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Interview: Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber: „Die fetten Jahre sind vorbei“

Interview

Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber: „Die fetten Jahre sind vorbei“

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    "Die fetten Jahre sind vorbei." Das sagt der ehemalige Chef der Bundesbank, Axel Weber.
    "Die fetten Jahre sind vorbei." Das sagt der ehemalige Chef der Bundesbank, Axel Weber. Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa

    Herr Weber, als Bundesbankpräsident und EZB-Ratsmitglied haben Sie in den Jahren 2008 bis 2011 maßgeblich dazu beigetragen, Deutschland durch die Wirtschafts- und Finanzkrise zu manövrieren. Steht uns heute Ähnliches bevor?

    Axel Weber: Bei der Finanzkrise gab es eine klare Ursache im Kredit- und Immobilienmarkt und eine parallele Betroffenheit zahlreicher Finanzinstitute, vor allem in den USA. Das hat bei der Krisenbewältigung geholfen. Denn nachdem das Problem identifiziert war, konnte man die Ursache bei allen Geldinstituten, auch bei den europäischen, mit einem ähnlichen Werkzeugkasten beheben. Das stellt sich heute anders dar. Die Krisen, denen wir uns derzeit gegenübersehen, sind vielschichtiger, in sich verschränkt und verstärken sich gegenseitig. Die Ukraine-Krise, die zu einer weltweiten Energiekrise geführt hat, hat beispielsweise direkte Auswirkungen auf die Klimakrise, in die wir uns immer stärker verstricken. Es steht zu befürchten, dass Klimaschutz dauerhaft in der Prioritätenliste nach hinten rückt und eine nachhaltige Energiewende auf die lange Bank geschoben wird. Gleichzeitig spüren wir eine massive Konfrontation zwischen demokratischen Systemen und autoritären Regimen wie Russland oder auch China. Diese politischen Konfrontationen beeinträchtigen wiederum die Wirtschaft und den internationalen Warenaustausch. Man kann die globale Wirtschaft und die globale Arbeitsteilung vielleicht ohne Russland, aber nicht ohne China organisieren.

    Sind Krisen also immer weniger beherrschbar?

    Weber: Sie bleiben beherrschbar, aber sie ziehen immer höhere Kosten nach sich. Das hat die Corona-Krise gezeigt, die eine echte globale Krise war und deren Bekämpfung extreme Kosten, auch an Menschenleben, verursacht hat und noch immer fordert.

    Hat die Energiekrise, der sich Europa und ganz besonders Deutschland derzeit gegenübersieht, das Potenzial die schlimmste aller Krisen zu werden?

    Weber: Das glaube ich nicht.

    Warum sind Sie so optimistisch?

    Weber: Wir haben über Jahrzehnte eine zu hohe Abhängigkeit der Wirtschaft von russischen Energielieferungen zugelassen. Die Aussage trifft sogar nicht nur auf Energie, sondern allgemein auf Rohstoffe zu. Wir haben unsere Wirtschaft mit Blick auf Energie und Rohstoffe superoptimiert, indem wir immer alles beim billigsten Anbieter gekauft haben. Das hat uns Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten gebracht, uns aber gleichzeitig ungemein anfällig für externe Schocks gemacht. Wir haben die deutsche Wirtschaft so zum Exportweltmeister hochgetunt. Aber dieser Erfolg hängt eben sehr stark von einem reibungslosen Austausch mit anderen Volkswirtschaften ab. Und wenn dort irgendwo Sand im Getriebe ist, wie jetzt beispielsweise in China, dann kommt der deutsche Wirtschaftsmotor ins Stottern.

    Was bedeutet das konkret?

    Weber: Deutschland wird sein Geschäftsmodell neu erfinden müssen. Es wird weniger dynamisch sein. Es wird weniger international und export-import-abhängig sein. Aber dadurch wird es viel nachhaltiger ausfallen. Wir brauchen einfach mehr Resilienz, also Widerstandsfähigkeit für Krisensituationen.

    Die deutschen Exporte wanken.
    Die deutschen Exporte wanken. Foto: Daniel Reinhardt

    Wie soll so etwas funktionieren?

    Weber: Wir müssen auf einige der Optimierungsgewinne, die wir in der Vergangenheit erzielt haben, verzichten und stattdessen in robustere Produktionsstrukturen investieren. Die Verlagerung von Tätigkeiten nach China kann nicht mehr die dominierende Strategie für deutsche Unternehmen sein, sondern Produktion muss verstärkt auch in anderen Ländern, insbesondere in Europa oder im Heimatmarkt, aufgebaut werden. Sehr sensible Technologien müssen auch wieder ganz nach Deutschland zurück verlagert werden. Das Modell der globalen Arbeitsteilung ist durch die Corona-Pandemie an seine Grenzen geraten. Der Ukraine-Krieg hat jetzt allen klar gemacht, dass Globalisierung allein nicht der richtige Weg sein kann.

    Und Deutschland ist der ultimative Krisenverlierer? Immerhin gibt es kaum ein Land, das so abhängig sowohl von China, als auch von russischer Energie ist …

    Weber: Wir werden in Deutschland einen gewissen Rückschritt in Wachstum und Produktion und damit auch beim Wohlstand der Menschen sehen, weil wir einfach auf dem alten superoptimierten Niveau nicht weiter produzieren können. An Wachstumsraten, die unterhalb der bisherigen Werte liegen, werden wir uns gewöhnen müssen.

    Die fetten Jahre sind vorbei?

    Weber: Die fetten Jahre sind vorbei, ja. Aber Deutschland ist und bleibt ein reiches Land.

    Der Eindruck bei der aktuellen Krisenbekämpfung ist, dass im Kanzleramt eine große Geldschatulle liegt, mit deren Inhalt alle Probleme Deutschlands zugeschüttet werden. Stimmt das?

    Weber: Ich befürchte, wir werden weitere Höchststände bei den Schulden sehen. In Deutschland, aber auch anderswo in Europa. Das ist hochproblematisch. Denn wenn wir Krisen mit Schulden bekämpfen, bedeutet das, wir borgen uns Geld in der Zukunft. Und damit fehlt uns Geld, eben diese Zukunft zu gestalten.

    Aber der Staat muss doch gegenhalten, um Härten abzufedern?

    Weber: Ich halte es für durchaus problematisch, beim Versuch, die Krise zu bekämpfen, an alles und jeden Schecks auszuhändigen. Hilfen für die am meisten Betroffenen sind nötig. Auch um die Ausbreitung der Krise und Kettenreaktionen in der Wirtschaft zu verhindern. Aber das sollte gezielt geschehen. Es darf nicht zu einer Situation kommen, in der jeglicher Handlungsdruck, der etwa durch die hohen Energiepreise entsteht, konterkariert wird. Gerade jetzt müssen nachhaltige Projekte zum Klimaschutz vorangetrieben werden.

    Die EZB hat das Problem einer überschießenden Inflation lange ignoriert. Holt uns das jetzt ein?

    Weber: Indikatoren zur Inflation haben schon im Jahr 2020 klar darauf hingedeutet, dass da eine neue Lage mit höheren Inflationsraten auf uns zukommen wird. Die Preise steigen ja nicht erst seit diesem Frühjahr, sondern schon viel länger deutlich an. Viele Zentralbanken haben entsprechende Warnzeichen aber ignoriert. Die Zinserhöhung der EZB erfolgte zu spät und zu zögerlich. Jetzt müssen die Notenbanken umso heftiger mit Zinserhöhungen reagieren, um überhaupt noch einen Effekt zu erzielen.

    Warum dieses Zögern?

    Weber: Die Notenbanken, insbesondere die EZB, haben sich im vergangenen Jahrzehnt zum Reparaturbetrieb einer verfehlten staatlichen Ausgabenpolitik gemacht. Mit der Nullzinspolitik der EZB wurde versucht, Schuldenprobleme von Staaten, die ihre Haushalte nicht in Ordnung gebracht haben, abzumildern. Ich halte das für eine höchst ungute Entwicklung. Notenbanken sollten sich generell der Preisstabilität verpflichtet fühlen. Bei der Bekämpfung der Inflation haben einige fahrlässig gehandelt

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