Herr Reinicke, wie bewegen Sie sich am liebsten fort?
Christian Reinicke: Ich wohne in Hannover und fahre auch gerne mal mit der Bahn zu Terminen. Heute bin ich nach München geflogen, weil ich am selben Tag wieder nach Hannover zurück muss. Mit der Bahn oder dem Auto wäre das zu zeitaufwendig. Für mich steht die Mobilität im Mittelpunkt und nicht das Verkehrsmittel. Früher war das mal anders: Da war ich wie viele meiner Generation auf Autos geprägt.
Sie sind 58 Jahre alt. In dieser Generation sind Autos doch nach wie vor wichtig.
Reinicke: Ja, und Autos sind sehr bequem. Sie stellen einen geschützten Raum dar. Doch als ich Anwalt und Notar wurde und immer häufiger reisen musste, habe ich für mich entdeckt, dass Mobilität mehr als das Auto ist. Übrigens: Ich fahre gerne Fahrrad und versuche, die Vorteile aller Verkehrsmittel zu kombinieren. Es gibt gute Alternativen zum Auto. Der ADAC versteht sich als Mobilitäts-Dienstleister. Unsere Pannenhelferinnen und -helfer eilen auch bundesweit Fahrradfahrern zu Hilfe. Sie flicken auch mal den Fahrradschlauch, wenn die Betroffenen nicht gerade auf einem Berg sind. Das Fahrrad-Angebot wird gerade in Städten sehr gut angenommen. Wir testen auch den öffentlichen Verkehr und informieren über Alternativen zum Pkw. Der ADAC hat ja auch Mitglieder, die kein Auto haben, und viele, die neben dem Auto auch andere Mobilitätsformen nutzen.
Sie reagieren allergisch darauf, wenn Politiker ein Verkehrsmittel gegen das andere ausspielen.
Reinicke:Deswegen stört es mich so, dass in der Ampelkoalition versucht wird, Schiene gegen Straße und umgekehrt auszuspielen. Diese Diskussion bringt uns nicht weiter. Denn unsere Straßen und Brücken befinden sich zum Teil in einem maroden Zustand. Und weil etwa der Güterverkehr in Zukunft wahrscheinlich noch zunehmen wird, brauchen wir eher mehr als weniger Geld für den Straßen- und Brückenbau. Gleichzeitig muss der Schienenverkehr ausgebaut werden. Wir müssen langfristig mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagern. Die Bahn muss aber auch insgesamt attraktiver werden. Deswegen unterstützt der ADAC nach dem 9-Euro-Ticket auch das 49-Euro-Ticket.
Dabei wird Mobilität, ob mit dem Auto oder mit Fernzügen, immer teurer.
Reinicke: Vor dieser Entwicklung warnen wir als ADAC. Mobilität muss bezahlbar bleiben. Doch es gibt schon jetzt viele Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Mobilität bezahlen sollen. Das 49-Euro-Ticket ist hier ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bin auch dafür, dass Fern-Busse in das 49-Euro-Ticket aufgenommen werden, weil es Strecken gibt, auf denen nur Fern-Busse und eben keine Züge fahren.
Autos werden immer teurer. Zudem setzen die hohen Stromkosten Fahrerinnen und Fahrern von E-Autos zu.
Reinicke: Gerade kleinere Autos sind hierzulande in den letzten fünf Jahren um über 30 Prozent teurer geworden. Die hohen Strompreise machen mir Sorgen. Die Szenarien für den Hochlauf der Elektromobilität beruhen auf den günstigen Rahmenbedingungen aus der Zeit vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Dabei ist Strom an den Schnell-Ladesäulen noch teurer als zu Hause. Damit büßt die E-Mobilität an Anziehungskraft ein. Schwierig ist es auch, dass Autohersteller überwiegend mit großen elektrischen Fahrzeugen in den Markt gehen, die sehr teuer sind. Inzwischen kommen bezahlbare Elektroautos aus China und nicht so sehr aus Deutschland. Der Autovermieter Sixt will über die kommenden Jahre 100.000 chinesische Elektroautos der Marke BYD kaufen. Das ist beunruhigend für den Standort Deutschland.
Was fordern Sie hier?
Reinicke: Ich fordere die deutschen Hersteller auf, bezahlbare Elektroautos zu bauen, damit Menschen auf die neue Form der klimafreundlichen Mobilität umsteigen. Wir brauchen Elektro-Volkswagen. E-Mobilität darf nicht wohlhabenden Eigenheimbesitzern mit einer Solaranlage und einer eigenen Wallbox zum Laden vorbehalten sein.
Besteht die Gefahr, dass E-Autos von besser verdienenden Menschen gekauft werden und Altenpfleger sowie Krankenschwestern ihren Diesel fahren, bis er auseinanderbricht?
Reinicke: Genau diese Sorge habe ich. Doch Elektromobilität darf keine Frage des Geldbeutels sein. Sonst bekommen wir die Mobilitäts- und Klimawende nicht hin. Alle gesellschaftlichen Kräfte stehen hier in der Pflicht. Das gilt auch für den ADAC. Klimaschutz steht in unserer Satzung. Doch auch die Bundesregierung muss umdenken. Die Zuständigkeiten für Klimaschutz im Verkehr sind auf viele Ministerien verteilt, das führt zu Reibungsverlusten und Maßnahmen widersprechen einander.
Was halten Sie von einem Mobilitätsministerium?
