Herr Laschet, haben Sie schon eine Wohnung in Berlin?
Laschet: Nein, noch nicht. Wenn ich derzeit als Ministerpräsident in Berlin bin, übernachte ich in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung. Aber im Herbst werde ich mir eine Wohnung suchen.
Die Union sucht ja auch noch nach dem letzten Entwurf ihres Wahlprogramms, dabei sind es weniger als 100 Tage bis zur Bundestagswahl. Warum brauchen Sie so lange?
Laschet: Ihr Eindruck trügt. Wir werden es sogar früher vorstellen als vor den letzten Wahlen, und die Grünen haben ihres erst letzten Samstag beschlossen. Bei uns in der Union ist der Programmprozess ein besonderer: Er findet parallel in beiden Schwesterparteien – CDU und CSU - statt – und am Ende werden alle Vorschläge zu guten Ideen für die Zukunft Deutschlands gebündelt. Beim Grünen-Parteitag gab es 3280 Änderungsanträge – wir fragen erst die Basis und schreiben dann unser Programm.
Nach allem, was bisher durchgesickert ist, geht die Union mit einem Anti-Grünen-Programm in die Wahl.
Laschet: Sie werden in unserem Programm sehr viele Punkte finden, die Sie bei den Grünen nicht finden. So soll es ja auch sein! Aber die schreiben wir nicht ins Programm, weil wir anti-grün sind, sondern weil es unsere Ideen sind, mit denen wir unser Land voranbringen wollen. Wir werden mit neuer Dynamik für eine starke Wirtschaft durchstarten, bei der Klimaschutz, Wachstum und soziale Sicherheit im Einklang sind.
Zuletzt sah es so aus, als würde der Wahlkampf sehr ins Persönliche abdriften. Geht es nicht zu weit, wenn eine Organisation wie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ die Grüne Annalena Baerbock in Anzeigen als Frau verhöhnt, die das Verbieten zur Staatsreligion erhebt – und dabei noch mit antisemitischen Klischees spielt?
Laschet: Von mir wird es keine persönlichen Angriffe auf Mitbewerber geben. Wir streiten in der Sache. Deshalb habe ich mich auch nicht an der Debatte um den Lebenslauf von Frau Baerbock beteiligt.
Wird Ihre Kontrahentin schärfer angegangen, weil sie eine Frau ist?
Laschet: Es ist zu einfach, jede berechtigte Nachfrage an Verantwortliche in Sexismus umzudeuten. Erinnern Sie sich doch mal: Auch ich bin in den vergangenen Monaten nicht gerade auf einer Sänfte durch die mediale Landschaft getragen worden. Dieser Gegenwind gehört zu einem Wahlkampf dazu. Die Medien beschäftigen sich eben mit dem, der Kanzler werden will, ganz besonders. Das ist gut und richtig so, unabhängig vom Geschlecht. Was aber ein massives Problem ist: Frauen – egal welcher politischer Couleur - werden in sozialen Medien wirklich üblen und meist sexualisierten Pöbeleien ausgesetzt. Das können wir nicht hinnehmen.
Die Union will nach der Wahl, anders als die Grünen, keine Steuern erhöhen, sondern Wirtschaft und Beschäftigte sogar entlasten. Können wir uns das angesichts der horrenden Schulden aus der Pandemie überhaupt leisten?
Laschet: Es wäre ein fatales Signal, jetzt Steuern zu erhöhen. Für viele kleine und mittlere, von ihren Eigentümern geführten Betriebe stellt eine höhere Einkommenssteuer faktisch einen Eingriff in ihren Betrieb dar. Das Vermögen eines jeden Handwerkers ist sein Betrieb. Der Staat kann auch höhere Einnahmen erzielen, ohne die Steuern zu erhöhen – indem wir etwa ein Entfesselungspaket auf den Weg bringen, mit konsequentem Abbau von überflüssiger Bürokratie dafür sorgen, dass die Wirtschaft floriert und wächst. Vor der Pandemie haben wir keine Steuern erhöht und der Staat hat durch wirtschaftliches Wachstum trotzdem mehr Steuern eingenommen.
