Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: Siemens-Chef Kaeser: Bei Antisemitismus nicht wegducken!

Interview

Siemens-Chef Kaeser: Bei Antisemitismus nicht wegducken!

    • |
    "Biden könnte gut für Siemens sein", sagt Joe Kaeser über die Wahl in den USA.
    "Biden könnte gut für Siemens sein", sagt Joe Kaeser über die Wahl in den USA. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Herr Kaeser, wie feiern Sie Weihnachten?

    Joe Kaeser: Ich feiere Weihnachten mit Sicherheit nicht als Party, höchstens im kleinen Kreis. Wir werden alle Regeln beachten, sodass sich niemand anstecken kann. Wirtschaftslenker, die von Mitarbeitern Verantwortung einfordern, müssen auch selbst Verantwortung übernehmen. Wir alle sollten uns jetzt umsichtig verhalten.

    Corona-Gegner tun das vielfach nicht. Rechte Aktivisten ließen sich wohl von AfD-Politikern in den Bundestag einschleusen und bedrängten etwa Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Da wäre doch ein Tweet von Ihnen fällig gewesen?

    Kaeser: Ich habe dazu keinen Tweet verfasst, weil so viele andere bereits Position bezogen hatten. Viel wichtiger ist es mir, dann meine Stimme zu erheben, wenn Minderheiten Unterstützung brauchen oder sich nur wenige trauen, ihre Meinung zu sagen, weil ihnen die Gegner zu mächtig erscheinen. Genau dann muss man sich zu Wort melden und nicht erst, wenn es sich schon Tausende getraut haben.

    Können Sie ein Beispiel nennen?

    Kaeser: So habe ich mich eben geäußert, als Menschen auf dem Mittelmeer ertrunken sind, weil unsere europäische Flüchtlingspolitik das nicht verhindern konnte. Und das gilt auch, wenn es formal wie in Italien gegen geltendes Recht verstößt, wenn ein Boot mit Flüchtlingen in einem Hafen einläuft. Das Thema ist kompliziert, aber es geht immerhin um viele Menschenleben. Langfristig kann eine verfehlte Migrationspolitik sogar den Frieden und die demokratische Ordnung gefährden. Das ist Grund genug, die Verantwortlichen in Europa aufzufordern, Lösungen für diese menschlichen Tragödien zu finden. Die Mächtigen in Europa kommen hier ihrer Verantwortung nicht nach – und das trotz des relativen Wohlstands dieser Länder.

    Siemens-Chef Joe Kaeser warf Trump Rassimus und Ausgrenzung vor

    Sie lüften also hier Ihr Twitter-Geheimnis: Sie twittern dann, wenn mit Minderheiten ungerecht umgegangen wird und sich nicht genügend Menschen dagegen erheben.

    Kaeser: Unter anderem. Ich nenne dafür noch ein anderes Beispiel: Heute wird plötzlich der noch amtierende US-Präsident von vielen mit Häme überzogen, die noch vor nicht langer Zeit geschwiegen oder ihn bedingungslos gelobt haben.

    Sie haben Trump Mitte 2019 vorgehalten, wie sehr es sie bedrückt, dass das „wichtigste politische Amt der Welt das Gesicht von Rassismus und Ausgrenzung wird“.

    Kaeser: Ich habe ihn auch dafür gelobt, dass er durch eine wirtschaftsfreundliche Steuerreform Arbeitsplätze in seinem Land schafft. Aber ihn eben auch deutlich kritisiert, dass er im Zenit seiner Macht mit einer brüllenden Menge im Hintergrund deren rassistische und ausgrenzende Äußerungen toleriert hat. Wer die Verrohung der Sprache zulässt, oder sie gar unterstützt, ist mitverantwortlich, wenn aus Worten Taten werden. „Black lives“ – wie die aller anderen Menschen auch – waren immer schon wichtig. Die Würde aller Menschen sollte unantastbar sein. Es betrübt mich, dass dies erst wieder durch Tragödien ins Bewusstsein der Menschen rückt.

    Aber ist es Ihre Aufgabe als Manager, solche Missstände anzuprangern? Ist das nicht das Geschäft der Politik?

