Am besten wird die Lage vielleicht bei einem ganz normalen Wohnbauprojekt deutlich. In Augsburg, im Stadtteil Hochzoll baut die Klaus Wohnbau GmbH derzeit 36 Wohnungen. Die Lage ist gut, der Lech ist in der Nähe, ein See, der Bahnhof ist nicht weit. Bis vor wenigen Monaten hätten Käuferinnen und Käufer Geschäftsführer Manfred Ruhdorfer die Einheiten aus den Händen gerissen. Doch die Situation hat sich komplett gedreht. "Früher hatten wir 20 bis 30 Nachfragen für Wohnungen pro Woche, jetzt sind es maximal fünf, manchmal auch gar keine." Von Käufern ganz zu schweigen. "Heuer ist keine einzige Wohnung reserviert worden, keine, und wir haben September", sagt der langjährige Geschäftsführer. Der Wohnungsmarkt ist praktisch zum Erliegen gekommen. Neue Wohnbauvorhaben packt fast kein Unternehmen an. "Die Kräne hören auf, sich zu drehen, die Situation ist wirklich dramatisch." Vor dem geplanten Wohnungsbaugipfel am Montag im Kanzleramt herrscht in der Branche Alarmstimmung. Geht es so weiter, wird das Ziel der Regierung von 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr regelrecht pulverisiert. Was sind die Gründe für den Einbruch? Und was könnte man dagegen tun?
Den Zeitpunkt, als sich der Markt von Boom auf Stillstand gedreht hat, kann Manfred Ruhdorfer genau benennen. Es war im Frühjahr 2022. Erst hatte Russland die Ukraine angegriffen, dann erhöhte die Europäische Zentralbank die Zinsen. Nachdem der Leitzins über Jahre bei null lag, sind es heute 4,5 Prozent. Eigennutzer können die Ratenzahlungen nicht mehr aufbringen oder haben nicht genug Eigenkapital. Kapitalanleger finden in Anleihen inzwischen ähnlich attraktive Bedingungen. Und für institutionelle Anleger rechnet sich die Investition nicht.
In der Bauwirtschaft bleiben neue Aufträge aus
Die Klaus-Gruppe mit ihren rund 500 Beschäftigten ist breit aufgestellt und wird das Projekt in Augsburg-Hochzoll natürlich weiterbauen. "Bei neuen Projekten, ja selbst bei Grundstückskäufen ist inzwischen aber jeder in der Branche vorsichtig", sagt Ruhdorfer. Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft Vonovia hat den Bau Zehntausender geplanter Wohnungen auf Eis gelegt. Das merkt inzwischen die Bauwirtschaft. Ohne neue Projekte fehlt irgendwann die Arbeit für Baggerfahrer und Stahlbetonbauer. "Die Bauwirtschaft befindet sich gerade in einer zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Lage", sagt Robert Feiger, Chef der Gewerkschaft IG Bau. Vor allem dem Hochbau fehle es an neuen Aufträgen. "Noch stehen Aufträge in den Büchern, aber der Bestand läuft auch irgendwann leer", sagt er. Und der Einbruch könnte weitere Kreise ziehen: "Heute trifft es die Bauträger, morgen die Baufirmen, übermorgen geht den Parkettlegern und den Produzenten von Waschbecken die Arbeit aus", warnt Ruhdorfer.
In der Zwickmühle stecken inzwischen auch kommunale und andere öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Mark Dominik Hoppe zum Beispiel ist Geschäftsführer der städtischen Wohnbaugruppe Augsburg, die rund 10.500 Wohnungen im Bestand hat und vermietet, zum überwiegenden Teil an Menschen mit einem Wohnberechtigungsschein zu günstigen Mietpreisen. Die Nachfrage nach Mietwohnungen sei groß. "Wir wollen nichts lieber als neue Wohnungen schaffen, damit auch Menschen ein Zuhause finden, die sich am freien Wohnungsmarkt nicht bedienen können", sagt Hoppe. Die WBG habe auch mehrere Projekte geplant, die schrittweise umgesetzt werden sollen. Das größte Projekt sieht die Entwicklung eines neuen Quartiers mit deutlich über 1000 neuen Wohnungen vor und würde jedenfalls 500 Millionen Euro kosten.
"Meilenweit vom Ziel der Ampel von 400.000 Wohnungen pro Jahr entfernt"
Doch längst verzweifeln die Wohnbaugesellschaften unter der Last der Aufgaben. Dies ist vor allem eine Geldfrage. Beispiel Augsburg: Die Wohnbaugruppe muss ihre 10.500 Wohnungen instandhalten, immer wieder sind Reparaturen fällig. Das kostet. Dazu kommen schärfere Klimaschutzauflagen aus der EU. Die Wohnungen müssen energetisch saniert werden. "Dafür kalkulieren wir bis 2040 mit einem mindestens hohen dreistelligen Millionenbetrag", sagt Hoppe. "Das können wir nicht aus eigener Kraft leisten." Zusätzlich Neubauvorhaben für weitere Hunderte Millionen Euro zu stemmen, ist wirtschaftlich schlicht überfordernd. Die jährlichen Gewinne reichen nicht aus. "Unser Jahresergebnis beträgt im Schnitt fünf Millionen Euro", sagt Hoppe. Woher das Geld nehmen? Das Problem haben derzeit viele Städte.