Die CSU hat Ihnen im Ringen um die Spitzenkandidatur vorgeworfen, dass Sie nicht für Modernität stünden. Jetzt will ausgerechnet die CSU bei der Mütterrente nachbessern, obwohl die Rentenkassen schon bislang nicht zukunftsfähig aufgestellt sind. Ein moderner Vorschlag?
Laschet: Ich bin da zurückhaltend. Wir sollten dem Rentensystem jetzt keine Zusatzbelastungen auferlegen. Die Union wird gemeinsam daran arbeiten, Gerechtigkeitslücken zu schließen. Das gilt natürlich auch für Jüngere, denen wir ebenfalls eine zukunftsfeste Altersversorgung bieten wollen.
Wirtschaftsforscher rufen bereits nach der Rente mit 68. Ein realistisches Szenario?
Laschet: Flexibilisierungen sind richtig. Wir brauchen bessere Anreize für alle, die länger arbeiten wollen und können. Aber das Renteneintrittsalter steigt bis 2029 in kleinen Schritten auf 67 Jahre. Das ist ein klarer Pfad.
Wir halten fest: Sie ducken sich also vor der unbequemen Debatte weg.
Laschet: Unsinn. Rentenpolitik braucht Verlässlichkeit. Ja, Arbeits- und Lebenszeit werden länger, und darauf wird man eine Antwort finden müssen. Daran sollten wir auch möglichst parteiübergreifend hinarbeiten. Alle großen Rentenreformen erfolgten parteiübergreifend - was sinnvoll ist, denn Generationengerechtigkeit ist elementar für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU war zuletzt wenig Übergreifendes zu hören. Im Ringen um die Kanzlerkandidatur zwischen Ihnen und Markus Söder fiel sogar der Satz, die CDU könne durch einen Kanzlerkandidaten Söder zerstört werden.
Laschet: Von mir haben Sie eine solche Bemerkung nicht gehört.
Von anderen wichtigen Kräften in der CDU, etwa Wolfgang Schäuble, aber schon. Aber ging es nicht ganz generell um ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie? Hier Söder, stark auf die aktuellen Umfragen achtend, dort die eher zurückhaltende CDU, die bloß keine „Stimmungsdemokratie“ oder „Bewegung“ wie die von Emmanuel Macron in Frankreich oder von Sebastian Kurz in Österreich will?
Laschet: Die CDU hat lediglich betont, dass sie das Prinzip der repräsentativen Demokratie und der Volkspartei auch heute noch modern findet.
Sie wollen uns ernsthaft erklären, dass Sie nie auf Umfragen schauen?
Laschet: Nur, wenn sie gut für mich sind (lacht). Nein, im Ernst, natürlich bekommen wir Umfragen mit. Aber Sie sehen bei den Grünen, wie sich innerhalb kürzester Zeit eine vermeintlich gute Stimmung wieder ändern kann. Deshalb sollte man weder bei personellen noch bei sachlichen Entscheidungen auf Umfragen schauen. Wir wollen nicht Umfragen gewinnen, sondern die Wahl. Wir dürfen keine Stimmungsdemokratie werden.
Auch die Sympathiewerte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sind wegen diverser Skandale kräftig gefallen. Wird ihr Verbündeter zu einer Belastung für Ihren Wahlkampf?
Laschet: Nein, überhaupt nicht! Jens Spahn ist ein guter Minister. Die SPD spielt in ihrer Verzweiflung ein ganz unsauberes Spiel mit ihm. Auch bei den Ministern Heil und Scholz sind Dinge schiefgelaufen. Das darf aber nicht dazu führen, dass man einem Koalitionspartner menschenverachtendes Handeln vorwirft, wie es die Sozialdemokraten gegenüber Jens Spahn tun. Das ist einfach stillos.
Dass Söder der CDU vorgeworfen hat, sie kungele wichtige Entscheidungen im „Hinterzimmer“ aus, hat Sie nicht geärgert?