    Kaeser: Gute Frage. Jedenfalls ist es bequemer, das der Politik zu überlassen. Ich bin viel in der Welt herumgekommen. Dadurch erschließen sich Zusammenhänge, die man in den eigenen vier Wänden weder sieht noch verbinden kann. Alleine schon daraus erwächst eine Verantwortung. Ob man dann als angestellter Manager immer einen Tweet schreiben muss, ist eine andere Sache. Das muss jeder für sich entscheiden, schließlich gibt es ja auch in extremen Lagern Kunden. Jeder Manager sollte es sich sorgfältig überlegen, ob und wie er oder sie sich politisch einmischt. Am Ende muss man zu den Konsequenzen stehen, die ein solches Engagement nach sich zieht.

    "Die Menschen sollten erkennen können, wenn Top-Manager ein moralisches Gerüst haben"

    Fast 90 Prozent der Siemens-Beschäftigten befürworten Ihr politisches Engagement, wie eine Umfrage ergeben hat. Für welche Werte stehen Sie ein? Was treibt Joe Kaeser an?

    Kaeser: Die Zustimmung der „Stakeholder“ beziehungsweise von Gruppen daraus, ist im Grunde die einzige objektive Legitimation. Insoweit ist die Stimme der Mitarbeiter sehr wichtig. Für mich geht es dabei auch um Gerechtigkeit. Besonders bei schwierigen Entscheidungen. Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt: Was Du nicht willst, was man Dir tu’, das füge auch keinem anderen zu. Der tiefere Sinn dieses an sich simplen Reims ist wichtig für mich: Wenn etwa durch einen Strukturwandel ein Verlust von Arbeitsplätzen unvermeidlich ist, muss man dennoch gerecht vorgehen, auch wenn das schwierig ist. Die Menschen sollten erkennen können, wenn Top-Manager ein moralisches Gerüst haben.

    Am meisten fordert Sie aber immer wieder Rassismus heraus.

    Kaeser: Das war schon immer so.

    Woran liegt das?

    Kaeser: Das ist für mich vorwiegend die klare Konsequenz aus der deutschen Geschichte, also dem Nationalsozialismus. So etwas darf nie wieder passieren. Es schmerzt mich, wenn ich 75 Jahre nach Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz darüber nachdenke, wie es möglich war, dass Deutsche solche Taten begangen haben, einen solchen Zivilisationsbruch.

    Wie konnte das passieren?

    Kaeser: Das alles konnte eigentlich nur passieren, weil zu viele Verantwortliche aller gesellschaftlichen Gruppierungen zu lange geschwiegen haben. 1939 war es dann zu spät. Wirtschaftslenker wie ich heute einer bin, haben zu lange geschwiegen. Deswegen schweige ich nicht – gerade auch weil Antisemitismus und Ausgrenzung nicht aus Deutschland verschwunden sind. Wir müssen verhindern, dass diese Tendenzen in unserer Gesellschaft stärker werden.

    Damit ist „Wehret den Anfängen“ Ihr Motto.

    Kaeser: Das gilt in jeder Hinsicht. Deshalb möchte ich diesem Anspruch jeden Tag aufs Neue als Vorstandsvorsitzender gerecht werden. Meine Aufgabe verstehe ich eben nicht nur darin, Gewinne zu machen und Verluste zu vermeiden.

    Wie stark hat Sie Ihre Großmutter hierbei geprägt?

    Kaeser: Meine Großmutter litt ihr Leben lang unter dem, was meinem Onkel – ihrem Sohn – von den Nationalsozialisten angetan wurde. Er hatte sich geweigert, sich dem Regime anzuschließen. Erst wurde er von den Nazis nach Dachau verschleppt und dann in Mauthausen ermordet. Er hatte noch nicht einmal etwas mitgenommen, als sie ihn abgeholt haben. Er sagte noch, er komme bald wieder, schließlich habe er nichts verbrochen. Mit 23 Jahren war er dann tot. Meine Großmutter hat das ihr Leben lang sehr belastet. Mich bewegt die Geschichte bis heute. Wie Sie sagen: Wehret den Anfängen! Das gilt auch, wenn man zum Teil mit heftigen Reaktionen leben muss.

    Oft mit Hass. So haben Sie etwa eine entsprechende Mail von der Adresse adolf.hitler@nsdap.com bekommen. Darin wurde Ihnen Gewalt angedroht.

    Kaeser: Darauf habe ich zurückgeschrieben, dass die Hölle offenbar bereits digitalisiert ist, nachdem der Teufel schon eine E-Mail-Adresse hat, während wir uns hier in Bayern abmühen, abgelegene Weiler zu digitalisieren. Ich musste darauf einfach reagieren, denn wer sich einschüchtern lässt, der hat schon verloren. Und das war nicht die einzige Morddrohung, die ich erhalten habe. Doch für mich ist dennoch klar: Man muss aufstehen und Profil zeigen. Wir dürfen uns bei Antisemitismus und Rassenhass nicht wegducken. Das ist eine moralische Aufgabe für Deutschland und die Spitzenvertreter des Landes. Viele einfache Bürger finden kein öffentliches Gehör. Deswegen sollten auch bekannte Meinungsbildner das Wort erheben. Auch die Siemens AG weist im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus dunkle Flecken auf, Stichwort Zwangsarbeiter. Auch daraus erwächst eine Verantwortung.

    Joe Kaeser: "Ich würde mich freuen, wenn es einmal drei Siemens-Unternehmen im Dax 40 gibt"

    Und was halten Sie von der deutschen Corona-Politik?

    Kaeser: Noch ist es zu früh, Bilanz zu ziehen. Wir befinden uns mitten in der zweiten Corona-Welle und wissen noch nicht, wie viele Menschen dieses Mal an dem Virus erkranken und welche sozio-ökonomischen Folgen das haben wird.

    Macht die deutsche Politik einen guten Krisen-Job?

    Kaeser: Ich bin kein Mediziner, kann das also schwer beurteilen. Ich kann aber beurteilen, wie sich Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern schlägt. Und in dieser Hinsicht macht die deutsche Politik einen sehr guten Job. Wir als Siemens, also als ein Unternehmen, das in fast jeder Region des Landes wirtschaftlich aktiv ist, fühlen uns sehr wohl mit unseren Regierenden und deren Handeln unter unsicheren Bedingungen.

    Und die Bürger schlagen sich auch meist wacker.

    Kaeser: Ja, die Pandemie ist für alle eine gigantische Herausforderung. Die wenigsten verfügen über 200 Quadratmeter Wohnfläche und zwei Arbeitszimmer, wenn die Familienmitglieder im Homeoffice arbeiten und Kinder nicht in Kita oder Schule gehen können. Gerade für Familien mit Kindern kann das in jeder Weise echt eng werden. Die Pandemie ist deshalb auch viel mehr als eine medizinische Herausforderung. Sie ist die größte sozio-ökonomische Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Und wir wissen noch nicht, wie es langfristig genau weitergeht.

    Siemens schlägt sich jedenfalls bisher gut in der Krise. Die Chancen sind groß, dass im Deutschen Aktienindex nach seiner Aufstockung von 30 auf 40 Werte drei Mal Siemens vertreten ist, also neben der AG auch noch die Medizin- und die Energiesparte. Wird Siemens zum Dax-Dominator?

    Kaeser: Ich würde mich freuen, wenn es einmal drei Siemens-Unternehmen im Dax 40 gibt. Mit Infineon wären es dann ja vier, die aus der Siemens-Familie stammen. Die drei heutigen Siemens-Unternehmen sind stark: Eines ist in der industriellen Automatisierung und der Industrie 4.0 tätig, eines in der Energietechnik sowie eines in der Medizintechnik. Alle drei Unternehmen sind wichtig für die Entwicklung der modernen Gesellschaft.

    Steht Siemens heute besser als 2013 da, als Sie den Chefposten von Peter Löscher übernommen haben?

    Kaeser: Zunächst einmal bin ich mit dem Versprechen angetreten, Siemens einmal geordnet und frühzeitig an einen Nachfolger zu übergeben. Der Übergabeprozess, als ich das Amt des Siemens-Chefs von Peter Löscher übernahm, war meinem Vorgänger gegenüber unanständig.

    Unanständig?

    Kaeser: Der Stil war nicht in Ordnung. Ein solcher Übergangsprozess an der Führungsspitze war einem Unternehmen wie Siemens nicht würdig. Ähnlich verhielt es sich schon, als Peter Löscher Klaus Kleinfeld ablöste. Ich habe mir damals vorgenommen, das besser zu machen. Und das glückt jetzt mit meinem Nachfolger Roland Busch sehr gut. Darüber freue ich mich. Vor allem wollte ich aber Siemens in einem besseren Zustand übergeben, als ich den Konzern übernommen habe.

