Bayern hat sein Energieproblem selbst mit verursacht

30.07.2022

Unter dem früheren Ministerpräsidenten Horst Seehofer wurde die Windkraft ausgebremst und der Bau von Stromtrassen verzögert. Das rächt sich nun in der Gaskrise.

Die Nervosität ist groß in der bayerischen Staatsregierung. Es vergeht kaum ein Tag, an dem CSU-Ministerpräsident Markus Söder der Ampel-Regierung im Bund nicht vorhält, schlecht auf die Gas-Notfallstufe vorbereitet zu sein: Dem Land gehe die Energie aus – mit Auswirkungen auf Millionen Arbeitsplätze, so lauten seine drastischen Warnungen. Bayern ist vom Gas-Mangel besonders betroffen. Der Freistaat hat sein Energieproblem aber auch selbst mit verursacht.

Dass Bayern Energie im Winter fehlen könnte, liegt auch daran, dass hier die Windkraft besonders torpediert wurde. Noch in der ersten Hälfte der 2010er Jahre haben findige Unternehmer und Gemeinden zahlreiche Windräder gebaut. Die Angst vor der Verspargelung der Landschaft nahm zu. Statt den Ausbau zu lenken, brachte ihn die Staatsregierung faktisch zum Stillstand. Der damalige CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer, der Wert darauf legte, in einer "Koalition mit dem Volk" zu regieren, brachte 2014 eilig die 10H-Regel auf den Weg. Der Abstand zum nächsten Dorf muss einem 10-fachen der Windradhöhe entsprechen, es sei denn, die Gemeinde genehmigt den Bau. Was als Regel angekündigt war, Gemeinden stärker zu beteiligen, wurde zum Windkraft-Verhinderungsgesetz. Die Anträge brachen ein.

Der frühere Ministerpräsident Seehofer bremste mit der 10H-Regel Windkraft und Stromtrassen aus

Söder hätte 10H korrigieren können, tat es aber nicht. Im ersten Halbjahr 2022 sind in Bayern genau 3 (!) Windkraftanlagen hinzugekommen, in Schleswig-Holstein 72. Es brauchte den unverhohlenen Druck von Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck aus Berlin, damit Söder versprach, das Thema beherzter anzugehen.

Jetzt mag Bayern nicht das windstärkste Land in Deutschland sein. Dann aber muss man Alternativen finden. Fatalerweise sind diese ebenfalls in München ausgebremst worden. Seit über zehn Jahren gibt es Planungen für Stromtrassen, um Windstrom von den Küsten in den Süden zu leiten, wenn dort die Atomkraftwerke vom Netz gehen. Eine dieser Leitungen hätte in unserer Region – in Meitingen – enden sollen. Abermals gab Seehofer der Kritik an "Monstertrassen" nach. Er erzwang, dass sie unter der Erde laufen sollen, mit der Planung hatte er es nicht mehr eilig.

Jetzt steht Bayern blank da: Ursprünglich hätten die großen Leitungen dieses Jahr – 2022, dem Jahr des geplanten Atomausstiegs – in Betrieb gehen sollen. Inzwischen gehen die Betreiber von 2027 oder 2028 aus. In der jetzigen Krise hilft das nichts.

Lesen Sie dazu auch

Pipeline liefert Gas von Russland über die Ukraine nach Bayern, doch es herrscht Flaute

Ja, die Idee, Strom von Sonne und Wind Gaskraftwerke wie im bayerischen Irsching zur Seite zu stellen, hat Charme. Gaskraftwerke können blitzschnell starten und einspringen, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht. Übersehen hat der Freistaat, wie sehr er von Russland abhängig ist. Dieses Risiko hing wie ein Klumpen am Bein des bayerischen Energiekonzepts. Die im oberpfälzischen Waidhaus ankommende Pipeline führt durch die Ukraine, große Teile des Gases kommen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. In dieser Röhre herrscht fast Flaute. Es ist nicht so, dass keiner vor den Risiken gewarnt hätte. "Sichere Energieversorgung und Autarkie von Bayern mit Wladimir Putin?", fragte bereits 2014 Grünen-Politiker Oliver Krischer. Der Mann hatte einen guten Riecher.

i
Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

Horst Seehofer: 10 H bei der Windkraft, Stromtrassen unter der Erde.

Bayern fällt seine geographische Lage nun wie ein Stück Pipeline auf die Füße. Gas-Ersatz kommt in Nord- oder Westdeutschland an, aus den Niederlanden oder Norwegen. Die Flüssiggas-Terminals werden naturgegeben an den Küsten liegen. Der Weg nach Bayern ist lang, große Verbraucher wie die Industrie im Ruhrgebiet liegen dazwischen.

Jetzt muss man auf einen vollen Gasspeicher in Österreich und eine letzte Chance für die Atomkraftwerke hoffen

Der Staatsregierung bleibt derzeit nur die fast verzweifelte Forderung, die letzten Atommeiler über den Winter zu retten und die Hoffnung auf möglichst viel Gas aus dem Speicher Haidach in Österreich, den nun das Nachbarland selbst anzapfen will. Auf Dauer ist das zu wenig. Bayerns gescheiterte Energiepolitik braucht einen Kurswechsel. Gut, dass man sich jetzt bei der Windkraft und dem Netzausbau nachlegen will.

Häme im Bund über die gescheiterte bayerische Energiepolitik wäre freilich fehl am Platze. Eine Wirtschaftskrise im industriestarken Freistaat schadet dem ganzen Land. Im Bund muss es in diesen Kriegszeiten eines geben: Solidarität.

Facebook Whatsapp Twitter Mail