Laschet: Ein gewähltes Gremium wie unseren Parteivorstand so zu bezeichnen, hat viele in der CDU geärgert. Mich persönlich weniger. Ich weiß, wie sehr Markus Söder demokratische Entscheidungen schätzt.
Dann bewundern wir Ihre Gelassenheit. Dennoch noch ein Versuch: Ist auf die CSU in diesem Wahlkampf Verlass? Deren Generalsekretär Markus Blume hat Sie etwa nach dem überraschend klaren CDU-Wahlsieg in Sachsen-Anhalt nicht mal mit einem Wort erwähnt.
Laschet: Er hat den Sieg von Reiner Haseloff gefeiert – zu Recht. Es war sein Sieg. Reiner Haseloff hat das hervorragend gemacht in Sachsen-Anhalt: eine klare Abgrenzung nach rechts und trotzdem auf das hören, was die Leute bewegt.
Herr Blume hat neulich auch gesagt, man müsse den Kanzlerkandidaten Laschet in Bayern „nicht verstecken“, etwa auf Wahlplakaten. Ist das die Art von Unterstützung, die Sie sich aus Bayern erhoffen?
Laschet: Die CSU soll in Bayern das plakatieren, was der Union hilft. Am Ende zählt der Sieg bei der Bundestagswahl.
Markus Söder, so scheint es, würde die FDP als Koalitionspartner am liebsten nur mit der Kneifzange anfassen. Sie haben ein deutlich unkomplizierteres Verhältnis zu den Liberalen, regieren auch in Nordrhein-Westfalen mit ihnen. Wie geht das nach der Wahl zusammen?
Laschet: Im Wahlkampf ist die FDP natürlich ein Mitbewerber. Es ist wichtig, dass die CDU möglichst viele Stimmen bekommt. Nur eine starke Union verhindert ein linksgeführtes Bündnis. Inhaltlich steht uns die FDP aber von allen Parteien am nächsten.
Nochmal: Denkt CSU-Chef Söder auch so?
Laschet: Da gibt es in der Union insgesamt große Einigkeit. Das heißt aber nicht, dass mit den Grünen keine Koalition möglich wäre, wenn das Wahlergebnis es erfordert. So eine Koalition würde sicher mühsamer. Ich habe die Grünen aber auch so kennengelernt, dass sie verlässlich sind, wenn man einmal etwas verabredet hat - das unterscheidet sie oft von der heutigen SPD. Mit der FDP halte ich es in Nordrhein-Westfalen so, dass ich auch meinem Koalitionspartner seine Erfolge gönne.
Jetzt klingen Sie wie Helmut Kohl 2.0. Das hat ihnen Markus Söder ja auch vorgeworfen.
Laschet: Helmut Kohl hat seine Koalitionspartner nie vereinnahmt oder an den Rand gedrängt. Auf Dauer ist eine Koalition stärker, wenn man den anderen auch glänzen lässt. Kohl hatte übrigens auch immer starke Minister an seiner Seite, die standen zum Teil in den Umfragen besser da als er selbst. Auch ich sehe Politik als Mannschaftsspiel an, nicht als Ego-Show. Und einen Vergleich mit Helmut Kohl empfinde ich nicht als Vorwurf.
Ist Schwarz-Gelb überhaupt eine strategische Option für Sie? In den Umfragen reicht es dafür noch lange nicht.
Laschet: Im Moment ist das keine realistische Perspektive. Jedenfalls nicht bei sieben Parteien im Parlament. Aber eine Regierung, an der der die FDP beteiligt ist, wäre nicht die schlechteste Lösung.
Denken Sie auch über eine Deutschland-Koalition mit Liberalen und Sozialdemokraten nach?
Laschet: Über Koalitionsoptionen entscheiden letztlich die Wählerinnen und Wähler. Die SPD scheint momentan Kraft und Lust am Regieren zu verlieren.
Zumindest nicht mehr mit der Union.
Laschet: Aber da frage ich mich: Was ist das denn für eine seltsame Haltung? Entweder Du willst regieren, oder Du willst Dich verabschieden.
