Entscheidet der Rat der Europäischen Zentralbank mit Präsidentin Christine Lagarde an diesem Donnerstag über eine weitere Erhöhung des Leitzinses, wird dieser Schritt mit besonderer Spannung verfolgt. Die EZB hat mit ihrem Kampf gegen die Inflation spät begonnen und dafür viel Kritik eingesteckt, in letzter Zeit hat sie aber auch viel richtig gemacht. Binnen eines Jahres haben die Hüter der Gemeinschaftswährung die Leitzinsen schrittweise von 0 auf stolze 4 Prozent angehoben. Die Inflation, die durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges und die Energiekrise nach oben geschnellt war, hat deutlich an Macht verloren.
Lag die Geldentwertung im Euroraum im Oktober bei dramatischen 10,6 Prozent, waren es im Juni dieses Jahres noch 5,5 Prozent. Fachleute erwarten, dass die EZB am Donnerstag den Leitzins nochmals einen Tick höher auf 4,25 Prozent anheben wird. Danach, so die Erwartung, könnte sie aber eine Pause einlegen. Der Zinsgipfel könnte erreicht sein. Doch besiegt ist die Inflation noch lange nicht. Zu früh darf sich die EZB deshalb nicht von ihrem Kurs abbringen lassen.
Der steigende Zins dämpft das Wirtschaftswachstum
Tatsächlich hat die Arznei einer Leitzins-Erhöhung unschöne Nebenwirkungen, die den Druck auf die EZB erhöhen, es mit ihrer Kur nicht zu übertreiben. Höhere Zinsen verteuern Kredite und Investitionen. Auf dem Bau hat die Zinswende spürbare Folgen hinterlassen: Bauträger haben Projekte auf Eis gelegt, der Immobilienmarkt in Deutschland ist aus voller Fahrt auf die Bremse getreten. Noch gibt es keine Immobilienkrise, aber riskieren will sie keiner. Start-ups fällt es bereits schwerer, sich zu finanzieren, die Insolvenzen steigen.
Die steigenden Zinsen dämpfen das Wirtschaftswachstum in der Eurozone, in Deutschland ist es praktisch zum Erliegen gekommen. Auch das Finanzsystem, das sich fast schon mit dem jahrelangen Nullzins arrangiert hatte, muss die steigenden Zinsen verkraften. Dies zeigt der Kollaps der kleinen Silicon Valley Bank im März in den USA. Kurzzeitig herrschte Panik an der Börse, die Sorge vor einer neuen Finanzkrise machte die Runde. Nicht zuletzt macht es ein höherer Zins für die Staaten teurer, Schulden aufzunehmen. Und Schulden gibt es im Euro-Raum reichlich.
Das Inflationsziel von 2 Prozent ist noch in weiter Ferne
Trotzdem darf die Zentralbank bei der Inflationsbekämpfung nicht locker lassen. Ihr Auftrag Nummer eins ist die Sicherung der Geldwertstabilität. Die Inflation mag in Deutschland auf 6,4 Prozent und im Euro-Raum auf besagte 5,5 Prozent gefallen sein, damit ist sie aber immer noch deutlich entfernt vom offiziellen Ziel der EZB, das bei 2 Prozent liegt. Die Kerninflation – ohne die jahreszeitlich schwankenden Preise von Lebensmitteln und Energie – ist sogar besonders hartnäckig. Die Preissteigerung muss noch deutlich nachlassen.
Die Gefahr ist zu groß, dass sich die Erwartung einer hohen Inflation dauerhaft verfestigt. Es ist richtig und wichtig, dass die Gewerkschaften mit mutigen Forderungen in die letzte Tarifrunde gegangen sind, um den Beschäftigten die Existenzsicherung zu ermöglichen, zum Beispiel forderte die IG Metall 2022 8 Prozent mehr Gehalt, bei der Eisenbahnergewerkschaft EVG sind es gerade 12 Prozent. Es wäre ein Fehler, wenn als einzige Folge der Handel die Preise anhebt und in der nächsten Tarifrunde die Gewerkschaften wieder zweistellige Lohnerhöhungen fordern müssten.
Ein Vertrauensverlust in den Euro darf nicht riskiert werden
Eine sich festbeißende Inflation hätte eine Entwertung zahlreicher Sparguthaben zur Folge und erschwert die private Altersvorsorge. Die Folge wäre ein massiver Vertrauensverlust in den Euro. Die EZB steht vor einem Balanceakt. Sie mag bald den Zinsgipfel erreichen. Jetzt aber schon über Zinssenkungen zu spekulieren, ist definitiv zu früh.