    Joe: Kaeser "Uns war es immer wichtig, dass strukturelle Veränderungen verstanden und mitgetragen werden"

    Wie lässt sich das überhaupt belegen?

    Kaeser: Das kann man zum Beispiel am Börsenwert messen. Ende Juli 2013 stand die Siemens-Aktie, als Gerüchte auftauchten, ich würde den Vorstandsvorsitz übernehmen, bei knapp 77 Euro. Heute notiert die Aktie bei rund 112 Euro. Wenn man die in diesem Wert nicht enthaltenen Beiträge der an die Börse gebrachten Medizin- und Energiesparte einrechnet, kommt man für die Siemens-Aktie auf einen Kurs von 130 bis 135 Euro im Vergleich zu den 77 Euro vor sieben Jahren. Siemens steht also erheblich besser da als bei meinem Amtsantritt und hat sich bei der Gesamtrendite einschließlich der Dividenden etc. erheblich besser entwickelt als der Dax 30. Erfolge zeigen sich auch an der Ertrags-Marge. 2013 lagen wir hinter den meisten unserer Wettbewerber. Heute liegen wir vor vielen, aber nicht allen Konkurrenten. Wir sind aber auf gutem Weg, überall die Nummer eins zu werden. Auch bei der Anzahl der Mitarbeiter über alle Geschäfte konnten wir im Laufe der Jahre zulegen.

    Hätte Siemens noch erfolgreicher sein können?

    Kaeser: Es hätte besser sein können und möglicherweise auch müssen, gerade wenn man einige unserer erfolgreichsten Wettbewerber in Asien oder in den USA als Vergleich heranzieht. Doch das Wünschenswerte stimmt nicht immer mit dem Machbaren überein.

    Wie meinen Sie das?

    Kaeser: Man muss eben möglichst viele Menschen auf dieser Reise zu Neuausrichtung und höherer Rentabilität mitnehmen. Es ist besser, weniger mit vielen Menschen zu erreichen als viel mit wenigen Menschen. Dazu bedarf es Kompromisse. Die Integration konfliktärer Interessen zwischen Aktionären, Mitarbeitern und der Gesellschaft im Allgemeinen ist ein schwieriges Pflaster.

    Sie hätten also in einigen Bereichen für eine höhere Rendite noch mehr Arbeitsplätze streichen müssen.

    Kaeser: Uns war es immer wichtig, dass strukturelle Veränderungen verstanden und mitgetragen werden. Es ging mir also immer darum, die Interessen der Mitarbeiter, der Aktionäre und der Kunden gleichermaßen zu beachten. Da kann man – anders als Wettbewerber in den USA – nicht immer machen, was wünschenswert ist.

    Sie haben sich mit den Vertretern der Gewerkschaft IG Metall gerieben, ja gestritten, wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen ging, letztlich sich aber mit ihnen zusammengerauft.

    Kaeser: Genau das meine ich, wenn ich sage, dass man nicht immer das Wünschenswerte, sondern das Machbare umsetzen kann. Spaltung bringt nichts. Dabei sind die Zielkonflikte zwischen hoher Rendite und Beschäftigungssicherung eklatant. Deswegen habe ich immer versucht, einen Mittelweg zu gehen und langfristige Ziele zu verfolgen. Andererseits wird zu viel Zögerlichkeit und Kompromissbereitschaft im internationalen Wettbewerb bitter bestraft.

    Was wäre passiert, wenn Sie Siemens nicht radikal neu aufgestellt hätten?

    Kaeser: Wir sind weit weg von radikal. Ansonsten kann ich hier nur auf Wettbewerber verweisen, die uns bei Siemens 30 Jahre lang als leuchtende Beispiele vorgehalten wurden. Wir seien im Vergleich zu solchen Konkurrenten zu langsam und zu bequem, ja nicht aggressiv genug, hieß es immer wieder. Nun sieht man, wo diese vermeintlichen Vorbilder stehen und wo wir stehen.

    Sie spielen auf den US-Konkurrenten General Electric an, der Siemens als Vorbild empfohlen wurde und tief abgestürzt ist.