Sie haben nach dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich an der neuen Klimapolitik der Union mitgewirkt. Aber wenn es dann an die praktische Umsetzung geht, etwa über einen deutlich höheren Benzinpreis, wird die Union plötzlich seltsam still.
Laschet: Uns als CDU sind die richtigen Maßnahmen für ein klimaneutrales Deutschland wichtig. Was auch über die CO2-Preise mehr eingenommen wird, geben wir über die Verbilligung des Strompreises zurück. So machen wir den Klimaschutz sozialverträglich. Was etwa höhere Flugpreise angeht, da sage ich, dass die Fixierung, den Mallorca-Flug teurer zu machen, reine Symbolpolitik ist. Das bringt gar nichts.
Und warum nicht? Fliegen muss doch wohl teurer werden, um das Klima zu retten.
Laschet: Eine solche Maßnahme richtet sich gegen die Menschen, die sich das Fliegen dann irgendwann nicht mehr leisten können. So nehmen Sie einer bestimmten Gruppe von Menschen die Chance, in weiter entfernte Länder zu reisen. In den Urlaub fliegen darf kein Privileg für wenige werden. Denn der Finca-Besitzer fliegt ja immer noch! Tempo 130 ist auch so eine Symboldebatte. Auf den wenigsten Strecken in Deutschland kann man tagsüber schneller als 130 fahren. Und warum soll ich ein Elektroauto, das kein Kohlendioxid ausstößt, derart abbremsen? Den Klimawandel bremsen wir mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung nicht. Ein erfinderreiches Land muss Wege finden, den Klimawandel auch durch Innovationen zu bekämpfen. Statt stur auf Verbote zu setzen, müssen wir auf die Förderung dieser Technologien setzen.
Klingt, als wollten Sie den Leuten sagen: Klimaschutz gibt es zum Nulltarif und ohne Verzicht?
Laschet: Natürlich wird es an einigen Stellen teurer werden. Doch das müssen wir sozialverträglich hinbekommen und alle Lebensrealitäten im Blick behalten. Diese soziale Frage beantworten die Grünen gar nicht.
Umfragen zeigen, dass sich viele Menschen sehr, viele andere aber kaum für den Klimaschutz interessieren. Ist das vielleicht gar nicht so ein gutes Wahlkampfthema?
Laschet: Und wenn sich nur fünf Prozent der Menschen dafür interessieren würden, würde ich trotzdem Klimaschutz vorantreiben. Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die es klug zu lösen gilt. Wir sind da wieder bei Ihrer Frage von vorhin: Es ist falsch, nur auf Stimmungen und Umfragen zu schauen – es geht darum, das umzusetzen, von dem man überzeugt ist.
Und wovon sind Sie sonst überzeugt? Warum wollen Sie eigentlich unbedingt Kanzler werden?
Laschet: Die wichtigste Aufgabe ist es, dass wir zu wirtschaftlichem Wachstum zurückkommen, um damit die großen finanziellen, sozialen und kulturellen Schäden zu beheben. Zweitens muss es darum gehen, die Defizite der Pandemie aufzuarbeiten. Wir müssen überall da besser werden, wo wir sehen, dass etwas nicht funktioniert hat.
Beispielsweise im Bereich der Digitalisierung?
Laschet: Richtig. Das hat übrigens alles mit dem Klimathema zu tun. Wir müssen es schaffen, traditionelle Industrien wie die Auto- oder die Stahlindustrie, so zu transformieren, dass daraus Zukunftstechnologien werden. Wasserstoff zum Beispiel. Da ist sehr viel Detailarbeit erforderlich, da muss man sich anstrengen, und da scheuen sich die Grünen.
Halten Sie es da mit dem amerikanischen Klimabeauftragte John Kerry? Muss Klimaschutz zum „Geschäftsmodell“ werden – mit potentiell neun Milliarden Kunden weltweit?
