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Netze fehlen: Energie-Verschwendung? Deutschland regelt immer mehr Strom ab

Netze fehlen

Energie-Verschwendung? Deutschland regelt immer mehr Strom ab

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    Zweitweise könnte Deutschland noch mehr Ökostrom produzieren, aber das Netz kann ihn nicht aufnehmen.
    Zweitweise könnte Deutschland noch mehr Ökostrom produzieren, aber das Netz kann ihn nicht aufnehmen. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Der zunehmende Ausbau von Wind- und Sonnenenergie führt immer häufiger dazu, dass zeitweise mehr Strom produziert werden könnte als das Netz aufnehmen kann. Die Windräder und Solaranlagen werden dann abgeschaltet, sie bleiben ungenutzt. Für das Energiekrisenjahr 2022 mit seinen besonders hohen Strom- und Gaspreisen deutet sich sogar eine Rekord-Menge bei der Abregelung an. Allein in den ersten beiden Quartalen 2022 ist fast genauso viel Strom abgeregelt worden wie im ganzen Jahr davor. CDU-Energieexperte Jens Spahn fordert deshalb die Bundesregierung auf, stärker gegen die Verschwendung vorzugehen. 

    Im ersten Quartal 2022 waren es 3285 Gigawattstunden Strom, die nicht mehr ins Netz aufgenommen werden konnten. Im zweiten Quartal wurden nochmals 2134 Gigawattstunden abgeregelt. Dies geht aus Zahlen der Bundesnetzagentur hervor. Zusammen ist dies fast so viel wie 2021, als insgesamt 5818 Gigawattstunden Strom abgeregelt wurden. Diese Menge entspricht ungefähr der Hälfte der Jahresproduktion des früheren Kernkraftwerks Isar 2. Die Zahlen für das Gesamtjahr 2022 stellt die Bundesnetzagentur in dieser Woche vor. 

    Jens Spahn, CDU: "An guten Tagen wird Strom teuer entsorgt"

    Der stellvertretende Unionsfraktionschef Jens Spahn forderte die Bundesregierung angesichts der massiven Menge ungenutzten Stroms zu mehr Anstrengungen für Energiespeicheranlagen auf: "Fehlende Speichermöglichkeiten sind die Achillesferse der Erneuerbaren“, sagte Spahn. „An guten Tagen wird Strom teuer entsorgt, an schlechten kaufen wir Atomstrom aus Frankreich – und immer zahlen die Bürger“, kritisierte Spahn. „Es bräuchte dringend wirtschaftliche Anreize und die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Förderung von Speicher-Anlagen“, forderte der CDU-Politiker. 

    Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger bedauert ebenfalls die Entwicklung: "Die Abregelung von Strommengen im großen Stil ist ein Unding, welches dringend korrigiert werden muss", sagte er unserer Redaktion. Auch in den Jahren 2017 bis 2020 waren jeweils über 5000 Gigawattstunden abgeregelt worden.

    Detlef Fischer, VBEW: "Müssten beim Netzausbau viel weiter sein"

    Eine Ursache der zunehmenden Zwangsabschaltung von Windkraftanlagen und Solarparks liegt im deutlich langsameren Netzausbau: "Derzeit werden Erneuerbare-Energien-Anlagen erfreulicherweise sehr dynamisch ausgebaut", sagt Aiwanger. "Der Ausbau der Stromnetze, die den örtlichen Überschussstrom in die Verbrauchszentren liefern sollen, ist hingegen aufwendiger und zeitintensiver", erklärt er. "Sukzessive gehen jetzt aber neue und verstärkte Stromleitungen in Betrieb", betont er. Das Problem dürfte damit im Laufe der Zeit abnehmen.

    "Natürlich müssten wir beim Netzausbau insbesondere bei den Übertragungsnetzen viel weiter sein", sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW). "Dieser wurde aber auch jahrelang von der Bayerischen Staatsregierung regelrecht blockiert", kritisiert er. "Jetzt hat es aber Klick gemacht, das freut uns sehr." Aber der Netzausbau sei nur ein Baustein der Lösung. "Wir müssen den überschüssigen Strom aus Wind- und Photovoltaikanlagen für die Dunkelflaute speichern und den Strom dann verbrauchen, wenn er zur Verfügung steht", fordert Fischer.

    Hubert Aiwanger: Mit Überschuss-Strom Wasserstoff erzeugen

    Eine bessere Nutzung des Überschuss-Stroms stellt sich auch Aiwanger vor: „Nutzen statt Abregeln ist die zentrale Botschaft", sagt der Freie-Wähler-Chef. "Wir müssen Strom in Überschusszeiten günstiger an Verbraucher abgeben und damit Angebot und Nachfrage besser zusammenbekommen", erklärt er. 

    Zudem schlägt Aiwanger vor, Überschuss-Strom zur Erzeugung von Wärme oder von Wasserstoff zu nutzen: "Speicher und Elektrolyse sind weitere Werkzeuge, die wir dringend ausbauen müssen", sagt Aiwanger. Überschussstrom könnte zum Beispiel genutzt werden, um über Heizstäbe Wärme in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu erzeugen. Damit ließen sich fossile Energieträger ersetzen. "Ein riesiges Potenzial hat auch Wasserstoff, den wir mit den Überschüssen aus der Stromernte in Elektrolyseuren erzeugen können", sagt Aiwanger. Wasserstoff sei entscheidend für die Dekarbonisierung der Industrie und von Teilen des Verkehrs. "Einen mächtigen Schub wird unser bayerisches Förderprogramm für Elektrolyseure mit einem Volumen von 150 Millionen Euro bringen, das in den Startlöchern steht." 

    Spahn verwies darauf, dass kommunale Energieversorger seit langem über fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen klagen, überschüssigen Windstrom billig mit sogenannten Power-to-Gas-Anlagen in künstliches Erdgas umwandeln zu können. „Früher hat Habeck das selbst heftig kritisiert“, sagte er. „Heute handelt er nicht – dabei ist das Problem größer denn je.“ 

    Wird aus Storm grüner Wasserstoff hergestellt, entfällt die EEG-Umlage

    Allerdings hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bereits wesentliche Verbesserungen für die Umwandlung von erneuerbaren Energien in Wasserstoff durchgesetzt. Inzwischen ist der Strom für die Herstellung von grünem Wasserstoff von Abgaben befreit, die lange Zeit die Umwandlung aus Windstrom unwirtschaftlich gemacht hatten. So entfällt seit diesem Monat endgültig die EEG-Umlage und es gibt eine Befreiung von anderen Netzumlagen.

    Kritik gibt es auch daran, dass die Anlagenbetreiber für den abgeregelten Strom trotzdem eine Vergütung erhalten. "Die Anlagenbetreiber, die volatilen Strom aus Wind- und Photovoltaikanlagen produzieren, genießen seit über 20 Jahren ein Privileg wie kein anderer Produzent in unserem Land", sagt VBEW-Hauptgeschäftsführer Fischer. "Sie kommen auf ihr Geld, ob sie produzieren oder nicht", kritisiert er. "Das kann nicht die Lösung für alle Zeiten sein."

    Der Gesetzgeber hatte die Entschädigung zuletzt zumindest reformiert. Die ausgezahlten Summen für den nicht-eingespeisten Strom fallen dadurch geringer aus. Im ersten Quartal 2022 flossen noch 92 Millionen Euro als Entschädigung, in zweiten Quartal waren es 56 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2021 wurden noch 238,3 Millionen Euro im ersten Quartal und 194,3 Millionen Euro im zweiten Quartal fällig. 

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