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Alkohol und Krankheiten: Arbeitsmediziner: So gefährlich ist der Stress in der Arbeit

Alkohol und Krankheiten

Arbeitsmediziner: So gefährlich ist der Stress in der Arbeit

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    "Man sollte achtsam sein, wenn das Verlangen nach einem Viertel Wein oder einer Halben Bier vor dem Einschlafen zur  Gewohnheit wird", rät Nesseler von der Gesellschaft für Arbeitsmedizin.
    "Man sollte achtsam sein, wenn das Verlangen nach einem Viertel Wein oder einer Halben Bier vor dem Einschlafen zur Gewohnheit wird", rät Nesseler von der Gesellschaft für Arbeitsmedizin. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Ein deutscher Nachwuchsbanker wird in seinem Appartement in London tot gefunden. Möglicherweise hat er sich zu Tode gearbeitet und stand unter großem Leistungsdruck. Gleichzeitig berichten Krankenkassen, dass immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland Probleme mit Alkohol haben. Auch aufputschende Mittel spielen wohl eine wachsende Rolle, um Leistungsdruck zu bewältigen.

    Wie lange kann man eigentlich am Stück arbeiten? Und wann wird es gefährlich? Wir sprachen darüber mit Thomas Nesseler. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin in München.

    Krankenkassen berichten, dass alkoholbedingte Ausfälle in den vergangenen Jahren enorm zugenommen haben. Nach den jüngsten Daten der Techniker Krankenkasse gab es im vergangenen Jahr bundesweit 1,8 Millionen alkoholbedingte Fehltage. Warum trinken die deutschen Arbeitnehmer immer mehr?

    Thomas Nesseler: Stress, psychische Belastung am Arbeitsplatz und die Vermischung von Beruflichem und Privaten können Gründe dafür sein. Alkohol kann nämlich zur Entspannung gestresster Gemüter beitragen. Allerdings ist Stressempfinden sehr stark vom Einzelnen abhängig: In einem Job, der mir Spaß macht, bin ich viel belastbarer, als in einem Umfeld, in dem ich Stress negativ erlebe.

    Mit welchen Aufputschmitteln machen sich Arbeitnehmer fit?

    Nesseler: Man kann Zigaretten, Alkohol und natürlich auch leistungssteigernde Substanzen wie Amphetamine dazu zählen. Die Frage ist aber immer: Wie gehe ich damit um und ab wann wird das Trinken oder Rauchen wirklich zur Sucht?

    Was sind erste Anzeichen für zu viel Stress am Arbeitsplatz - und wann besteht die Gefahr, abhängig von Alkohol zu werden?

    Nesseler: Erste Symptome für zu viel Stress sind bei vielen Menschen Schlafstörungen. Man sollte außerdem aufpassen, wenn das Verlangen nach einem Viertel Wein oder einer Halben Bier vor dem Einschlafen zur Gewohnheit wird. Alkohol entspannt zwar und erleichtert bei beginnenden Schlafstörungen das Einschlafen, allerdings ist der Schlaf nach dem Konsum von Alkohol oft weniger erholsam.

    Mit welchen Folgen?

    Nesseler: Der Berufstätige empfindet oft noch mehr Stress nach einer Nacht, in der er nicht genügend Entspannung gefunden hat - auch im Job.

    Wo finden Betroffene Hilfe, die merken, dass sie ein starkes Verlangen nach Alkohol, Zigaretten oder anderen Drogen haben?

    Nesseler: Menschen, die an sich selbst ein verändertes Verlangen nach Alkohol, Tabak oder anderen Suchtsubstanzen wahrnehmen, sollten sich beraten lassen. Im Arbeitskontext können sie Hilfe beim Betriebsarzt oder Facharzt für Arbeitsmedizin suchen. Sie unterliegen wie alle Ärzte der ärztlichen Schweigepflicht. Natürlich können sie auch mit dem Hausarzt über ihre Bedenken und Probleme sprechen. Zusammen mit ihrem Arzt können Betroffene dann einen Entzug in dafür geeigneten Fachkliniken machen. Suchtkranke finden außerdem Hilfe in Selbsthilfegruppen.

    Wie sollte man Leistungsdruck und Stress ausgleichen?

    Nesseler: Bewegung und Sport können helfen, den Kopf frei zu bekommen. Auch ein langer Spaziergang gleicht mich aus. Berufstätige im Büro sitzen oft zu viel und sind sehr lange mental gefordert. Körperliche Bewegung zum Ausgleich entspannt da und hilft häufig beim Einschlafen. Überhaupt sind ausreichende Ruhe- und Freizeitphasen ganz entscheidend für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz.

    Wie können Firmen selbst dazu beitragen?

    Nesseler: Ein Beispiel: Einige Unternehmen senden Emails am Wochenende nicht mehr an ihre Mitarbeiter weiter. So schaffen sie Raum zur Erholung, um unter der Woche auf leistungsfähigere Arbeitnehmer zählen zu können. Denn Berufstätige, die privat Ausgleich zum Beruf finden können, fühlen sich in der Regel weniger durch Stress im Unternehmen belastet.

    Würden Sie drei Tage am Stück arbeiten, wie es der Praktikant in London angeblich tat, bevor er starb?

    Nesseler: Auf keinen Fall. Schon aus Selbstschutzgründen würde ich nicht so lange arbeiten. Natürlich kam es schon vor, dass ich bis weit über acht Stunden am Stück gearbeitet habe. Danach habe ich mich müde und erschöpft gefühlt und eine Ruhepause gebraucht. Hätte ich am nächsten Tag dann wieder so lange gearbeitet, hätte meine Erschöpfung noch mehr zugenommen.

    Wie ist der Fall in London einzuordnen?

    Nesseler: Den Fall in London muss man sicherlich auch vor dem Hintergrund bestimmter "Arbeitsrituale" in einigen Branchen beurteilen. Die Londoner Finanzszene erwartet einen ständig präsenten Arbeitnehmer auf Höchstleistungen. So etwas ist physisch und psychisch aber kaum zu leisten. Menschen sind ja keine Maschinen! Die Anforderungen von Führungskräften an ihre Arbeitnehmer sollten immer im Rahmen des Möglichen bleiben.

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