Bisher haben die Bürger den Corona-Kurs der Regierung mitgetragen, nun wächst das Murren. Schlägt jetzt die Stunde der FDP? Wie lässt sich der liberale Freiheitsgedanke mit vernünftigem Infektionsschutz verbinden?
Christian Lindner: Wir relativieren die Gefährlichkeit des Virus und seiner Mutationen nicht. Anspruch einer liberalen Partei aber muss es sein, Gesundheitsschutz und Freiheit so gut es geht auszubalancieren. Jede Einschränkung von Grundrechten muss gut begründet und verhältnismäßig sein. Inzwischen wissen wir mehr über das Virus als vor einem Jahr. Anders als das CDU-geführte Kanzleramt sind wir der Meinung, dass bei entsprechenden Schutzkonzepten mehr soziales Leben möglich wäre.
Und sofort steigen die Infektionen!
Lindner: Nein, denn es geht nicht darum, alles sofort und überall aufzumachen. Schon lange werben wir für regionale Differenzierung. Für Hotspots müssen andere Regeln gelten als in Gebieten mit wenig Infektionsgeschehen. Der verstärkte Einsatz von Schnell- und Selbsttests, schnellere Impfangebote, gute Masken und konsequente Hygienekonzepte machen Öffnungen über das hinaus verantwortbar, was am Mittwoch beschlossen wurde.
Jens Spahn hat davon gesprochen, dass wir uns bald viel verzeihen müssen. Ein Jahr später: Welche Fehler haben er und die Bundesregierung gemacht und sind diese verzeihlich?
Lindner: Es gab zu Beginn der Pandemie Fehleinschätzungen durch jeden von uns. Das sollte man sich wechselseitig verzeihen. In einem anderen Licht sehe ich Managementfehler, die der Bundesregierung auch aktuell noch passieren. Zum Beispiel ist nicht zu verstehen, warum es bei den Schnelltests so schleppend vorangeht. Für den Bundesgesundheitsminister sehe ich hier eine neuerliche Bewährungsprobe. Er trägt die Verantwortung dafür, dass sich die Beschaffungsprobleme bei Masken und Impfdosen bei den Tests nicht wiederholen.
Es gibt gerade bei der Maskenbeschaffung einige Ungereimtheiten im Gesundheitsministerium. Gegen den CSU-Politiker Georg Nüßlein wird ermittelt. Was sagt die FDP dazu?
Lindner: Es gilt die Unschuldsvermutung, aber es gibt eine Reihe von Fragen rund um die Beschaffung, die tatsächlich aufgeklärt werden müssen. Gegenwärtig interessiert uns vor allem die nach vorne gerichtete Problemlösung. Aber danach wird einiges aufgearbeitet werden müssen, das ist völlig klar.
In einem Untersuchungsausschuss?
Lindner: Ein solcher Ausschuss ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl könnte schon allein aus Zeitgründen keine echte Aufklärungsarbeit leisten. Wir müssen später besprechen, wie wir die Probleme beim Corona-Management aufarbeiten und uns besser auf eine mögliche nächste Pandemie vorbereiten können.
Also nach der Bundestagswahl und Sie gehen offenbar davon aus, dass die FDP dann wieder dabei ist. Wenn Sie mitregieren wollen, sind die Optionen weniger geworden: Die SPD ist in ihrem Programm nach links gerückt und im Bundestag liegt die FDP im Dauerclinch mit der CDU. Mit wem wollen Sie es versuchen?
Lindner: Wir sind eine eigenständige Partei. Im Zentrum unserer Politik steht, dass wir den Menschen etwas zutrauen. Wir wollen ermuntern, entlasten und nicht erziehen. Die Wähler müssen entscheiden, ob sie einen scharfen Linkskurs mit bedingungslosem Grundeinkommen, Steuererhöhungen und den Eigenheimverboten der Grünen wollen. Oder ob man die rötliche Variante mit Steuererhöhungen und Tempolimits bevorzugt – oder ob man der Union vertraut, bei der nicht klar ist, welchem Kurs sie folgt. Ich bin sehr optimistisch, dass es eine wachsende Zahl von Bürgern gibt, die unsere Auffassungen teilen.
Sind die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 14. März Richtungsentscheidungen?
Lindner: Es sind wichtige Wahlen, aber sie stehen nicht repräsentativ für die Bundespolitik. Die Grünen von Herrn Kretschmann in Baden-Württemberg zum Beispiel unterscheidet manches von den nach links strebenden Grünen im Bund. Die größten inhaltlichen Überschneidungen sehe ich auf Bundesebene unverändert mit CDU und CSU. Umgekehrt sind wir für Herrn Laschet und Herrn Söder offensichtlich auch der bevorzugte Koalitionspartner, wie beide sagen.
Wo liegen die roten Linien der FDP für eine Regierungsbeteiligung? Würden Sie es erneut mit Jamaika versuchen – und gegebenenfalls aus weit gediehenen Gesprächen aussteigen?
Lindner: Wir gestalten gerne aus einer Regierung heraus. Umgekehrt aber können die Menschen sich darauf verlassen, dass es der FDP nicht um Dienstwagen, sondern um Inhalte geht. Es war richtig, die Sondierungen 2017 zu beenden. Die vollständige Abschaffung des Solis, ein Digitalministerium, eine vernünftige Energiepolitik, mehr Einfluss des Bundes bei der Bildung – das alles wäre in der damaligen Konstellation nicht umsetzbar gewesen. Bei Armin Laschet oder Markus Söder sehe ich inzwischen allerdings eine größere Bereitschaft, sich zu bewegen, als seinerzeit bei Angela Merkel. Für mich gilt die Garantie, dass es mit der FDP keine neuen Belastungen für Beschäftigte und diejenigen geben wird, die unternehmerisches Risiko für Arbeitsplätze tragen. Mit der FDP wird es auch keine Politik geben, die neue Einfamilienhäuser de facto verbietet.
Kleben bald wieder die Plakate mit Ihnen im Unterhemd am Straßenrand? Im Ernst: Der letzte FDP-Wahlkampf war sehr auf Sie persönlich zugeschnitten. Wird das wieder so sein?
Lindner: 2017 hatten alle Parteien ihre Spitzenkandidaten auf den Plakaten. Offenbar waren wir so gut, dass sie nur unsere Plakate erinnern. Solche Fragen entscheidet die Parteizentrale danach, was Erfolg verspricht. Ich freue mich, dass wir mit Generalsekretär Volker Wissing, Wolfgang Kubicki oder etwa der Bundeswehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann viele starke Persönlichkeiten haben.
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