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Interview: "Der Taurus gehört in den Baukasten für moderne Kriegsführung"

Interview

"Der Taurus gehört in den Baukasten für moderne Kriegsführung"

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    Thomas Gottschild ist Chef von MBDA Deutschland. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit Taurus-Marschflugkörper in Schrobenhausen produziert.
    Thomas Gottschild ist Chef von MBDA Deutschland. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit Taurus-Marschflugkörper in Schrobenhausen produziert. Foto: Bernhard Huber, Munich

    Herr Gottschild, Sie sind als Deutschland-Chef des europäischen Rüstungs-Unternehmens MBDA auch Herr des Taurus. Sie werden sicher oft auf den präzise einschlagenden Marschflugkörper angesprochen, den Kanzler Olaf Scholz nicht aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine liefern will.

    Thomas Gottschild: Ob und unter welchen Rahmenbedingungen Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert werden, ist eine politische Entscheidung der Bundesregierung, die ich nicht kommentiere. 

    Schade. Aber Sie sprechen sicher über die Eigenschaften der rund 1400 Kilogramm schweren Waffe. 

    Gottschild: Der Taurus hat eine große Abstandswirkung, fliegt also mehr als 500 Kilometer weit. Dieses Fähigkeitsprofil wird gerade in der Ukraine stark nachgefragt, um entsprechend Logistikketten und strategische Ziele zu bekämpfen. Deshalb liegt derzeit der Fokus so stark auf diesem Thema. 

    Militär-Experten sagen über die Fähigkeiten des Taurus, der Gegner bemerke den Marschflugkörper erst, wenn er einschlägt. 

    Gottschild: Der Taurus ist in der Lage, sehr tief selbst durch Täler zu fliegen, was ihn ein Stück weit besonders macht. Er wird dadurch erst sehr spät durch das Radar oder andere Aufklärungsmittel bemerkt. 

    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei seinem Besuch in Schrobenhausen. Er schaute sich ein Modell des Marschflugkörpers Taurus bei MBDA an.
    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei seinem Besuch in Schrobenhausen. Er schaute sich ein Modell des Marschflugkörpers Taurus bei MBDA an. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Der Taurus ist eine gefährliche Waffe. 

    Gottschild: Der Taurus gehört in einen Baukasten für moderne Kriegsführung. Die Abstandsfähigkeit deckt die Ukraine momentan durch andere Waffen ab. Der Taurus wäre aber aus Sicht der Ukrainer in der aktuellen Situation ein wichtiger ergänzender Baustein. Aber noch einmal: Es obliegt nicht uns, eine Lieferung an die Ukraine zu entscheiden und den Taurus abzugeben. Das ist eine politische Entscheidung. 

    Die rund 600 Taurus-Marschflugkörper der Bundeswehr wurden am MBDA-Standort im oberbayerischen Schrobenhausen gebaut.

    Gottschild: Die Produktionslinie für den Taurus, die Testgeräte und die entsprechenden Hallen sind weiter vorhanden. Wir könnten die Produktion für den Taurus jederzeit anschieben. Dazu bräuchten wir aber einen neuen Auftrag für diese Waffen. 

    Von heute auf morgen können Sie nicht mit der Produktion loslegen, schließlich müssen auch die vielen Zulieferer ihre Produktion wieder hochfahren. 

    Gottschild: Für unseren Industriezweig ist es eine Herausforderung, wenn die Produktion wie beim Taurus unterbrochen ist. Denn unsere Zulieferer, die häufig kleine und mittelständische Unternehmen sind, haben in solchen Fällen ihre Produktion eingestellt. Sie können es sich finanziell oft nicht leisten, Produktionslinien aufrechtzuerhalten. Wenn wir also neue Aufträge für den Taurus bekämen, müssten sich zunächst unsere Zulieferer wieder neu aufstellen und beispielsweise die für sie notwendigen Rohstoffe sichern. 

    Die Ukraine hätte gerne Taurus-Marschflugkörper. Kanzler Olaf Scholz lehnt das ab.
    Die Ukraine hätte gerne Taurus-Marschflugkörper. Kanzler Olaf Scholz lehnt das ab. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Man kann Rüstungsgüter nicht von der Stange kaufen, wie das manchen Politikern vorschwebt. 

