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Fratzscher über Inflation: "Die Staaten verdienen sich dumm und dusselig"

Interview

"Die Staaten verdienen sich dumm und dusselig"

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    "Die Staaten verdienen sich dumm und dusselig"
    "Die Staaten verdienen sich dumm und dusselig" Foto: Daniel Naupold, dpa

    Herr Fratzscher, Deutschland erlebt die stärkste Inflation seit 70 Jahren, in Europa sind die Zahlen ähnlich hoch. Die Preissteigerungen sind längst nicht mehr auf Gas und Öl beschränkt. Wie ist die Entwicklung zu erklären?

    Marcel Fratzscher: Wir erleben eine zum größten Teil importierte Inflation. Die Wurzel liegt an den Weltmärkten. Zu rund 70 Prozent geht die hohe Inflation dabei auf die Energiepreise und – zu einem geringeren Maße – auf Probleme bei den Lieferketten zurück. Nehmen wir Grundnahrungsmittel: Die hohen Preissteigerungen weltweit sind zum Beispiel auf fehlende Düngemittel aus Russland oder erschwerte Getreidelieferungen aus der Ukraine zurückzuführen. In Lebensmitteln steckt viel Energie. Im Dünger, im Treibstoff für Erntemaschinen. Der Transport ist teurer geworden, die Kühlung, die Lagerung.

    Welche Teuerungsrate erwarten Sie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Jahr 2023?

    Fratzscher: Wir werden wohl im kommenden Jahr noch eine zu hohe Inflation haben. Hoffentlich nicht mehr ganz so hoch wie in diesem Jahr, aber wohl immer noch bei 7 bis 8 Prozent. Bis zum nächsten Sommer und Herbst 2023 werden die Preise also wohl nochmals deutlich steigen. Ein Grund ist, dass die Unternehmen längst nicht alle Preissteigerungen bei Energie und bei den Vorleistungen an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben haben. Auch bei den Strom- und Gaspreisen haben die Menschen noch nicht den vollen Anstieg der Kosten gesehen.

    Droht sich der Preisanstieg in einem "Jahrzehnt der Inflation" zu verfestigen?

    Fratzscher: Im Jahr 2024 dürften wir zwar bereits eine deutliche Absenkung der Inflation sehen. Wir sind gerade dabei, in die Rezession zu rutschen, die Nachfrage sinkt, damit geht auch der Preisdruck zurück. Es ist aber recht wahrscheinlich, dass wir in den kommenden fünf Jahren nicht wieder zum Inflationsziel von 2 Prozent zurückkehren werden, sondern eher zu 3 oder 4 Prozent. Denn die Kollateralschäden der Krise werden wir noch lange spüren. Die Unternehmen müssen investieren und sich neu aufstellen, um ihre Produktion effizienter zu gestalten. Auch Energie wird nicht mehr so günstig sein wie vor der Krise.

    Wen trifft die Inflation besonders hart?

    Fratzscher: Die Inflation trifft vor allem Menschen mit geringem und mittleren Einkommen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Menschen mit geringem Einkommen erfahren eine höhere Inflation als Menschen mit hohem Einkommen, weil sie einen viel höheren Anteil für Nahrungsmittel und Energie ausgeben müssen, sprich für die Dinge, die besonders teuer geworden sind. Die Energiepreise sind in den letzten 12 Monaten im Schnitt um rund 40 Prozent gestiegen, Nahrungsmittel um 20 Prozent teurer geworden. Menschen mit hohen Einkommen fahren besser. Wir erleben eine zutiefst unsoziale Krise, die Schere geht weiter auf. Das macht mir auch Sorge für die Zukunft.

    Welche Unterstützung ist für die unteren und mittleren Einkommen für Sie vorstellbar?

