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Inflation: Geldpolitik-Experte warnt: "Die EZB muss dem entgegentreten"

Inflation

Geldpolitik-Experte warnt: "Die EZB muss dem entgegentreten"

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    Das Leben in Deutschland ist deutlich teurer geworden.
    Das Leben in Deutschland ist deutlich teurer geworden. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Herr Professor Wieland, beim Thema Inflation richten sich alle Blicke auf die EZB. Aber kann die Europäische Zentralbank die Preissteigerung überhaupt bremsen, wenn diese vor allem von den Energiekosten befeuert wird?

    Volker Wieland: Die Inflation hat mehrere Quellen. Ein Faktor ist natürlich der Anstieg der Energiepreise, zunächst in Form einer Normalisierung nach Corona und jetzt noch einmal durch den Ukrainekrieg. Aber es geht auch um Kapazitätsauslastungen. Als wir aus Corona herausgekommen sind, war die Nachfrage höher als das Angebot. Und die sehr expansive Fiskalpolitik in den USA, aber auch in Europa sowie die lockere Geldpolitik haben dazu beigetragen, dass die Nachfrage hoch bleibt. Durch die Engpässe bei den Vorprodukten und den Anstieg des Welthandels konnten und können langlebige Güter nicht wie nachgefragt produziert werden. Aber selbst wenn es nur die Energiepreise wären, müsste die Notenbank schleunigst gegensteuern.

    Was muss sie tun?

    Wieland: Auf jeden Fall muss sie dafür sorgen, dass die Inflation sich nicht verfestigt. Wenn Sie im Euroraum einmal aufdröseln, woher die Inflation kommt, dann sehen Sie, dass das Monat für Monat immer weiter in die Breite geht. Das ist nicht nur die Energie, sondern das sind auch Lebensmittel und dann andere Güter und Dienstleistungen. Wir sehen zum Beispiel in den USA oder anderswo schon sehr starke Lohnanstiege. Das kommt bei uns auch, nur mit Verzögerung. Die EZB muss dem entgegentreten, auch damit sich die Erwartung weiter steigender Preise nicht verfestigt. Wenn wir davon ausgehen, dass die EZB gar nicht reagiert, dann steigen die Inflationserwartungen mehr, als wenn erwartet wird, dass sie reagiert.

    Hat sie bisher ausreichend reagiert?

    Wieland: Nein, sie hat ja mit ihrem wichtigsten Instrument noch gar nicht reagiert. Die Zinsen liegen immer noch bei –50 Basispunkten beim EZB-Einlagezins. Andere Notenbanken, wie in Großbritannien oder den USA, haben schon sehr viele Schritte unternommen. Nun kann man sagen, dort ging alles ein bisschen schneller. Das stimmt. Aber inzwischen ist die Inflation bei uns nicht geringer als in den USA, und wenn wir die Produzentenpreise anschauen, dann sehen wir, dass diese Preisanstiege in viele Produkte hinein weitergegeben werden, auf eine Weise, die ist extrem. Die EZB beendet nun im Juni ihre Nettozukäufe von Anleihen. Doch es gab schon ein Notfalltreffen, wo sie neue gezielte Anleihekäufe hoch verschuldeter Ländern in Aussicht gestellt hat, um Risikoaufschläge zu begrenzen. Wir haben noch keine Zinserhöhung gesehen. Die Märkte erwarten inzwischen, dass die Notenbankzinsen bis nächstes Jahr über zwei Prozent steigen müssen. Das ist in kurzer Zeit ziemlich viel, was da noch passieren müsste.

    Die angesprochene Notfallsitzung gab es ja, weil nach der Ankündigung der EZB, im Juli die Zinsen erhöhen zu wollen, viele Südländer, allen voran Italien, sofort mit Aufschlägen auf neue Staatsanleihen konfrontiert waren. Droht uns eine neue Eurokrise?

    Wieland: Die Aufschläge sind nicht besonders stark gestiegen, aber das Zinsniveau für Staatsanleihen insgesamt ist seit letztem Jahr deutlich gestiegen. Und seit Ausbruch des Krieges und mit dem starken Anstieg der Inflation hat sich das noch einmal deutlich beschleunigt. Für Deutschland waren wir im August 2021 bei Laufzeiten von 30 Jahren im negativen Bereich. Anfang Juni waren wir dann schon bei eineinhalb Prozent ab einer Laufzeit von 15 Jahren. Das ist immer noch nicht besonders hoch. Aber darauf zahlen die anderen einen Aufschlag. Italien zahlt etwa zwei Prozentpunkte über Deutschland. Aber die Aufschläge sind nichts Neues und sie sind nicht so hoch, dass Italien das nicht aus eigener Kraft zahlen könnte. Das ist eher eine Frage des Wollens.

    Und wenn sie weiter steigen?