    Gottschild: Das Gesetz verbietet uns eine Produktion auf Vorrat, hierzu ist eine Genehmigung der Bundesregierung, basierend auf Aufträgen, notwendig. Diese blieben in der Vergangenheit aus. Unabhängig davon gibt es immer eine Vorlaufzeit, um liefern zu können. Die Rüstungsindustrie kann keine Wunder bewirken: Wir kriegen heute den Auftrag und können morgen liefern – das funktioniert nicht. Deshalb weisen wir in der Diskussion mit der Politik immer darauf hin, wie stark wir darauf angewiesen sind, dass Aufträge für uns planbar sind. Die Rüstungsindustrie braucht langfristige Aufträge, um zukünftig auch kurzfristig Fähigkeiten bereitstellen zu können. 

    Deutschland hat aber die Bundeswehr kaputtgespart, was auch der heimischen Rüstungsindustrie zusetzt. 

    Gottschild: Die Rüstungsindustrie braucht in der Produktion eine Grundlast, damit wir die Produktion bestimmter Waffen am Laufen halten können. Dabei müssen wir nicht immer auf Hochtouren produzieren, es reicht aus, dass es sich lohnt, Lieferketten aufrechtzuerhalten, Testgeräte auf modernstem Stand zu halten und die Kompetenz der Beschäftigten zu bewahren. Dann können wir in einem Notfall wie jetzt die Produktion sehr schnell wieder hochfahren. 

    Was in vielen Fällen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht ging. 

    Gottschild: Was gerade passiert, darf uns nicht mehr passieren. Wenn wir die Produktion unterbrechen, tritt wieder das gleiche Problem wie heute ein. Dann müssen wir wieder alles neu in Gang setzen. 

    Sie brauchen also mehr Verlässlichkeit seitens der Politik. 

    Gottschild: Am Ende braucht die Rüstungsindustrie Aufträge. Wir gehen zwar mit Investitionen in Vorleistung, aber es gibt Grenzen. Es ist bedauerlich, wenn man viel Zeit ins Land gehen lässt. Hier können wir in Deutschland wesentlich besser und schneller werden. Die Beschaffungsprozesse auf der Kundenseite haben sich aber schon deutlich verbessert. Es gibt jedoch noch viel Potenzial, um schneller Rüstungsgüter zu beschaffen, gerade was die Zertifizierung und Qualifizierung betrifft. 

    Sie haben bereits kräftige Investitionen angekündigt. 

    Gottschild: Wir investieren als MBDA Deutschland in den nächsten vier Jahren über 200 Millionen Euro in unsere Standorte, um unsere Produktionslinien hochzufahren. 

    Dazu brauchen Sie mehr Beschäftigte. 

    Gottschild: Wir haben schon im vergangenen Jahr zusätzliche Mitarbeiter eingestellt. Bis Ende nächsten Jahres schaffen wir hauptsächlich an unserem Standort in Schrobenhausen zusätzlich rund 300 Arbeitsplätze. Einige neue Stellen entstehen auch bei unserer Tochterfirma Bayern-Chemie in Aschau am Inn. In Schrobenhausen arbeiten derzeit knapp 1000 unserer insgesamt rund 1200 Beschäftigten in Deutschland. Auch was den Personalaufbau betrifft, sind wir seitens der Politik auf eine langfristige Perspektive angewiesen.

    Gehen Sie mit den Investitionen über 200 Millionen Euro in Vorleistung oder gibt es bereits klare Signale der Bundesregierung für zusätzliche Aufträge? 

    Gottschild: Signale gibt es viele, wir brauchen aber auch Verträge. Wir vertrauen jetzt ein Stück weit darauf, dass diese Verträge zustande kommen. Natürlich gehen wir auch ins Risiko, was etwa den Ausbau von Standorten und die Finanzierung neuer Produkte betrifft. 

    Die Zauberformel für eine leistungsfähige Rüstungsindustrie besteht demnach in der Verstetigung von Aufträgen. Gift ist hingegen, lange zu wenige und plötzlich zu viele Aufträge zu bekommen. 

