU-Staaten verhängen Impf-Stopp für AstraZeneca

    Stephan Pilsinger ist Allgemeinarzt und Politiker, in Fragen der Pandemie suchen hochrangige Unionspolitiker den Rat des CSU-Bundestagsabgeordneten. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt sich Pilsinger entsetzt über die Entwicklung: „Bei einer langfristigen Aussetzung der Impfungen von AstraZeneca ist das Wettrennen gegen die Dritte Welle nicht mehr zu gewinnen.“ Im Hinblick auf die Ausbreitung gefährlicher Corona-Varianten sei die Lage nun ausgesprochen ernst. Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen hält Pilsinger jedenfalls für falsch: „Wir werden an Ostern höhere Infektionswerte sehen, als an Weihnachten.“

    Am Montag hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mitgeteilt, dass keine Corona-Schutzimpfungen mit dem Präparat von AstraZeneca mehr stattfinden, bis Klarheit über mögliche schwere Nebenwirkungen besteht. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) führt nun entsprechende Untersuchungen durch. Zuvor hatten mehrere europäische Länder die Immunisierung mit dem AstraZeneca-Wirkstoff gestoppt. Grund sind Berichte über Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung. Dass die Impfung auch tatsächlich die Ursache für die gefährlichen Blutgerinnsel war, gilt jedoch in keinem Fall als erwiesen. Laut Bundesgesundheitsministerium sind seit Beginn der Impfung mit AstraZeneca sieben solcher Fälle in Deutschland registriert worden – davon drei mit tödlichem Ausgang. Nach Einschätzung des Paul-Ehrlich-Instituts sind das etwas mehr, als statistisch auch ohne Impfung zu erwarten wäre. Auffällig sei zudem, dass auch jüngere Menschen betroffen sind – besonders Frauen.

    Europäische Arzneimittelbehörde EMA glaubt weiter an Nutzen von AstraZeneca-Impfstoff

    Die europäische Arzneimittelbehörde (Ema) teilte mit, dass die Berichte über Thrombosen genau überprüft werden. Bis Donnerstag solle eine Stellungnahme vorliegen, wie die Empfehlungen über die weitere Verwendung des AstraZeneca-Impfstoffs ausfällt. Weiterhin ist die Behörde überzeugt, dass der Nutzen der AstraZeneca-Impfung die Risiken übersteige. Der Ema waren bei europaweite knapp fünf Millionen mit AstraZeneca geimpften Personen 30 Fälle von Blutgerinnungsstörungen nach erfolgter Impfung gemeldet worden. Anders als das PEI hält die Behörde die Zahl damit nicht für höher, als in der Gesamtbevölkerung zu erwarten.

    Als Reaktion auf den Stopp des Vakzins des britisch-schwedischen Herstellers hat die die Bundesregierung den für diesen Mittwoch geplanten Impfgipfel von Bund und Ländern verschoben, bis mehr Erkenntnisse vorliegen. Gesundheitsexperte Pilisinger ist überzeugt, dass es jetzt vor allem ums Tempo geht: „Es bedarf einer schnellen Überprüfung, ob der Impfstoff von AstraZeneca wirklich gefährliche Nebenwirkungen hat.“ Allerdings dürfe Schnelligkeit nicht auf Kosten von Gründlichkeit gehen. „Wenn das Paul-Ehrlich-Institut hier Bedenken hat, ist es richtig, eine genaue Überprüfung durchzuführen.“

    Die Aussetzung des Astra-Zeneca-Impfstoffs führt zu einer Verschärfung der Engpässen bei den Impfungen. Allein in Thüringen fallen nach Angaben des Landesgesundheitsministeriums rund 20.000 Impftermine pro Woche aus. Offen ist zudem eine brisante Frage: Was bedeutet die neue Lage für die Menschen, die bereits eine erste Dosis AstraZeneca-Impfstoff erhalten haben? Denn erst nach einer zweiten Dosis gilt ja ein sicherer Impfschutz als erreicht. Sie wird in der Regel drei Wochen nach der ersten verabreicht. Laut Bundesgesundheitsministerium ist noch nicht klar, ob auch eine Zweitimpfung mit einem anderen Impfstoff entsprechend wirkt. Allerdings sorge bereits eine Erstimpfung für einen guten Schutz gegen einen schweren Verlauf einer Corona-Infektion. Eine Gefahr gehe nicht davon aus, die zweite Impfung auszulassen. Sollte der Impfstoff zugelassen bleiben, solle die zweite Impfung auf jeden Fall verabreicht werden. Sie verstärke den Schutz um ein Vielfaches.