    Wieland: Selbst wenn sich kein Investor finden würde, um Staatsanleihen zu kaufen und die Zinsen für Italien weiter nach oben gingen, dann hätten wir mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ein Verfahren, um die Situation beherrschbar zu machen. Da gibt es sogar noch ungenutzte Kreditlinien aus der Pandemiezeit. Mit den Outright Monetary Transactions (OMT), die an die Bedingung eines ESM-Programms gekoppelt sind, könnte die EZB zudem Staatsanleihen einzelner Länder in großem Umfang kaufen. Das hat sie zwar bisher nicht genutzt, aber selbst das Bundesverfassungsgericht hat dem unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. Das heißt, die Instrumente sind alle da, wir brauchen keine neuen. Der Wunsch nach neuen Instrumenten kommt nur daher, dass man die Bedingungen, die mit einem Einsatz der OMT einhergeht, nicht mag.

    EZB-Präsidentin Christine Lagarde kommt angesichts der hartnäckig hohen Inflation bei der Normalisierung der Geldpolitik zunehmend unter Druck.
    EZB-Präsidentin Christine Lagarde kommt angesichts der hartnäckig hohen Inflation bei der Normalisierung der Geldpolitik zunehmend unter Druck. Foto: Daniel Roland, dpa

    Das heißt, man müsste dann verbindlich Reformen angehen, um die Verschuldung in den Griff zu kriegen?

    Wieland: Unter der Regierung Draghi finden ja eine ganze Menge Reformen statt. Man müsste gar keine neuen verlangen. Wenn Italien eine Kreditlinie vom ESM beantragt, würde das meines Erachtens sogar die Reformpolitik von Draghi unterstützen. Denn sobald Draghi nicht mehr Ministerpräsident ist – und das ist möglicherweise nicht lange hin –, herrscht sofort wieder Unsicherheit, ob die nächste Regierung das Reformprogramm weitertreibt. In solch einem Programm wäre dafür gesorgt, dass der Druck hoch genug ist, weiterzumachen.

    Akut fürchten Sie also keine Krise?

    Wieland: Ganz so würde ich es nicht sagen. Wir haben jetzt noch deutlich höhere Schuldenstände. Italien liegt nun bei 160 Prozent des BIP, in Frankreich liegt die Schuldenquote bei knapp unter 120 Prozent. Das ist deutlich mehr als zur Euroschuldenkrise. Zudem sind nach langer Zeit die Zinsen angestiegen. Aber ich habe mit Lukas Nöh und Veronika Grimm vom Sachverständigenrat dazu gerade Berechnungen angestellt. Und das Ergebnis lautet: Bei allen Ländern würden sich trotz der derzeitigen Aufschläge die Zinsausgaben relativ zur Wirtschaftsleistung stabilisieren. Voraussetzung ist, dass sie die Schuldenquote konstant halten, also die Schulden nicht schneller steigen als das Wirtschaftswachstum.

    Können Sie das praktisch erklären?

    Wieland: Wenn eine Anleihe fällig wird, gibt ein Staat, um die alten Schulden zu bezahlen, in der Regel eine neue Anleihe aus. Wenn die alte hoch verzinst war, dann kann er mit einer neuen Anleihe, wegen der immer noch relativ niedrigen Zinsen, das Geld jetzt günstiger bekommen. Wenn die alte Anleihe vor drei Jahren begeben wurde, dann ist es jetzt teurer. Wenn sie vor zehn Jahren begeben wurde, dann ist es jetzt billiger. Deswegen ist die Entwicklung der Zinsausgaben relativ zum BIP bisher nach unten gegangen. Das heißt, Italien kann das jetzt aktuell tragen und kann das weiterhin tragen, auch wenn die Zinsen so bleiben, wie sie sind.

    Warum dann die Sorge vor einer Überschuldung?

    Wieland: Ich denke, die Unsicherheit kommt daher, dass die Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB seit der Pandemie extrem beschleunigt wurden. Die Schulden sind zwar in der Krise gestiegen, aber die Notenbank hat noch mehr Schulden aufgekauft. Das heißt, netto mussten diese Länder gar keine Anleihen am Markt platzieren. Sie haben natürlich ständig Anleihen am Markt platziert, aber da war mit der Notenbank ein extrem großer Nachfrager da. Jetzt haben wir eine neue Situation. Die Notenbank muss die Geldpolitik straffen. Deshalb hat sie die Netto-Zukäufe gestoppt. Und wenn Italien, Spanien oder Frankreich die Schuldenquote noch weiter erhöhen möchten, zum Beispiel wegen des Krieges, und deutlich mehr ausgeben wollen, dann müssen jetzt tatsächlich wieder Investoren am Markt die Anleihen kaufen und halten. Und da muss man natürlich erst mal herausfinden, wo der Preis liegt, zu dem diese Investoren bereit sind, das zu tun.