    Gottschild: Es gibt aber auch positive Beispiele wie das bodengestützte Flugabwehrraketen-System Patriot. Hier haben sich bei der Nachbestellung mehrere Länder auf Initiative Deutschlands zusammengeschlossen. MBDA erhielt mit seinem US-Partner Raytheon über ein Gemeinschaftsunternehmen einen Vertrag zur Herstellung von bis zu 1000 Flugkörpern, die in Schrobenhausen produziert werden. Der Vertrag ist auf zehn Jahre angelegt. Auf dieser Basis können wir investieren.

    In Freinhausen, einem Ort zwischen Ingolstadt und Schrobenhausen, werden Patriot-Systeme getestet.
    In Freinhausen, einem Ort zwischen Ingolstadt und Schrobenhausen, werden Patriot-Systeme getestet. Foto: Bernhard Huber, MBDA

    Wann werden die ersten Patriot-Raketen in Schrobenhausen produziert?

    Gottschild: Der Vertrag ist unterschrieben. Die Endfertigung der Flugkörper findet in Schrobenhausen statt. In Aschau planen wir gerade den Bau der Produktionsstätte für den Motor. Innerhalb von drei Jahren werden wir die ersten Patriot-Flugköper liefern. 

    So schnell, wie es sich Politiker wünschen, geht das also auch mit den Patriot-Raketen nicht. Die Bundeswehr kann nicht im Rüstung-Supermarkt mit dem Einkaufswagen vorfahren und gewünschte Waffen einpacken. 

    Gottschild: Wenn das Regal leer ist, kann man nichts herausnehmen, zumal unsere Produkte hochkomplex sind. Die Sicherheit steht bei der Produktion von Waffen an erster Stelle, hier dürfen wir keine unnötigen Risiken eingehen. Die deutsche Rüstungsindustrie war es gewohnt, in einem Manufakturbetrieb kleine Serien hoch spezialisiert und hochtechnologisch herzustellen. Mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine wird klar: Wir brauchen beides, Hochtechnologie, aber auch Masse, gerade was die Munition betrifft. Wir haben einen Nachholbedarf, was Munition betrifft. 

    Es wird sicher Jahre dauern, bis die Bundeswehr kriegstüchtig ist, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius gesagt hat. Manche sprechen hier von Verteidigungstüchtigkeit.  

    Gottschild: Ich halte Kriegstüchtigkeit für ein treffendes Wort. Verteidigungsminister Pistorius ist klar in seiner Sprache. Er schiebt die Dinge an. Die Umsetzung in Verträge für unsere Branche hat begonnen. Auf beiden Seiten, also was die Politik und was die Verteidigungsindustrie betrifft, muss jetzt die Risikobereitschaft steigen. So können wir die Produktion von Rüstungsgütern beschleunigen. 

    Inwiefern profitiert MBDA vom deutschen Zeitenwende-Topf über 100 Milliarden Euro? 

    Gottschild: Der bisher größte Auftrag war Patriot. Wir erhoffen uns für dieses Jahr weitere Munitionsaufträge. Einige dieser Aufträge sind bereits ausverhandelt, müssen aber noch den parlamentarischen Prozess durchlaufen. Details nennen wir noch nicht. Fest steht aber: Deutschland muss mehr Munition für die Bundeswehr bestellen. Was die Ukraine betrifft, schieben wir hier gut an. Plattformen, also etwa Flugzeuge, die ohne Waffen bestellt werden, erzielen natürlich nicht den gewünschten Effekt. In der Vergangenheit sind aber leider oft solche Plattformen ohne Waffen bestellt worden. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist klar: Wir müssen die Bewaffnung immer gleich mitbestellen. 

    Es wäre sicher sinnvoll, dass die Bundeswehr alte Taurus-Waffen zunächst überholt, also auf den neuesten technologischen Stand bringt.  

    Gottschild: Das ist unser großer Wunsch. Wir stehen für entsprechende Aufträge der Bundesregierung, zu jeder Tag- und Nachtzeit, zur Verfügung. Auch hier gilt: Wir brauchen einen Auftrag. Auf alle Fälle wird der Taurus, der bisher vom Tornado getragen wurde, mit dem Auslaufen dieses Kampfflugzeuges für den Eurofighter qualifiziert. 