    Impf-Stopp mit AstraZeneca: Was passiert mit Patienten, die nur eine Erstimpfung erhalten haben?

    Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) geht davon aus, dass Menschen, die eine Erstimpfung mit AstraZeneca-Impfstoff erhalten haben, auch bei der zweiten Impfung genau diesen Impfstoff bekommen müssten. Würde AstraZeneca, was er nicht hoffe, vom Markt genommen, „dann müsste man eine neue Impfung machen“, sagte Holetschek in München. Aktuell hätten in Bayern 270.000 Menschen eine Erst-, aber noch keine Zweitimpfung mit AstraZeneca bekommen.

    Noch ungeklärt ist laut Holetschek auch die Frage der Produkthaftung im Falle von AstraZeneca. Nach Auskunft des Bundes löse schon das „In-Verkehr-Bringen“ des Impfstoffs den Haftungsfall aus. Das beträfe nach seinen Worten dann auch Menschen, die freiwillig das Risiko einer Impfung mit AstraZeneca auf sich nehmen würden.

    Einen schweren Dämpfer bekommen die Hoffnungen, dass Impfungen in Hausarztpraxen nun für schnelle Fortschritte sorgen werden. CSU-Gesundheitsexperte Pilsinger sagt, dass gerade der AstraZeneca-Impfstoff, der anders als etwa der Biontech-Wirkstoff in einem normalen Kühlschrank gelagert werden kann, besonders gut geeignet für die Verabreichung bei den Hausärzten sei. Zahlreiche im Rahmen von Pilotprojekten vereinbarte Impfungen durch Hausärzte bereits wieder abgesagt werden mussten.

    Unter den Politikern, die sich irritiert über die Aussetzung der AstraZeneca-Impfung zeigen, ist auch die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley. Sie schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Die neueste Generation der Antibabypille hat als Nebenwirkung Thrombosen bei acht bis zwölf von 10.000 Frauen. Hat das bisher irgendwen gestört?“ Doch nicht nur ihr SPD-Parteifreund und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wies den Vergleich zurück. Laut Bundesgesundheitsministerium ist es zwar richtig, dass für Anti-Baby-Pillen Thrombosen, auch mit tödlichem Verlauf, als sehr seltene Nebenwirkung bekannt und im Beipackzettel angegeben sind. Für die AstraZeneca-Impfung sei die seltene Nebenwirkung aber bisher nicht aufgeführt. Außerdem unterscheide sich die staatlich empfohlene Impfung von Gesunden arzneimittelrechtlich stark von der Verordnung eines Arzneimittels.

    Ein wenig Hoffnung im Impf-Chaos machte am Dienstag die Ankündigung des Chemiekonzerns Wacker, noch in diesem Frühjahr mit der Auftragsproduktion des Corona-Impfstoffs des Tübinger Unternehmens Curevac zu beginnen. Die Zulassung durch die EU-Arzneimittelbehörde Ema werde bis Anfang Mai erwartet, sagte der designierte Wacker-Vorstandschef Christian Hartel in München. Bis Juli soll die Produktion dann auf die volle Kapazität von 100 Millionen Impfdosen pro Jahr erhöht werden. Das Münchner Unternehmen lässt den Impfstoff in Amsterdam herstellen. Möglich wäre demnach auch eine Verdoppelung der Produktion auf 200 Millionen Dosen pro Jahr. Mittelfristig soll auch in einem sächsischen Werk produziert werden.

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden