Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank setzt die gesamte Kreditwirtschaft und damit auch die Sparkassen immer mehr unter Druck, hatte am Donnerstag Ulrich Reuter gewarnt, der Präsident des Bayerischen Sparkassenverbandes. Immer mehr Institute seien gezwungen, Verwahrentgelte zu verlangen, häufig ist auch von Negativzinsen die Rede. Im Endeffekt bedeutet beides für die Kunden das Gleiche.
Tatsächlich schließen viele Institute in Bayern derzeit Vereinbarungen mit ihren Kunden, in denen es um Verwahrentgelte für Girokonten, Tagesgeld- oder Geldmarktkonten geht. Meistens sind darin hohe Freibeträge ab 100.000 Euro vereinbart, in einzelnen Fällen können die Verwahrentgelte aber schon ab dem ersten Euro fällig werden. Darauf weist die Verbraucherzentrale Bayern hin. „Es ist problematisch, für Bestandskunden auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto Negativzinsen zu verlangen“, kritisiert Sascha Straub, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Bayern.
Verbraucherzentrale zu Negativzinsen: Die ersten beiden bekannten Fälle in Bayern
In den zwei Fällen, die der Verbraucherzentrale vorliegen, hat die Sparkasse Dillingen-Nördlingen mit ihren Kunden eine „Rahmenvereinbarung über ein Verwahrentgelt und/oder über eine Gesamthöchstgrenze für bestehende und zukünftige Konten“ getroffen. Darin heißt es, dass auf alle bestehenden und künftigen Sichteinlagen – also Girokonten, Tagesgeld- und Geldmarktkonten – ein Verwahrentgelt fällig wird. Dieses richte sich nach einem variablen Referenzzins – der Einlagenfazilität der Europäischen Zentralbank. Derzeit betrage diese minus 0,5 Prozent. In der Vereinbarung ist ein Freibetrag vorgesehen, für den keine Negativzinsen anfallen. Diesen hat die Sparkasse aber auf 0,00 Euro gesetzt. „Für den ersten Euro, der auf das Girokonto fließt, wird damit ein Negativzins fällig“, erklärt Straub. „Dies könnte rechtlich angreifbar sein.“
Nach Kenntnis der Verbraucherzentrale sind die beiden Fälle die ersten in Bayern, bei denen eine Sparkasse ab dem ersten Euro an Sichteinlagen Negativzinsen verlangt, berichtet Straub.
Sparkasse Dillingen-Nördlingen: "Jeder Kunde hat einen Freibetrag"
Die Sparkasse Dillingen-Nördlingen erklärt sich: Das Institut sei ab dem vierten Quartal 2020 auf seine Kunden zugegangen, um Rahmenvereinbarungen über Verwahrentgelte zu schließen, berichtet Pressesprecher Siegfried Haide. Die Nullzinspolitik der EZB lasse den Sparkassen inzwischen kaum mehr eine andere Wahl. „Jeder Kunde hat allerdings einen Freibetrag, bis zu dem kein Verwahrentgelt anfällt“, betont Haide. Für Einzelpersonen betrage dieser bei der Sparkasse Dillingen-Nördlingen 100.000 Euro, für Ehepaare 200.000 Euro. Dass im vorliegenden Fall bereits ab dem ersten Euro auf dem Giro- oder Festgeldkonto Verwahrentgelte fällig werden, könne nur damit erklärt werden, dass der Kunde weitere Einlagen bei der Sparkasse hat und damit seinen Freibetrag bereits ausschöpft oder überschreitet. Etwaige Verwahrentgelte betreffen damit immer nur vermögende Kunden mit Einlagen von mindestens 100.000 Euro. „Es gibt bei uns keinen Fall, in dem ein Kunde über keinen entsprechenden Freibetrag verfügt“, sagt Haide.
