Binnen zwölf Jahren kann in der Autobranche viel passieren. Im Jahr 2011 war Tesla nach einem abgewendeten Konkurs ein Neuling an der Börse, hatte rund 2000 elektrische Sportwagen verkauft und einen wegen seines großen Computerbildschirms bestaunten Prototyp seiner Limousine "Model S". Dass dieses Auto in weniger als zwölf Jahren die ganze Branche revolutionieren würde, glaubten damals nicht einmal alle Firmenteilhaber: 2014 verkaufte der Daimler-Konzern seine Tesla-Anteile, 2017 stieg Toyota aus. Heute versuchen fast alle Hersteller, E-Autos nach dem Prinzip von Tesla zu bauen, dem inzwischen wertvollsten Autobauer der Börsenwelt.
Und wie sieht die Autowelt in zwölf Jahren aus? Darüber herrscht derzeit großer Streit innerhalb der Koalition und in der EU: Die FDP und ihr Verkehrsminister Volker Wissing dringen darauf, dass es Ausnahmen vom 2035 geplanten "Verbrennerverbot" geben soll. Autos, die mit künstlich klimaneutral hergestelltem Sprit – sogenannten E-Fuels – fahren, sollen anders als herkömmliche Benziner und Diesel auch 2035 genauso wie E-Autos als Neuwagen zugelassen werden können.
E-Fuels: FDP-Minister dämpft Hoffnung auf schnelle Einigung mit der EU
Im März platzte eine geplante Einigung innerhalb der EU, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürften, wegen Nachforderungen Deutschlands. Inzwischen hat die EU-Kommission einen neuen Kompromissvorschlag unterbreitet und die Grünen drängen Wissing zu einer raschen Zustimmung. Doch der FDP-Minister sieht im Gespräch mit unserer Redaktion wegen ungeklärter Details keinen Grund zur Eile: "Wir reden über eine Regulierung für das Jahr 2035. Ich verstehe nicht, warum man sich jetzt nicht noch einmal Zeit nehmen dürfen soll, um die Dinge genau anzuschauen."
Der Verkehrsminister dämpft die Erwartungen an eine schnelle Einigung und macht seine Haltung klar: "Verbote von Technologien haben das Land noch nie weitergebracht", betont der FDP-Politiker. "Wir wollen daher, dass in der europäischen Regulierung ein technologieoffener Ansatz gewählt wird. Dazu gehört der Verbrennermotor mit E-Fuels." Doch auch Wissing betont, dass dies kein Ausweichmanöver sein soll, mit dem einfach auch nach 2035 weitergemacht werden soll wie bisher.
Wissing fordert klare EU-Grundlagen für E-Fuel-Fahrzeuge
"Es geht nicht darum, dass man diese Verbrennermotoren mit Benzin und Diesel betankt", betont Wissing. "Diese Fahrzeugkategorie muss in der europäischen Regulierung geschaffen werden", fordert er klare Gesetzesgrundlagen seitens der EU. "Das ist ein fundamentales Anliegen der FDP", betont er. Die Anliegen habe man schon im letzten Jahr klargemacht. "Bevor wir ein Ja haben, müssen wir eine Absicherung haben", sagt Wissing. "Wir hatten es ja schon einmal, dass wir eine Zusage der Kommission hatten und dann ist nichts passiert. Der Vorschlag wurde nicht gemacht." Deshalb weist Wissing nun den Zeitdruck von sich. "Jetzt sind wir an einem Punkt, wo das Ganze etwas komplizierter ist", betont er. "Wir brauchen eine rechtlich saubere Lösung. Es muss ein Verfahren sein, dass nicht vor dem EU-Parlament scheitert.“ Wissing ist zuversichtlich, eine Lösung zu finden. "Wir prüfen Punkt für Punkt, aber wir kommen gut voran."
Unions-Fraktionsvize Spahn fordert Wissing zum Hartbleiben auf
Unterstützung erhält der Minister von der Union: "Die FDP sollte jetzt standhaft bleiben", sagt der stellvertretende Unions-Fraktionschef Jens Spahn unserer Redaktion. Er kritisiert die Haltung der Grünen in dem Koalitionsstreit: "Die Technologie-Verbieteritis der Ampel muss enden", fordert Spahn. "Wer nicht an effiziente Verbrennermotoren mit E-Fuels glaubt, muss sie erst recht nicht verbieten", fügt er hinzu. "Wir sollten zudem die Voraussetzungen für Nutzung von E-Fuels im Bestand schaffen, das wäre eine konkrete Klimamaßnahme", fordert er mit Blick auf vorhandene Diesel- und Benzinfahrzeuge. "Die Autohersteller sind hier mit in der Verantwortung."
Die Grünen werfen Wissing dagegen Blockade vor. "Der FDP ist offensichtlich nicht nur der Kampf gegen den Klimawandel egal, sondern auch ihre Verantwortung als verlässlicher Partner in Brüssel", sagt die Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, Theresa Reintke. "Das Schauspiel um das Verbrenner-Aus wird immer absurder und droht jetzt den EU-Gipfel zu überschatten." Die FDP feiert dagegen ihren Minister: "Mit seinem Einsatz für klimaneutrale Verbrenner leistet Verkehrsminister Wissing mehr für den Klimaschutz als alle seine Vorgänger zusammen", sagt Fraktionsvize Lukas Köhler. "Wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen, müssen wir alle klimafreundlichen Optionen zulassen. Und am Ende soll der Wettbewerb um die besten Ideen entscheiden, für welche Art der klimafreundlichen Mobilität sich die Menschen entscheiden. Fossile Kraftstoffe wie Diesel und Benzin hätten in Europa wegen der beschlossenen Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehrssektor im Jahr 2027 ohnehin keine Zukunft. "Um unsere Klimaziele in den kommenden Jahren garantiert zu erreichen, sollten wir diesen Schritt in Deutschland bereits auf 2024 vorziehen", fordert Köhler.
Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung bezweifeln allerdings, dass im Jahr 2035 überhaupt genügend E-Fuel-Treibstoffe zur Verfügung stehen, um sie an deutschen Tankstellen anzubieten. Aktuell gebe es weltweit 60 Projekte und Unternehmen, die E-Fuels aus stromerzeugtem Wasserstoff mit Kohlenstoffdioxid aus der Luft unter Druck und Hitze industriell herstellen wollten, so die Forscher. Doch selbst, wenn die junge Branche ähnlich erfolgreich sein sollte wie die Solar- und Windenergieindustrie, reiche die weltweit produzierte Menge nicht einmal, um den Bedarf der deutschen Chemie-Industrie und Luftfahrt an klimaneutralen Kohlenwasserstoffen und Öko-Kerosin zu decken, geschweige denn für Sprit von Autos. Aber vielleicht kann in zwölf Jahren ja viel passieren.