    Fratzscher: Das beste Instrument ist eine starke Lohnentwicklung. Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro ist hier positiv. Was Hilfszahlungen des Staates betrifft, muss man sagen, dass der Staat bereits viel gibt. Es gibt fast keine Regierung in Europa, die größere Hilfspakete aufgelegt hat. Das Problem ist, dass das Geld nicht zielgenau bei den Menschen ankommt, die es benötigen. Das zeigt die Gaspreisbremse: Menschen mit hohen Einkommen, einem großen Haus und einem großen Verbrauch bekommen mehr Geld in Euro als Menschen, die eh schon eine kleine Wohnung haben und sparsam sein müssen.

    Wie könnte eine zielgenauere Entlastung für die aussehen, die besonders unter der Inflation leiden?

    Fratzscher: Ich würde mir wünschen, Menschen in Arbeitsbereichen zu entlasten, in denen es keine hohen Löhne gibt oder keine Tarifverträge gelten. In der Corona-Pandemie hat der Staat allen Menschen im Pflegebereich einen Bonus gegeben. Eine solche staatliche Einmalzahlung sollte man für Dienstleistungsbereiche, bei der Grundversorgung, im Gesundheitssystem, in den Supermärkten wieder möglich machen.

    Wie hoch könnte die Einmalzahlung sein?

    Fratzscher: Die Bundesregierung stellt Unternehmen heute 3000 Euro steuerfrei, wenn sie dieses Geld als Einmalzahlung an die Beschäftigten auszahlen. Eine staatliche Einmalzahlung für die unteren Einkommensgruppen in systemrelevanten Bereichen wäre sinnvoll. Denn viele Unternehmen im Niedriglohnbereich können schlichtweg ihren Beschäftigten nicht aus eigener Kraft diese Prämie von 3000 Euro zahlen. Es sind aber genau diese Beschäftigten dort, die diese Hilfe am dringendsten benötigen.

    Wie kommen wir aus der hohen Inflation heraus?

    Fratzscher: Für die nächsten eineinhalb Jahre hat die Bundesregierung mit ihrer Finanzpolitik den größten Einfluss. Der Gaspreisdeckel beispielsweise wird die Inflation um rund zwei Prozentpunkte reduzieren. Wenn es uns gelingt, weniger Gas und weniger Energie zu konsumieren, wird dies auch einen kleinen Beitrag leisten. Die höhere Zinsen der EZB werden dagegen so schnell keine Kehrtwende bei der Inflation schaffen, schließlich sind 70 Prozent der Inflation über die Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise importiert. Die Preise der globalen Märkte, die durch den Krieg nach oben getrieben werden, kann eine Zentralbank nicht beeinflussen.

    Ist es dann wirkungslos, wenn die Europäische Zentralbank den Leitzins um 0,75 Punkte angehoben hat? Wie bewerten Sie den Schritt?

    Fratzscher: Der Zinsanstieg ist richtig. Er ist ein sehr starkes Signal der EZB an die Unternehmen und auch an die Gewerkschaften, dass sie ihr Mandat ernst nimmt und alles tun will, zum Preisstabilitätsziel von 2 Prozent zurückzukommen. Die EZB begibt sich aber auch immer mehr in einen schwierigen Spagat. Denn gleichzeitig muss sie aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannt und die Rezession verschärft. Die Zinsen haben schon deutlich zugenommen. Steigen die Zinsen zu stark, werden die Unternehmen noch stärker getroffen. Müssen die Unternehmen nicht nur mehr für Energie und Vorprodukte ausgeben, sondern auch für Zinszahlungen, wird es noch schwerer für sie zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

    Ab wann wäre der Schaden höherer Zinsen größer als der Nutzen?

    Fratzscher: Das ist schwer zu sagen. Einige Unternehmen sagen bereits jetzt, dass sie keine Investitionen mehr tätigen können. Vier, fünf, sechs Prozent Kreditzinsen wären sicher auch zu viel für Menschen, die eine Wohnung oder ein Häuschen finanzieren müssen. Sie sagen dann: "Das kann ich nicht mehr stemmen."

    Ist eine neue Euro-Krise möglich, weil hoch verschuldete Länder die Zinsen nicht mehr zahlen können?

