Die Diskussionen um mögliche Lockerungen der Corona-Auflagen nehmen an Fahrt auf – auch weil Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) den „Schutz von Leben“ nicht als zwingend vorrangig bei der politischen Abwägung bezeichnet hatte, und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet beratenden Virologen in der Talkshow „Anne Will“ vorwarf, ihre Meinung alle paar Tage zu ändern.
Nach Kritik an Virologen: Dobrindt kritisiert Laschet
Während Schäubles Vorstoß auf verhaltene Zustimmung stieß, sah sich vor allem Laschet scharfer Kritik ausgesetzt. So sagte in einer Videoschalte des CSU-Parteivorstands Landesgruppenchef Alexander Dobrindt laut Teilnehmern: „Politik ist immer die Gesamtabwägung für Gesellschaften, für Wirtschaft, für Sicherheit und Freiheit... Der Versuch, in Talkshows wissenschaftliche Erkenntnisse verächtlich zu machen, kann wirklich schädlich sein.“ Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nahm die Virologen am Montag ausdrücklich vor Kritik in Schutz.
Dennoch ist der Druck unverkennbar, über weitere Lockerungen nachzudenken, etwa bei Beratungen von Bund und Ländern am Donnerstag. Dieser erhöhte sich durch ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, das Verkaufsverbot für Läden mit einer Fläche über 800 Quadratmetern verstieße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei damit verfassungswidrig. Die Staatsregierung kündigte darauf in einer bemerkenswerten Kehrtwende an, auch größere Geschäfte dürften in Bayern umgehend öffnen – sofern sie ihre Verkaufsfläche auf die vorgeschriebenen 800 Quadratmeter begrenzten.
Corona-Beschränkungen: Annegret Kramp-Karrenbauer warnt vor Entspanntheit
Zwar warnte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer noch einmal vor zu großer Entspanntheit im Kampf gegen das Coronavirus. „Über massive Lockerungen zu reden bei einer Zahl von 2000 Neuinfektionen, das ist eine Wette, die, ich sage mal, riskant ist“, sagte die Verteidigungsministerin. Sinnvoll sei dies erst bei 1000 Neuinfektionen pro Tag „oder noch besser bei 600 oder bei 500“. Doch FDP-Chef Christian Lindner hielt deutlich dagegen: „Es ist inzwischen möglich zu überlegen: Öffnen wir größere Geschäfte, öffnen wir die Gastronomie, wenn Hygienekonzepte vorhanden sind?“
Diese Frage gewinnt auch an Schärfe, weil die Große Koalition mit dem größten Einbruch des Wirtschaftswachstums seit Gründung der Bundesrepublik rechnet. In ihrer Frühjahrsprognose nimmt die Bundesregierung an, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2020 um 6,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr schrumpfen werde. Zwar gehen die Experten von einer Erholung im Folgejahr aus, jedoch würden die Verluste kaum komplett ausgeglichen werden können.
Keine weiteren Lockerungen der Corona-Beschränkungen zu erwarten
Schäubles wuchtige Wortmeldung wurde in seiner eigenen Partei „mit Respekt und als Beitrag zur laufenden Debatte“ zur Kenntnis genommen. Doch es herrschte Zurückhaltung, in eine tiefere Abwägungsdebatte einzusteigen. Der Grund: Niemand will die Beratungen zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten am Donnerstag unnötig belasten.
Ein großer Wurf, was weitere Lockerungen angeht, ist von der Bund-Länder-Konferenz nicht zu erwarten, hieß es aus Regierungskreisen. Denkbar sind demnach neue Vereinbarungen über die Öffnung von Gottesdiensten oder Besuchsrechte in Altenheimen. Außerdem könnte ein einheitliches Vorgehen bei den Hygienebestimmungen an Schulen verabredet werden. Neue Leitplanken soll es erst nach einem weiteren Bund-Länder-Treffen am 6. Mai geben.
Wie hoch sensibel die Corona-Debatten rasch werden können, lesen Sie im Kommentar.
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