    Doch Deutschland hat für den Ersatz eines Teils der Tornado-Flugzeugflotte amerikanische F-35-Tarnkappen-Bomber und gleich dafür US-Waffen mitbestellt. Hat Sie das geärgert? 

    Gottschild: Ich bedauere, dass Deutschland nur amerikanische Waffen für die F-35 bestellt hat, also das Paket nimmt, wie es ist. In anderen Ländern wird die F-35 mit Waffen wie unserem Flugkörper Meteor fliegen, mit dem Bedrohungen in der Luft bekämpft werden können. MBDA Deutschland ist Teil der europäischen MBDA-Gruppe, die wiederum ein Gemeinschaftsunternehmen von Airbus, dem britischen Unternehmen BAE Systems und der italienischen Firma Leonardo ist. Wir sind das einzige europäische Lenkflugkörper-Unternehmen, das im internationalen Markt der Flugkörpersysteme mit den Amerikanern mithalten kann. 

    Um Waffen wie den Meteor oder den Taurus zu produzieren, ist reichlich Sprengstoff notwendig. Hier gibt es Engpässe in Europa.  

    Gottschild: Es gibt unterschiedliche Arten von Sprengstoff, wobei eine bestimmte Sorte gerade nicht leicht zu beschaffen ist. Hier muss die Kapazität erhöht werden und es sollten Produktionsstätten in Deutschland oder zumindest in Europa aufgebaut werden. Wir brauchen mehr Sprengstoff. Die Engpässe bestehen vor allem bei den Grundstoffen für die Sprengstoffe, die wir zukaufen. Hier ist die Nachfrage weltweit hochgeschossen. Wir bearbeiten die Sprengstoffe und bauen damit Gefechtsköpfe. 

    Ist die von Kanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende schon in den Köpfen angekommen?

    Gottschild: In meinem schon. Ich verstehe die Zeitenwende als Prozess, der im Galopp losgetreten wurde und nun langsam bei den Menschen ankommt. Wir sind noch nicht am Ziel. Wir versuchen schneller zu werden, aber das geschieht noch mit einer Mentalität aus Friedenszeiten. Wir müssen hier komplett umdenken. Und wir brauchen wieder mehr europäische Rüstungskooperationen, insbesondere mit Frankreich. Ich bin Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sehr dankbar, dass er das bei seinem Besuch bei uns in Schrobenhausen deutlich angesprochen hat. Europäische Rüstungskooperationen sind deshalb so wichtig, weil wir so mehr Masse und Durchhaltevermögen schaffen können. 

    Am Ende wird Deutschland nur wieder verteidigungstüchtig, wenn Unternehmen wie MBDA ausreichend Fachkräfte finden. Klappt das? 

    Gottschild: Wir kriegen die Arbeitskräfte, die wir brauchen. Im vergangenen Jahr verzeichneten wir im Monatsdurchschnitt rund 400 Bewerbungen, Anfang dieses Jahres ist die Zahl auf monatlich 800 hochgeschnellt. In der Breite bekommen wir die Leute, die wir brauchen. So ist unser Wachstum sichergestellt. 

    Melden sich jetzt auch Bewerber, die betonen, einen Dienst für die Sicherheit Deutschlands leisten zu wollen? 

    Gottschild: Bewerbungen mit solchen Begründungen bekommen wir bereits seit 2014, als Russland die Krim annektiert hat. Doch schon immer galt: Wer bei uns Lenkflugkörper oder Gefechtsköpfe baut, muss hinter dieser Arbeit stehen. 

    Zur Person: Thomas Gottschild, 55, arbeitet seit Juli 2016 als Geschäftsführer für MBDA Deutschland und als Mitglied des Executive Committee von MBDA. Als Executive Group Director Strategy ist er für die strategische Ausrichtung von MBDA verantwortlich. Gottschild gehörte seit 1996 Airbus Defence & Space an. Nach dem Abitur 1988 trat der Manager für zwei Jahre in die Bundeswehr ein. Darauf absolvierte er ein Studium der Elektrotechnik an der Universität Siegen.

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