Die Folgen sind fatal. "Von dem Ziel der Ampel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu erstellen, sind wir meilenweit weg", sagt IG Bau-Chef Feiger. "Ich denke, dass heuer 250.000 fertig werden, nächstes Jahr 100.000 und übernächstes 50.000, wenn sich nichts ändert", warnt auch Ruhdorfer. Die Folgen träfen viele Menschen: "Das Angebot an neuen Mietwohnungen wird einbrechen, die Mieten massiv steigen", warnt er. "Das ist ein Pulverfass, auf dem wir stehen."
Forderung nach 50 Milliarden Euro Sondervermögen für sozialen Wohnungsbau und Sonderabschreibungen für Käufer
Welche Lösungen gäbe es? "Was wir jetzt brauchen ist ein echter Schub, damit der Wohnungsbau nicht kollabiert", sagt Feiger. "Wir brauchen beispielsweise ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro, um genügend Sozialwohnungen bis zum Jahr 2025 zu bauen. Und weitere 22 Milliarden Euro sind noch in dieser Legislaturperiode notwendig, um auch Wohnungen zu erstellen, die für Menschen mit mittleren Einkommen bezahlbar sind." Die IG Bau plädiere auch für eine Wiederbelebung der Wohngemeinnützigkeit: "Der Staat sollte seine Anteile bei Wohnbaugesellschaften so erhöhen, damit er sie weg von Profitinteressen und hin zu einer sozialen Ausrichtung lenken kann. Alles, was jetzt nicht finanziell auf den Weg gebracht wird, wird später doppelt so teuer!", sagt Feiger.
Um wieder Dynamik im Bau zu schaffen, müssten auch die Käuferinnen und Käufer von Wohnungen aktiviert werden, sagt Ruhdorfer. Er rät erstens zu einer Sonderabschreibung von 10 Prozent für Käufer von Neubauwohnungen, befristet auf fünf Jahre. "Die Sonderabschreibung, um Steuern zu sparen, muss nicht lange dauern, aber hoch und sofort wirksam sein, sonst warten die Menschen noch länger ab", sagt er. Und zweitens bräuchten junge Familien eine Erleichterung der Finanzierung. Sein Vorschlag: "Jeder bekommt zum Erwerb einer Neubauwohnung ein zinsvergünstigtes Darlehen der KfW-Bank", sagt Ruhdorfer.
Zwei Verbände sagen ihre Teilnahme am Wohnbaugipfel ab
Auch im Allgäu wünscht man sich eine schnelle Reaktion: "Der Wohnungsmarkt ist durch verschiedene Entwicklungen schwer getroffen. Deshalb ist unsere größte Erwartung an die Politik, dass möglichst viele Hürden abgebaut werden", sagt Josef Geiger, geschäftsführender Gesellschafter der Geiger Baugruppe mit insgesamt 3500 Beschäftigte. "Insbesondere Genehmigungsverfahren müssen einfach und schnell gestaltet werden", sagt Geiger. "Wenn wir schnell viele Wohnungen bauen wollen, brauchen wir nicht für jedes Projekt einen Gestaltungsbeirat", erklärt er. "Systemlösungen, wie zum Beispiel modulares Bauen, müssen ermöglicht werden." Dafür sollte man zum Beispiel alternative Ausschreibungsmöglichkeiten nutzen. "Überbordende Vorschriften machen das Bauen zusätzlich sehr teuer", kritisiert Geiger.
Doch die Hoffnung der Verbände auf Ergebnisse ist gedämpft: Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) sowie der Eigentümerverband Haus & Grund sagten ihr Kommen zu dem Treffen am Montag kurzerhand ab, sie fühlen sich von der Bundesregierung nicht ernst genommen.
Die Angst vor dem "Gastro-Effekt": Beschäftigte, die einmal die Branche verlassen haben, kommen kaum mehr wieder
Besser sieht es laut IG-Bau-Chef Feiger derzeit bei Infrastrukturprojekten aus: "Straßen, Schienen, Brücken und anderes mehr müssen erneuert und gebaut werden. Da kann das Arbeitsvolumen derzeit gar nicht bewältigt werden, da ist noch viel Luft nach oben", sagt er. Die Krise am Wohnungsbau sende aber ein fatales Signal. Denn Arbeitskräfte, die einmal die Branche verlassen, kommen kaum mehr wieder.
"Es gibt noch eine große Gefahr, vor der wir warnen, wenn jetzt Arbeitsplätze abgebaut werden, den sogenannten Gastro-Effekt", erklärte Feiger: "In der Gastronomie sind die Beschäftigten irgendwann gegangen und nicht wieder zurückgekommen, weil sie in anderen Branchen bessere Arbeitsbedingungen vorgefunden haben. Das könnte auch in unserer Branche passieren."