Es gibt bessere Zeiten, Wirtschaftsminister zu sein. Reichlich zerknirscht hatte Robert Habeck die Konjunkturprognose für dieses Jahr gesenkt. Nur noch 0,2 Prozent Wachstum erwartet die Bundesregierung. Im Oktober war sie noch von 1,3 Prozent ausgegangen. "Wir kommen langsamer aus der Krise als erhofft", sagte der Grünen-Politiker. Die deutschen Wirtschaftsinstitute sehen das ähnlich und haben in den vergangenen Tagen die Erwartungen drastisch nach unten korrigiert. "Wir sind gefangen in der Stagnation", kommentierte kürzlich Ifo-Chef Clemens Fuest. Dafür gibt es nicht nur einen zentralen Grund, sondern mehrere. Und manches macht auch Hoffnung.
1. Der schwache Konsum
Ein Problem für die deutsche Wirtschaft war zuletzt die hohe Inflation. Vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher reagierten verunsichert, der Konsum gab deutlich nach. Er liegt nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle noch immer unter dem Niveau vor der Coronapandemie. Höhere Löhne helfen bisher kaum: "Auch wenn die Portemonnaies wegen steigender Löhne und zunehmend sinkender Inflationsraten wieder besser gefüllt sind, halten die Konsumentinnen und Konsumenten ihr Geld derzeit noch zusammen", schreibt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, kurz DIW. "Viele legen es angesichts gestiegener Bankzinsen lieber auf die hohe Kante." Die Inflation hat noch einen zweiten Effekt: Die Europäische Zentralbank kämpfte mit steigenden Zinsen gegen die Geldentwertung. Dies verteuerte aber die Baufinanzierung, der Bausektor brach ein. Die Unternehmen im Wohnungsbau mussten 2023 reale Auftragsrückgänge von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verkraften, berichtet der Zentralverband Deutsches Baugewerbe. Es gibt aber Hoffnungsschimmer: Die Inflation lässt inzwischen deutlich nach, das könnte den Bürgern Mut machen: "Der private Konsum wird zum Haupttreiber des konjunkturellen Aufschwungs", erwartet Timm Bönke vom DIW.
2. Die hohen Energiepreise
Die hohen Energiepreise werden von Wirtschaftsvertretern seit Jahren als Hindernis genannt. Die Energiekrise nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 hat sie regelrecht explodieren lassen. DIW-Chef Marcel Fratzscher hat die Kosten zuletzt beziffert: Die hohen Energiepreise hätten das Wachstum im Jahr 2022 um 2,5 Prozentpunkte gesenkt und rund 100 Milliarden Euro gekostet. Für die Jahre 2023 und 2024 sei eine ähnliche Größenordnung anzusetzen. Dazu kommt, dass die Energiewende in Deutschland aus Sicht vieler Kritiker zu langsam stattfindet. Der Bau von Stromleitungen, Speichern oder Windrädern – vor allem im Süden der Republik – ist in Verzug. Doch zumindest bei den Preisen ist Besserung in Sicht: "Die Wettbewerbsfähigkeit beim Industriestrompreis hat sich stark verbessert", stellte das Prognos-Institut diese Woche im Auftrag der sonst sehr kritischen Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fest. Unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Deutschland bei den Industriestrompreisen meist auf den Rängen 24 bis 26 unter den 27 EU-Ländern gelegen. Inzwischen sei die Bundesrepublik auf Platz 14 hochgeklettert und liege nun etwas über dem Durchschnittspreis der EU-Länder – knapp hinter Frankreich.
3. Hohe Steuern und Sozialabgaben
Als Nachteil des Standorts Deutschland gilt auch die Last an Steuern und Abgaben. Dies wird bereits bei den Haushaltseinkommen sichtbar. Bei einem verheirateten Paar mit Kindern liegt die Quote an Steuern und Sozialabgaben bei 40,8 Prozent, das ergab im vergangenen Jahr eine Auswertung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Nur in Belgien sei die Quote mit 45,5 Prozent höher. Auch mit Blick auf die Unternehmen sei Deutschland "ein Hochsteuerland", stellte das Institut der Deutschen Wirtschaft fest. Und während andere Länder ihre Steuersätze teils reduziert hätten, stieg die Belastung in Deutschland: "Trotz eines Einnahmeeinbruchs durch die Coronapandemie lagen die Einnahmen aus der Unternehmenssteuer im Jahr 2020 um 45 Prozent höher als im Jahr 2010", so das Institut. In den anderen Industrieländern seien es weniger als 20 Prozent.
4. Zunehmende Bürokratie
Ein neues Lieferkettengesetz, das die Arbeitsbedingungen in den Entwicklungsländern im Auge hat. Neue Auflagen aus der EU für Chemikalien und anderes mehr: Jede neue Vorschrift ist meist gut gemeint, erzeugt aber Kosten für Unternehmen und streut neuen Sand ins Getriebe. Was Unternehmen seit Jahren immer stärker beklagen, hat der deutsche Normenkontrollrat nüchtern gemessen. Demnach ist die Belastung allein aus Bundesrecht für Unternehmen, Behörden und die Bevölkerung zuletzt um 9,3 Milliarden Euro auf 26,8 Milliarden Euro jährlich gewachsen, einmalig kamen weitere 23,7 Milliarden Euro dazu. "Noch nie war der laufende Erfüllungsaufwand so hoch wie heute", kritisiert das Gremium.
5. Fehlende Arbeitskräfte
Langfristig eines der größten Hindernisse ist nach Ansicht vieler Experten die Alterung der Bevölkerung. Die Babyboomer-Generation geht in Rente, zu wenig junge Menschen kommen nach. Die Zahl der Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, könnte bis 2035 um sieben Millionen sinken, hat das Institut für Arbeits- und Berufsforschung berechnet. Eine Lösung ist Zuwanderung, eine andere ist Mehrarbeit durch die heimische Bevölkerung. Doch leider sind die Anreize, von Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln, häufig gering, kritisierte Ifo-Chef Clemens Fuest: In teuren Städten wie München bleiben von 2000 Euro mehr brutto am Ende nur 32 Euro netto übrig, sagte er kürzlich. "Da versteht jeder, dass sich Arbeiten nicht lohnt."
Und was läuft gut in der deutschen Wirtschaft?
Doch vieles läuft auch herausragend gut. Der Arbeitsmarkt ist trotz Rezession robust. Die Arbeitslosenquote lag im Februar unverändert bei 6,1 Prozent. Und die staatliche Verschuldung Deutschlands liegt trotz vieler Krisen nach Angaben der Wirtschaftsweisen mit 64,4 des Bruttoinlandsprodukts sehr nahe an der 60-Prozent-Grenze, die der Maastricht-Vertrag fordert. Länder wie die USA und Japan haben deutlich mehr Schulden.