Gut eine Woche ist es her, dass Deutschland mit seiner Impfaktion gegen das Coronavirus begonnen hat. Große Hoffnungen liegen in dem Impfstoff und seiner Verteilung. Doch kaum dass die ersten Spritzen gesetzt wurden, hagelte es auch schon Kritik. Zu wenig Impfstoff, zu schleppende Verteilung, in anderen Ländern gehe es schneller voran: Die Bundesregierung und auch die EU-Kommission stehen unter Rechtfertigungsdruck. Immer lauter und massiver werden die Vorwürfe. Inzwischen gerät gar die Kanzlerin persönlich in die politische Schusslinie. Was aber ist dran an der Schelte? Eine Spurensuche.
Patzer bei der Bestellung des Impfstoffes?
Die stockende Versorgung Deutschlands mit dem lebensrettenden Corona-Impfstoff bringt die Bundesregierung in die Defensive. Aus vielen Ecken werden nach dem Jahreswechsel schwere Vorwürfe laut, dass bei der Bestellung des Serums geschlafen wurde. Das Murren beschränkt sich keineswegs auf die Opposition und einzelne Wissenschaftler, sondern schallt aus den Reihen der Großen Koalition selbst. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erheben den Zeigefinger gegen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Der Minister ist aber auch nicht vor Angriffen aus der kleinen Schwesterpartei sicher: CSU-Chef Markus Söder nutzte die Bild-Zeitung, um seine Vorwürfe vor der Tür des Gesundheitsministeriums abzuladen. „Fakt ist: Es ist zu wenig bestellt worden, auch von den falschen Herstellern“, sagte der bayerische Ministerpräsident.
Impfstoff-Bestellung: Auch Kanzlerin Merkel gerät unter Druck
Die Attacken zielen auf die strategische Entscheidung der Bundesregierung, die eigene wirtschaftliche Macht Deutschlands nicht auszuspielen, sondern alle EU-Mitgliedstaaten per gemeinsamer EU-Bestellung mit dem Impfstoff des deutschen Herstellers Biontech zu versorgen. Ein Wettrennen der 27 um den knappen Impfstoff hätte neuen Zündstoff für die EU bedeutet, und das große Deutschland wäre mit Sicherheit dafür angefeindet worden, kleine und weniger wohlhabende Staaten auszubooten.
Neben Gesundheitsminister Spahn gerät deshalb nun auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unter Druck, die das gemeinsame europäische Vorgehen ausdrücklich gebilligt, ja sogar befördert hatte. Ihr Sprecher Steffen Seibert verteidigt seine Chefin: Die EU-Kommission habe erstens mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Impfstoffproduzenten. Zweitens sei im Sommer nicht klar gewesen, welcher Impfstoff welchen Herstellers das Rennen mache. Und drittens sei Deutschland nicht vor Corona sicher, wenn es in den Nachbarländern nicht auch durch Impfungen zurückgedrängt werde. „Natürlich ist nicht alles perfekt“, räumte Seibert ein. Die Bundesregierung stehe aber hinter dieser „Grundsatzentscheidung“, sagte er. „Wir sind überzeugt, dass das der richtige Weg war – und ist.“
Es entwickelt sich ein Zoff zwischen CDU und SPD
Das Gesundheitsministerium betont zudem, dass es nichts an der aktuellen Impfstoffmenge geändert hätte, wenn Deutschland den Impfstoff im nationalen Alleingang bestellt hätte. Der Flaschenhals sei die Produktion, nicht die Bestellmenge.
SPD-Generalsekretär Klingbeil fordert dennoch eine „nationale Kraftanstrengung“ unter der Leitung von Bundeskanzlerin Merkel. „Wir sehen in diesen Tagen, dass es chaotische Zustände gibt“, sagte er. Das lässt den Blutdruck innerhalb der Koalition ansteigen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus kontert prompt: „Alle wichtigen Entscheidungen werden im Corona-Kabinett getroffen. Da sitzt auch ein (Finanzminister) Olaf Scholz, da sitzen auch SPD-Minister drin.“ Und weiter: „Es sterben jeden Tag Menschen. Und da stelle ich mich nicht hin und mache Koalitionsspielchen.“
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