    Dennoch arbeitet die EZB bereits an einem neuen Programm zur Unterstützung der hoch verschuldeten Länder.

    Wieland: Ja, es sieht so aus, dass die EZB ein neues Programm auflegt und eigentlich nur noch damit ringt, welche Bedingungen, wenn überhaupt, damit verbunden sein sollen. Die EZB will sich Möglichkeiten schaffen, weiter in großem Stil, aber dann selektiv, Anleihen von einzelnen Ländern aufzukaufen. Wenn etwa deutsche oder holländische Anleihen auslaufen, wird jetzt schon in italienische oder portugiesische Anleihen reinvestiert. Mit dem neuen Programm sollen dann noch zusätzliche Anleihen gekauft werden können, mit dem Ziel, diese Zinsaufschläge zu begrenzen. Besonders fatal fände ich es, wenn die EZB jetzt auch noch Zielgrößen für diese Zinsaufschläge vorgeben würde. Der italienische Notenbankpräsident Ignazio Vico hat vor kurzem eine Rede gehalten, in der er sagte, ein Zinsaufschlag von zwei Prozent wäre nicht gerechtfertigt für Italien. Aber gegeben die großen Aufkäufe der EZB in den vergangenen Jahren, kann man das nicht verlässlich abschätzen.

    Volker Wieland war bis April Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
    Volker Wieland war bis April Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Schuldenmachen ist auch in Deutschland in Mode. Gerade kämpft der Finanzminister dafür, dass die Schuldenbremse 2023 wieder eingehalten wird. Ist das richtig?

    Wieland: Ich finde es schon richtig, dass der Staat Anstrengungen unternimmt, dass er die Schuldenbremse wieder einhält. Wir haben bereits sehr viele Umgehungsmöglichkeiten geschaffen. Die 100 Milliarden zusätzliche Ausgaben für die Aufrüstung, die sehr wichtig ist, sind im Grundgesetz verankert sodass sie nicht in die Berechnung der Schuldenbremse einfließen. Zudem hat man neue Buchungsregeln etabliert. So wurden hohe Beträge bereits buchungstechnisch in einen Sonderfonds für den Klimaschutz eingestellt. Gemäß den neuen Buchungsregeln flossen sie bereits in die Berechnung der Schuldenbremse ein, solange die Notfallausnahme von der Schuldenbremse gilt. Üblich wäre es, die Beträge dann, wenn sie verausgabt werden zu berücksichtigen, also dann, wenn die Schuldenbremse wieder gilt. So hat man sich sehr viel Luft verschafft. Jetzt ist es an der Zeit, Prioritäten zu setzen. Die Unsicherheit ist hoch aufgrund des Krieges und eines möglichen Lieferstopps bei Gas. Inflation und Zinsen sind angestiegen – da muss man auch in Deutschland, nicht nur in Italien, schauen, dass man die Schuldenquote wieder reduzieren kann. Die Zeiten, in denen Deutschland sich mit negativen Zinsen verschulden konnte, sind vorbei. Wenn wir jetzt noch mal eine tiefe Rezession hätten, dann wäre das vielleicht eine andere Situation. Aber die haben wir nicht.

    Wie optimistisch sind Sie denn, dass das so bleibt?

    Wieland: Im Moment ist der Ausblick noch so, dass wir dieses Jahr mit einem positiven Wachstum rechnen können. Aber es ist eben deutlich, deutlich weniger als noch vor einem halben oder Dreivierteljahr erwartet. Also die Rezession ist noch nicht da und es ist auch nicht sicher, dass sie kommt. Aber die Risiken haben zugenommen, wir sehen es ja ganz aktuell beim Gas. Ein Lieferstopp würde die Inflation weiter nach oben treiben. Und es würde möglicherweise eine Rezession auslösen, weil Teile der Industrie sehr abhängig sind von den russischen Lieferungen zu alten, niedrigen Preisen. Die könnten zum aktuellen Marktpreis in vielen Bereichen nicht wettbewerbsfähig produzieren. Dazu kommt die Inflation, die ziemlich weit außer Kontrolle geraten ist und ein zunehmendes Risiko, dass es in den USA durch den Zinsanstieg zu einer Rezession kommt. Das würde bedeuten, dass die Nachfrage für unsere Exportgüter zurückgeht. Nimmt man noch das Risiko hinzu, dass China wegen der extremen Null-Covid-Politik vielleicht ebenfalls in eine Rezession geht, dann kann man sich schon Sorgen machen für die Entwicklung in Deutschland. Aber noch ist das nicht die Basisprognose.

    Zur Person: Volker Wieland, Jahrgang 1966, ist Professor für Monetäre Ökonomie an der Uni Frankfurt. Bis April dieses Jahres war er einer der „Wirtschaftsweisen“.

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