Reinicke: Es ist schwierig zu sagen, ob das eine wirkliche Verbesserung bringt. Wie es aber jetzt läuft, ist es nicht optimal. Dabei will ich kein Ampel-Bashing betreiben. Es gibt gute Ansätze, etwa was den dringend erforderlichen schnelleren Ausbau der Elektro-Ladeinfrastruktur betrifft.
Haben Sie sich schon von ihrem Diesel getrennt und ein E-Auto gekauft?
Reinicke: Die Frage musste kommen. Tatsächlich läuft der Leasingvertrag für meinen Diesel im Sommer aus. Ich habe lange mit mir gerungen, welches Auto ich kaufen soll. Dabei habe ich mein Fahrprofil studiert, was jeder machen sollte.
Was kam dabei heraus?
Reinicke:Ich fahre regelmäßig aus einem Vorort von Hannover in die Stadt rein und bin dort dann unterwegs. Ich bin also oft nicht mehr als 60 Kilometer am Tag unterwegs.
Dann wäre ein Elektroauto für Sie ideal.
Reinicke: Nicht ganz, denn ich bin zusätzlich im Radius von 200 bis 300 Kilometern viel unterwegs. Deshalb habe ich mich für einen Plug-in-Hybrid entschieden, der das Beste aus der Welt der Elektromobilität und der Verbrenner-Fahrzeuge kombiniert.
Sie glauben ja, dass in 20 Jahren immer noch Verbrenner-Autos auf deutschen Straßen fahren.
Reinicke: Davon gehe ich aus. Doch wir müssen alles daransetzen, schneller auf Elektroautos umzusteigen. Dazu brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens, müssen die Menschen also mitnehmen. Die Realität sieht nämlich so aus: Von den derzeit rund 49 Millionen Autos in Deutschland fahren erst etwa eine Million elektrisch. Wir können die restlichen 48 Millionen nicht einfach auf dem Schrottplatz lagern.
Sie seien kein Raser, hört man.
Reinicke: Ich spare Sprit. Als die Spritkosten extrem hoch waren, bin ich 100 auf Autobahnen gefahren, jetzt peile ich Geschwindigkeiten um 130 an. Mit 130 habe ich nicht das Gefühl, langsamer als die Masse unterwegs zu sein. Und man tut auch etwas fürs Klima. Der ADAC hat jedenfalls seine Mitglieder zum Spritsparen und damit Langsamer-Fahren aufgerufen.
Der ADAC-Präsident fährt also maximal 130. Das klingt nach einem selbst gesteckten Tempo-Limit.
Reinicke: Ich entscheide eigenverantwortlich – und fahre je nach Verkehrslage auch einmal schneller. Aber in der Regel bin ich entspannt mit 130 unterwegs und fühle mich auch gut dabei. So kann ich nebenbei Podcasts hören und mit der Freisprechanlage telefonieren.
Sind Sie auf Autobahnen für ein Tempo-Limit von 130?
Reinicke: Die Ampel-Regierung hat beschlossen, dass kein Tempo-Limit eingeführt wird. Damit ist die politische Entscheidung gefallen.
Doch Sie könnten sich an die Spitze des Fortschritts stellen und ein Tempo-Limit von 130 fordern.
Reinicke: Das werde ich nicht tun. Denn wenn wir unsere Mitglieder befragen, gehen die Meinungen auseinander: Etwa die Hälfte ist für ein Tempo-Limit und die andere Hälfte ist dagegen. Solange das so ist, enthalten wir uns einer Bewertung.
Der Zahl der ADAC-Mitglieder ist jedenfalls innerhalb eines Jahres um gut 190.000 auf 21,4 Millionen gestiegen. Wie gelingt Ihnen das, wo doch fast alle Groß-Organisationen Mitglieder verlieren? Und der ADAC hatte ja auch in der Vergangenheit handfeste Skandale, wie die Manipulation der Ergebnisse des Autopreises "Gelber Engel".
Reinicke: Ich bin sehr dankbar, dass uns so viele Menschen vertrauen. Und natürlich bin ich überzeugt, dass unser Service gut ist und die neuen Angebote die Bedürfnisse der Mitglieder erfüllen. Was den deutlichen Zuwachs im letzten Jahr betrifft, habe ich zusätzlich eine Vermutung, die ich aber nicht mit Zahlen belegen kann: Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, kaufen sich kein Elektroauto und fahren ihr Verbrenner-Auto länger. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Probleme mit dem Auto bekommen. Dann setzen sie auf die Hilfe des ADAC.
Heute besitzen junge Leute schon mal kein Auto mehr. Sie setzen sich für den Klimaschutz ein und kleben sich als Protest auf Straßen fest.
Reinicke: Ich kann die Anliegen der Klimakleber verstehen. Man sollte auf junge Menschen hören, sind sie doch unsere Zukunft. Die Klimaaktivisten vertreten Ziele, hinter denen sich jeder versammeln kann. Denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist Klimaschutz ein im Grundgesetz verankertes Staatsziel. Ich habe jedoch Zweifel daran, dass die Klimakleber die richtigen Mittel wählen, um ihre berechtigten Ziele zu erreichen. Denn sie verärgern viele Menschen mit der Form ihres Protestes. Wir haben doch das Anliegen der Klimakleber jetzt verstanden: Sie müssen sich nicht festkleben und Kartoffelbrei auf Kunstwerke werfen.
Zur Person: Christian Reinicke, 58, wurde 2021 von der ADAC-Hauptversammlung zum neuen Präsidenten gewählt. Zuvor war der Jurist Generalsyndikus des Vereins. Reinicke trat beim ADAC die Nachfolge von August Markl an.