    Fratzscher: Das befürchte ich nicht. Die Staatsfinanzen sind nachhaltiger denn ja. Das liegt vor allem auch an der Inflation. Mit den steigenden Preisen steigen auch die Einnahmen zum Beispiel aus der Mehrwertsteuer. Die Staaten verdienen sich gerade dumm und dusselig, das gilt auch für Länder wie Italien. Während die Steuereinnahmen sprudeln, liegen die Zinsen früherer Staatsanleihen noch niedrig. Und das für lange Zeit.

    In Deutschland hat sich die Phase der Hyperinflation in der Weimarer Republik eingebrannt. Damals gab es noch massiv höhere Inflationsraten, vor allem aber eine stark steigende Arbeitslosigkeit. Diese Folge bleibt aktuell bisher aus. Was unterscheidet die Situation von damals und heute?

    Fratzscher: Die Lage damals und heute ist nicht zu vergleichen, das liegt vor allem an drei Dingen. Erstens war die Finanzpolitik damals viel zu expansiv. Der zweite große Fehler war die Geldpolitik, die sich nicht schnell und entschieden gegen die Inflation gestemmt hat, sodass die Inflation aus dem Ruder laufen konnte. Zum Dritten haben wir heute einen sehr starken Arbeitsmarkt, die Unternehmen haben zwei Millionen offene Jobs. Es wird zwar mehr Insolvenzen geben. Selbst wenn ein Unternehmen aber pleitegeht, gibt es genug andere Unternehmen, die Leute suchen und einstellen. Die Prognosen deuten heute nur auf eine milde Rezession im kommenden Jahr von minus 0,4 Prozent hin, das ist nichts im Vergleich zu dem Einbruch 1929.

    Besteht also kein Grund zur Beunruhigung? Die Welt ist ja noch immer aufgewühlt...

    Fratzscher: Natürlich könnte eine Eskalation des Ukraine-Krieges oder eine Gasmangellage im Winter dazu führen, dass die Rezession gravierender ausfällt, dann könnte die Arbeitslosigkeit steigen. Im Moment hoffen wir doch, dass durch die kluge Geldpolitik der EZB und die starke Finanzpolitik der Bundesregierung der Schaden begrenzt sein wird.

    Im "Spiegel" erschien kürzlich der Bericht "Hurra, die Arbeitslosigkeit steigt!". Dahinter steckt die Wette, dass eine leicht höhere Arbeitslosigkeit auch die Inflation dämpft. Was halten Sie von dieser Rechnung?

    Fratzscher: Das ist Unfug, davon halte ich nichts. Dahinter steckt ja die Behauptung, dass zu hohe Lohnsteigerungen das Problem sind, dass die Unternehmen die Anhebung nicht stemmen können, deshalb die Preise erhöhen und eine Lohn-Preis-Spirale entsteht. Wir sehen in Deutschland aber keine Lohn-Preis-Spirale! Die Lohnentwicklung ist moderat. Die nominalen Löhne steigen dieses Jahr um vier bis 4,5 Prozent bei einer Inflation von 9 Prozent. Die Kaufkraft der Beschäftigten schrumpft also um 4 bis 5 Prozent. In der Chemieindustrie beispielsweise hat die IG BCE einen Abschluss von zwei Mal 3,25 Prozent durchgesetzt, das ist sehr moderat. Dazu kommt, dass die Hälfte der Beschäftigten gar nicht über Tarifverträge abgedeckt ist.

    Steigende Zinsen setzen derzeit die Börsen unter Druck. Wird der Einbruch anhalten?

    Fratzscher: Mit den Zinsanstiegen verlieren Vermögenswerte wie Aktien tendenziell an Wert. Ich halte eine Korrektur an den Aktienmärkten für eine gesunde Entwicklung. Die Aktienmärkte sind noch immer deutlich überbewertet. In der Vor-Corona-Phase lagen die Bewertungen noch tiefer, die Wirtschaft ist in diesen zweieinhalb Jahren aber nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Es kann auch sein, dass wir eine Korrektur an den Immobilienmärkten vor uns haben. Auch dies ist in gewissem Maße eine gesunde Entwicklung. Hier gab es in den vergangenen Jahren deutliche Übertreibungen.

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