Im gleichen Dokument vereinbaren Sparkasse und Kunde eine Grenze für die Annahme von Spareinlagen. Diese ist im vorliegenden Fall auf 100.000 Euro gesetzt worden. Die Sparkasse Dillingen-Nördlingen betont zudem, dass sie auf jeden Kunden einzeln zugegangen ist und individuelle Lösungen vereinbart hat. „Dabei versuchen wir, für jeden Kunden, Verwahrentgelte zu vermeiden und nach Alternativen zu suchen“, sagt Haide. „Die Thematik ist nicht neu und für jede Sparkasse ähnlich.“
Sascha Straub sieht die Praxis trotzdem kritisch: „Wir halten grundsätzlich die Einführung von Verwahrentgelten bei Giro- und Tagesgeldkonten für unzulässig“, sagt er. Hierzu liefen bundesweit Gerichtsverfahren, es sei aber noch kein höchstrichterliches Urteil erfolgt. Kunden, die von Negativzinsen auf einem Giro- oder Festgeldkonto betroffen sind, rät er zu einem Wechsel der Bank oder dazu, die Vereinbarung nur unter Vorbehalt zu unterschreiben, um sich die Kosten nach einem Urteil gegebenenfalls zurückholen zu können.
Vergleichsportal Biallo: Bundesweit berechnen 380 Banken Negativzinsen auf Guthaben
Das Thema Negativzinsen ist bundesweit bei vielen Instituten angekommen, auch bei Privatbanken sowie Volks- und Raiffeisenbanken. Einer Untersuchung des Vergleichsportals Biallo zufolge berechnen inzwischen 380 Banken und Sparkassen Negativzinsen auf Guthaben. Dabei gelten meist Freibeträge, die von 5000 Euro bis zu Millionenbeträgen reichen. Bei 40 Banken liege dieser Freibetrag bei nur noch 10.000 Euro oder weniger, 15 Institute „langen bereits ab dem ersten Euro zu“.
Sparkassen raten zu Alternativen
Was die Sparkassen anbelangt, so hat Bayerns Sparkassenpräsident Ulrich Reuter betont, dass die Verwahrentgelte von den Instituten vor Ort festgelegt werden, dabei in der Praxis aber in aller Regel hohe Freibeträge mit den Kunden vereinbart werden. Damit seien im Regelfall nur vermögende Kunden betroffen. Nachdem Verwahrentgelte mittlerweile banküblich geworden sind, könnten auch die Sparkassen im andauernden Niedrigzinsumfeld nicht gegen den Markt handeln.
In Bayern regeln die 64 Sparkassen es also eigenständig, wie sie mit dem Thema der Verwahrentgelte umgehen und in welcher Höhe sie Freibeträge gewähren, berichtet Eva Mang, Sprecherin des Sparkassenverbandes Bayern. Dabei müsse man auch zwischen Neu- oder Bestandskonten unterscheiden. Mit Neukunden wird immer öfter gleich bei der Kontoeröffnung eine Vereinbarung zu dem Thema getroffen. „Bei Bestandskunden, mit denen man ja sehr oft schon eine langjährige Geschäftsbeziehung pflegt, versuchen die Sparkassen, ins Gespräch zu kommen und eine gute Lösung zu finden“, sagt Mang. „Häufig gibt es im derzeitigen Negativzinsumfeld attraktivere Möglichkeiten als hohe Summen in Form von Sichteinlagen zu parken“, sagt sie. Die Sparkassen sehen Chancen zum Beispiel in Fondssparplänen.
Da die Bürger im Krisenjahr 2020 stark gespart haben, verzeichnen viele Sparkassen einen Einlagenüberschuss, der sich kaum mehr rentabel anlegen lässt. Die EZB verlangt für Einlagen der Banken bei ihr einen Negativzins von minus 0,5 Prozent. „Banken und Kunden sitzen im selben Boot“, sagt Mang. Allein durch Sparen könnten die Institute die Kosten nicht mehr auffangen.
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