Laschet: Ich habe John Kerry erst kürzlich in Berlin getroffen. Mir haben im Gespräch mit ihm zwei Dinge sehr gefallen. Erstens stellen sich gewichtige Teile der amerikanischen Gesellschaft hinter das Ziel, Klimaneutralität zu schaffen. Und wenn die Wall Street dieses Ziel zum Thema für sich macht, dann müssen wir Europäer uns gewaltig anstrengen, damit wir in diesem Wettbewerb bestehen können.
Und zweitens?
Laschet: Da geht es um die Außenpolitik. Wir haben zu einigen Ländern ein belastetes Verhältnis. Zu Russland etwa oder zu China. Aber globaler Klimaschutz geht nicht ohne diese beiden Länder. Auch deshalb ist es gut, dass sich US-Präsident Joe Biden mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen hat.
Biden hat Putin einen „Killer“ genannt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Laschet: Es gibt einen breiten Konsens unter den politisch Verantwortlichen in Deutschland: Der brutale Umgang von Präsident Putin mit Oppositionellen, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, Cyberangriffe auf den Bundestag, all das ist nicht hinnehmbar. Wir dürfen dazu nicht schweigen.
China verletzt die Menschenrechte ähnlich schwer, wenn nicht schwerer. Und es wird immer mächtiger. Angela Merkel hat sich trotzdem mit Kritik an Peking meist zurückgehalten, schon um den deutschen Absatz auf dem chinesischen Markt nicht zu gefährden.
Laschet: China hat ein anderes politisches System und erfährt da unseren Widerspruch. Es ist systemischer Wettbewerber und Partner zugleich. Die Chinapolitik der Bundesregierung spiegelt das wider. Ich will es deutlich sagen: Dass unser Land wirtschaftlich vergleichsweise gut dasteht, haben wir auch dem schnellen Wirtschaftsaufschwung Chinas nach der Pandemie zu verdanken. Nichtsdestotrotz bleibt es wichtig, China besser in die regelbasierte Ordnung einzubinden.
US-Präsident Joe Biden sieht China aber nicht mehr als Partner, sondern als Gegner.
Laschet: Die amerikanische Haltung ist differenzierter, als Sie es darstellen. Auch für die amerikanische Wirtschaft ist China wichtig. Und ich bleibe dabei: China ist systemischer Wettbewerber und Partner.
Sie plädieren für einen transatlantischen Freihandelsraum. Ist das die Wiederbelebung von TTIP?
Laschet: Ein solches Freihandelsabkommen hätte uns in den Zeiten unter Präsident Trump sehr geholfen. Kurzfristig werden wir kein umfassendes Handelsabkommen haben. Aber perspektivisch sollten wir es anstreben, und in der Zwischenzeit in einzelnen Schritten unsere Konflikte lösen und die Wirtschaftsfragen der Zukunft gemeinsam gestalten.
Schade nur, dass die Amerikaner gerade immer noch böse auf uns sind – wegen der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream II.
Laschet: Wir können die Energiewende nur erfolgreich meistern, wenn wir für eine Übergangszeit Gas beziehen. Die Pipeline ist daher für Deutschland wichtig – und zudem bald fertig. Wir haben einen klaren Blick für die sicherheits- und energiepolitischen Auswirkungen von Nord Stream 2 auf unsere osteuropäischen Partner und insbesondere die Ukraine. Die Stabilität der Ukraine muss gewährleistet sein, ihre aktuelle Entscheidung, sich nach Europa und transatlantisch zu orientieren, respektiert werden. Sollte Russland das Projekt politisieren, ist auch die Geschäftsgrundlage von Nord Stream II hinfällig.
Ist die wichtigste Wahl in Europa nicht die in Frankreich im kommenden Jahr? Die Rechtsradikale Marine Le Pen könnte französische Präsidentin werden.