    Kaeser: Es gibt auch andere in Europa. Aber das ist sicher das bekannteste Beispiel. Daraus wird eines für mich klar: Konglomerate alten Zuschnitts, also große und breit angelegte Konzerne, haben keine Zukunft mehr. Und diese Erkenntnis ist keine Modeerscheinung.

    Woran machen Sie das fest?

    Kaeser: Die Welt ist durch die Digitalisierung viel schneller geworden und viele Branchen haben sich stark vertikalisiert. Das ist wie im Sport: Wenn die besten in den Einzeldisziplinen gefragt sind, tut sich der Zehnkämpfer schwer. Wer da überall Durchschnitt ist, wird abgehängt. Die Digitalisierung verdrängt also genau die ineffizientesten Teile der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Mit der Aufteilung auf drei Unternehmen tragen wir dieser Entwicklung Rechnung und sind gut aufgestellt. Allerdings werden schlechte Managementleistungen bei fokussierten Unternehmen eben schneller sichtbar und damit eher bestraft als bei einem Mischkonzern, wie Siemens es früher war.

    Joe Kaeser: "Ich mag Bands wie die Birds, Creedence Clearwater Revival und vor allem die Eagles"

    Der Börsengang der Gesundheitssparte ist sicher gut gelaufen. Doch der einstigen Siemens-Tochter Osram ist die Abtrennung vom Mutterhaus nicht gut bekommen. Das Unternehmen wurde von einer kleineren österreichischen Firma übernommen. Haben Sie hier Fehler gemacht?

    Kaeser: Wir sind als größter Aktionär bei Osram schon vor einiger Zeit ausgestiegen, weil es davor unterschiedliche Auffassungen über strategische Fragen mit dem Osram-Management gab. Ob es für Osram besser gelaufen wäre, wenn das dortige Management auf uns gehört hätte, ist schwer zu sagen. Fest steht: Wenn die Leistung eines solchen Unternehmens innerhalb einer Branche nicht stimmt, kommen eben andere und sagen: Ich kann das besser und erwirtschafte höhere Werte. Mit diesen Argumenten überzeugen sie dann die Aktionäre und schon ist es passiert.

    So hat der Sensortechnik-Spezialist AMS Osram über die Börse geschluckt und nicht – wie das zunächst gedacht war – umgekehrt Osram AMS.

    Kaeser: Am Ende ist eben jede feindliche Übernahme eine freundliche.

    Wie das denn?

    Kaeser: Weil die Aktionäre durch ihre Zustimmung den Charakter der Übernahme bestimmen. Für das Management mag eine solche Übernahme also feindlich sein, für die Anteilseigner ist sie jedoch freundlich, wenn sie ihnen Mehrwerte bietet. Wir haben Osram nicht abgegeben, weil das Unternehmen keine gute Geschäftsbasis hatte. Wir wussten aber, dass der Übergang von der Glühbirne zur LED, also Leuchtdiode, eine gigantische Transformation darstellt.

    War Ihnen das zu riskant?

    Kaeser: Das Disruptive an diesem Prozess ist, dass eine LED-Lampe nur noch wenige Prozente der Wertschöpfung einer Glühbirne darstellt. Also brauchte man weniger Menschen, Maschinen und Standorte für die LED-Produktion. Darauf hat sich Osram damals gut eingestellt. Wir hätten als Siemens-Mischkonzern diesen Wandel nie so schnell hinbekommen. Was Osram jedoch Schwierigkeiten zu bereiten schien, war das Umschalten von diesem Umbruchprozess, also von gewaltiger Restrukturierung und Sparen, auf profitables Wachstum in einer stark globalisierenden Branche.

    Am 3. Februar endet mit der Hauptversammlung Ihre Zeit als Siemens-Chef. Wie nutzen Sie dann die Ihnen plötzlich zur Verfügung stehende freie Zeit? Gehen Sie auf den Jakobsweg, überqueren Sie die Alpen oder studieren Sie Philosophie?

    Kaeser (lacht): Das weiß ich noch nicht. Ich weiß aber definitiv, dass ich nicht in Hektik verfallen werde und mir dauernd überlege, wie ich noch am Ball bleiben kann. Ich sehe das gelassen und genieße die Übergangszeit. Herr Busch führt ja seit dem 1. Oktober schon operativ die Geschäfte und das sehr überzeugend. Die Stimmung im neuen Managementteam ist trotz der Pandemie ausgezeichnet.

