Der ungarisch-stämmige Star-Investor George Soros übt massive Kritik am Bundesverfassungsgericht und wirft ihm eine Spaltung Europas vor. Karlsruhe hatte in der vergangenen Woche in einem viel beachteten Urteil die Rechtmäßigkeit des Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank angezweifelt. "Dieses Urteil ist eine politische Bombe, die die ganze EU zerfetzen könne – zumindest als eine Union, die das Recht ernst nimmt", sagt Soros in einem Interview mit unserer Redaktion. "Denn das Urteil kam nicht von irgendeinem Gericht, sondern vom Bundesverfassungsgericht, der meistrespektierten Institution in Deutschland."
George Soros fürchtet Konsequenzen für die Europäische Union
Durch das Urteil sei ein offenen Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof entstanden, der in der Frage gipfele: Wer hat das Sagen? Eigentlich gilt der Grundsatz, dass Europarecht über nationalem Recht steht. Der 89-jährige Soros fürchtet Konsequenzen für die EU. "Wenn das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes offen anzweifeln kann, werden sich dann andere Länder genau das auch trauen?", fragt er. Vor allem die osteuropäischen Länder dürften sich bestärkt in ihrer Haltung sehen, dass Europa sich nicht in interne Angelegenheiten einmischen solle. "Polen hat natürlich die Gelegenheit gleich beim Schopf gepackt und klargestellt, dass seine regierungskontrollierten Gerichte entscheiden, nicht Europa", sagt Soros. "In Ungarn hat Victor Orbán die Corona-Krise genutzt, um sich zu einer Art Diktator zu ernennen – und er erlässt Dekrete, die ganz klar das Europarecht verletzen."
Der Star-Investor warnt in deutlichen Worten: "Wenn diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes die EU daran hindert, auf so etwas angemessen zu reagieren, ist bald von der Idee eines demokratischen und rechtsstaatlichen Europa nichts mehr übrig." (AZ)
Lesen Sie hier das vollständige Interview: George Soros: "Diese Krise bedroht das Überleben unserer Zivilisation"
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