Laschet: Die wichtigste Wahl für Deutschland und Europa ist erst einmal die Bundestagswahl. Sie ist relevant für die Stabilität Europas. Wenn Rot-Rot-Grün eine Mehrheit bekäme, wäre es vorbei mit dieser Stabilität. Und was Frankreich angeht, da haben Sie recht, die Franzosen stehen vor großen Herausforderungen. Präsident Macron ist wichtig für Europa und für die europäische Handlungsfähigkeit. Wir haben ein großes Interesse daran, dass Frankreich Stabilitätsanker in der EU bleibt.
Warum schwächelt Macron so, warum fremdelt er mit seinen Bürgern?
Laschet: Ich glaube nicht, dass er wirklich fremdelt. Es sind schwierige Zeiten. Die Pandemie hat Frankreich noch schwerer getroffen als uns. Zudem ist der Reformbedarf dort größer als bei uns. Wenn man etwas verändern will, stößt man immer auf viele Widerstände.
In der Pandemie ist der Staat noch dominanter geworden. Hat sich Ihre Einschätzung bewahrheitet, dass die Deutschen sich in der Krise nach einer starken Führung sehnen? Eine Art von Führung, wie sie Markus Söder zumindest teilweise attestiert wurde.
Laschet: So habe ich das nicht formuliert. Ich habe davon gesprochen, dass in der Corona-Krise harte Maßnahmen meist populärer waren. Im Moment braucht es das nicht, wir erleben in allen 16 Bundesländern niedrige Inzidenzen. Die „Methode Corona“, bei der der Staat bis in den letzten Lebensbereich hinein alles regelt, ist kein Rezept für die Zukunft. Und es ist auch kein Rezept für die Zukunft, dass der Staat mit immer noch mehr Milliarden jedes Problem zuschüttet. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Infektionszahlen auch in den kommenden Jahren – vor allem im Winter – immer mal wieder steigen werden. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass es immer wieder unterschiedliche Corona-Viren auf der Welt geben wird. Und deshalb werden wir auch daran arbeiten, dass wirksame Impfstoffe und die dafür erforderlichen heimischen Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen.
Brauchen wir die Maskenpflicht noch?
Laschet: Wenn wir in den Landkreisen Zahlen nahe Null haben, stellt sich in der Tat die Frage, ob wir die Maske noch brauchen. Die Maske ist ja kein Selbstzweck. Wir sollten stufenweise beginnen: Erst draußen die Maskenpflicht zurückfahren, bei weiterem Erfolg auch drinnen.
Sie treten nach 16 Jahren Angela Merkel an. Was bleibt von der Kanzlerin und was muss sich ändern?
Laschet: Wer Deutschland 16 Jahre regiert und das Land durch vier Weltkrisen geführt hat – durch die Finanzkrise, die europäische Schuldenkrise, die Flüchtlingskrise und jetzt die Pandemie –, der hat Großes geleistet und hinterlässt Spuren. Angela Merkel hat das Land in vielen Bereichen gesellschaftspolitisch modernisiert. Wir haben Jahre wirtschaftlichen Wohlstands erlebt und sie hat Europa zusammengehalten.
Wozu braucht es dann das von Ihnen ausgerufene „Modernisierungsjahrzehnt“?
Laschet: Angela Merkel ist 2005 angetreten – da war noch nicht mal das iPhone erfunden. Seitdem hat sich viel verändert und der Wandel gerade in der Digitalisierung wird immer schneller. Deutschland hat sich in vielen Bereichen gut entwickelt, aber wir stellen jetzt fest, dass es auch Defizite gab. Diese Defizite hat uns die Pandemie wie unter einem Brennglas vor Augen geführt.
Wird die Kanzlerin Ihnen im Wahlkampf helfen?
Laschet: Natürlich wird sie auch bei der ein oder anderen Gelegenheit dabei sein.
Aber Friedrich Merz soll Ihnen schon maßgeblich helfen?
Laschet: Er ist Teil der Mannschaft. Absolut.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage, Herr Laschet. Kritiker spötteln manchmal, wer wie Sie noch gerne Zigarillos rauche, sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit, weil Rauchen heute uncool sei. Werden Sie damit aufhören?
Laschet: Glücklicherweise leben wir in einem freien Land, in dem niemand vorschreibt, was cool ist.