    Auf alle Fälle haben Sie mehr Zeit, Pop-Musik der 70er Jahre zu hören, die sie so gerne mögen. Was sind Ihre Lieblingsbands?

    Kaeser: Ich mag Bands wie die Birds, Creedence Clearwater Revival und vor allem die Eagles. Das Lied „Hotel California“ mag ich besonders.

    In dem Song heißt es: „You can check out any time you like, but you can never leave.“ Man kann also aus dem Hotel jederzeit auschecken, aber man bleibt ihm dennoch letztlich auf ewig verbunden. Ist das nicht ein gutes Motto für Sie nach dem 3. Februar? Auf ewig Siemens?

    Kaeser (lacht): Diese Strophe amüsiert mich jedenfalls: Man kann gehen und ist dennoch nie weg. Ich verspreche jedenfalls, meinen Nachfolgern keine ungebetenen Ratschläge zu erteilen. Wenn mich jemand fragt, werde ich Antworten geben. Ich kann nicht versprechen, dass das dann immer gefällt. Meine Antworten werden aber ehrlich sein.

    Reizt es Sie nicht, in die Politik zu wechseln?

    Kaeser: Politik setzt sehr viel Geduld voraus und die Fähigkeit, immer zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten abzuwägen. Da muss sich jeder fragen, ob er dafür der richtige Typ ist.

    Sind Sie der richtige Typ für die Politik? Mit Balanceakten zwischen dem Machbaren und dem Wünschenswerten haben Sie ja Erfahrung.

    Kaeser: Ich glaube, ich wäre kein guter Politiker.

    Die Politik schafft nun Tatsachen. In Vorständen börsennotierter Unternehmen mit mehr als drei Mitgliedern muss demnach ein Mitglied eine Frau sein. Wie beurteilen Sie das?

    Kaeser: Wenn es die deutsche Wirtschaft über Jahrzehnte nicht geschafft hat, mehr Frauen in den Vorständen zu etablieren, dann muss der Gesetzgeber den Rahmen eben enger fassen. Die Wirtschaft hatte ihre Chance, hat sie aber nicht ausreichend genutzt. Deshalb sollte die Wirtschaft sich jetzt nicht beklagen, wenn die Politik auf gesellschaftlichen Druck hin tätig wird. Man macht es sich zu einfach, wenn man sagt, es gebe nicht genügend qualifizierte Frauen für Vorstände. Wichtig ist aber, dass man das Pendel nicht auf die andere Seite überzieht.

    Joe Biden als US-Präsident könnte gut für Siemens sein

    Wie gelassen schauen Sie denn auf 2021? Die Vorzeichen stehen ja gut: Trump muss gehen und wir können Corona besiegen. Hoffnung naht.

    Kaeser: Wir blicken eher vorsichtig auf das kommende Jahr, weil wir nicht wissen, wie sich die zweite Corona-Welle weltweit auswirkt. Wir brauchen 2021 eine Absicherung nach unten, also soziale und wirtschaftliche Stabilität, ohne von Pleitewellen und sozialen Unruhen erfasst zu werden. Das ist die größte Gefahr.

    Doch der neue US-Präsident Biden ist doch ein Lichtblick. Ist der Politiker gut für Siemens?

    Kaeser: Zunächst einmal glaube ich, dass sich am Handelskonflikt zwischen den Amerikanern und China nichts Fundamentales ändern wird. Die Tonlage wird sich aber sicher ändern. Doch nach wie vor geht es beiden Nationen darum, wer künftig die Nummer eins als führende Wirtschaftsmacht der Welt ist. Hier dürfen wir nicht zu optimistisch sein. China hat gerade die größte Freihandelszone der Welt geschaffen, während die USA mit Wahlen und Europa mit sich selbst beschäftigt ist.

    Und Biden?

    Kaeser: Er könnte gut für Siemens sein, schließlich ist er ein Mann des Dialoges und er ist ein überzeugter Befürworter einer Politik zur Verbesserung des Klimaschutzes. Biden schätzt das öffentliche Transportwesen und erneuerbare Energien. Das passt zu unseren Produkten, ob es Züge oder Windräder sind.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden