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Foto: Sven Hoppe, dpa (Archivbild)
Foto: Sven Hoppe, dpa (Archivbild)

Im Landtag wurde wieder einmal gestritten.

Landtag
17.02.2023

"Schaufensterpolitik" und "Dipferlscheißerei" im Landtag: Worum ging's?

Von Uli Bachmeier

Über ein ganz besonderes bayerisches Programm wird im Landtag oft und ausgiebig gestritten. Jetzt fielen deftige Begriffe – nicht ganz zu Unrecht.

Es gibt altgediente Landtagsabgeordnete, die schlagartig Müdigkeit überfällt, sobald sie das Wort „Landesentwicklungsprogramm“ hören. Seit Jahrzehnten wird über das LEP gestritten. Seit Jahrzehnten ist es den einen zu streng, den anderen nicht streng genug. Immer geht es ums große Ganze, wie Bayern sich entwickeln soll, und darum, was im Detail dann halt doch nicht funktioniert. Doch so ermüdend die Debatten oft sind – sie haben es in aller Regel in sich. Der neue Streit im Wirtschaftsausschuss gipfelte in der Frage: Geht es hier um kleinliche „Dipferlscheißerei“ oder substanzlose „Schaufensterpolitik“?

Kerstin Schreyer (CSU) hat vorgesorgt: Es gibt Kaffee und Wasser, Butterbrezen und Fruchtquark und ausnahmsweise eine Mittagspause. Die Abgeordneten sollen in dieser Sitzung nicht vorzeitig schlappmachen. Und sie sollen sich, darauf weist die Vorsitzende gleich zum Auftakt eindringlich hin, doch bitte schön kurz fassen. Die Qualität der Argumente werde nicht dadurch besser, dass man die Wortbeiträge in die Länge ziehe.

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Foto: Matthias Balk, dpa
Foto: Matthias Balk, dpa

Martin Stümpfig von den Grünen.

Landesentwicklungsprogramm hat es in sich

Die strenge Ermahnung der Abgeordneten hat ihren Grund. Es wird gerne mal viel und auch viel Grundsätzliches gesagt, wenn es um Fragen wie Flächenverbrauch, Gewerbeansiedlungen, Verkehr, Wohnungsbau, Bürokratie, Digitalisierung, Energie und Umweltschutz in Stadt und Land geht. Und an diesem Tag stehen knapp 80 Anträge zur Fortschreibung des LEP auf der Tagesordnung. Bei jedem einzelnen besteht die Gefahr, dass die Debatte ausufert.

Das bewahrheitet sich schon beim ersten Antrag, der von CSU und Freien Wählern erst tags zuvor nachgereicht worden war. Ausschuss-Vize Martin Stümpfig (Grüne) plädiert vergeblich dafür, ihn von der Tagesordnung abzusetzen – wohl wissend, „dass wir damit nur den Prozess verzögern und am Ende doch dasselbe rauskommt“. So wie halt fast immer in der Vergangenheit.

Der Antrag ist in schönstem Parlamentsdeutsch formuliert: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, im Vollzug des Landesentwicklungsprogramms (LEP) bei der Ausweisung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten darauf hinzuwirken, dass die Kommunen und betroffenen Eigentümer mit ihren jeweiligen Betroffenheiten einbezogen werden ...“

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Die Ausweisung von Vorrang- und Vorbehaltsgebieten ist ein Instrument der Raumplanung. Damit legen die 18 Regionalen Planungsverbände fest, wie bestimmte Gebiete genutzt werden sollen – zum Beispiel für Landwirtschaft, Gewerbe, Naturschutz oder Erzeugung erneuerbarer Energie. Mit dem Antrag, so der CSU-Abgeordnete Walter Nussel, soll für mehr Transparenz vor Ort gesorgt werden. Es gehe um Eingriffe in Eigentum und oft wüssten nicht einmal die betroffenen Bürgermeister, was da entschieden werde.

Was folgt, ist eine Diskussion, die vom herkömmlichen Schema abweicht. Normalerweise nämlich kritisieren CSU und Freie Wähler das LEP als zu bürokratisch und kleinteilig und Nussel ist als Beauftragter der Staatsregierung für Entbürokratisierung da ganz vorne dran. Jetzt aber sind es Grüne und SPD, die an der Umsetzbarkeit in der Praxis zweifeln.

Nach vier Stunden sind alle Anträge im Landtag durch

Wie soll das gehen, fragt Stümpfig, wenn man ein 130.000 Hektar großes Vorranggebiet für Windkraft ausweist und über das normale gesetzliche Beteiligungsverfahren hinaus noch jeden einzelnen Grundeigentümer vorab informieren soll? Volkmar Halbleib (SPD) fragt nach den konkreten rechtlichen Folgen: „Das würde ich schon gerne wissen, bevor wir hier Unklarheiten beschließen.“ Und als dann noch der Vertreter des Wirtschaftsministeriums einräumt, dass ein derartiger Beschluss wohl eher nur als „Appell“ an die Verwaltung zu verstehen sei, geht’s rund. Alexander Muthmann (FDP) wirft den Regierungsparteien „Schaufensterpolitik“ vor, die Ausschussvorsitzende Schreyer kontert, das sei wohl jetzt „Dipferlscheißerei“ (hochdeutsch: Korinthenkackerei). Es gehe einfach nur darum, dass mehr miteinander geredet werde. Am Ende stimmen CSU, Freie Wähler, AfD und FDP dem Antrag zu. Die Grünen stimmen dagegen. Die SPD enthält sich. Und die ersten 90 Minuten der Sitzung sind rum.

Vier Stunden später sind alle Anträge abgearbeitet. Die Teilfortschreibung des LEP wird mit den Stimmen von CSU und Freien Wählern beschlossen. Wirklich zufrieden ist keiner – aus unterschiedlichen Gründen. Der Grünen-Abgeordnete Stümpfig nennt ein Beispiel: Bereits 2013 seien die Planungsverbände im LEP dazu verpflichtet worden, Vorranggebiete für Windkraft auszuweisen. Fünf von 18 hätten das einfach nicht getan – ohne dass es Konsequenzen gehabt hätte. 

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