Es herrschte fast so etwas wie Frustration im Kreis jener Europaabgeordneten, die diese Woche in Straßburg über die ehrgeizigen europäischen Pläne zur Bekämpfung der Volkskrankheit Krebs reden wollten. Unaufhörlich wurde ihnen die Frage gestellt, ob auf den Etiketten von Weinflaschen und Bierdosen bald – ähnlich wie auf Zigarettenschachteln – ein Warnhinweis prangen könnte, dass der Konsum von Alkohol ein Gesundheitsrisiko darstellt und Krebs auslösen kann?
Winzer und andere Branchenvertreter hatten Alarm geschlagen angesichts der Forderung des Sonderausschusses zur Krebsbekämpfung des EU-Parlaments, nach der Alkoholprodukte gekennzeichnet werden sollen. Doch der Vorschlag im Abschlussbericht fand am Mittwoch im EU-Parlament keine Mehrheit. Anstelle von Gesundheitswarnungen ist nun von unterstützenden Informationen „über den mäßigen und verantwortungsvollen Alkoholkonsum“ die Rede. Der Furor hat die Abstimmung über den umfassenden Anti-Krebsplan, der am Abend verabschiedet wurde, überschattet.
EU will Alkoholkonsum bis 2025 um zehn Prozent zurückfahren
Die Alkohollobby habe „leider versucht, den Bericht zu ihren Gunsten abzuschwächen“, kritisierte Tiemo Wölken, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten. Auch der CDU-Europaparlamentarier und gesundheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion Peter Liese hatte bereits vor dem Votum eingeschränkt, dass man lediglich „einen kleinen, bescheidenen Warnhinweis“ diskutiere. Immerhin die Wissenschaft hatten sie auf ihrer Seite: „Auch moderater Alkoholkonsum erhöht moderat das Risiko“, so Liese. Der Versuch, diesen Fakt zu verwässern, sei Wölken zufolge „absurd“. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist etwa jeder zehnte Krebsfall bei Männern auf Alkohol zurückzuführen, bei Frauen sind es drei Prozent aller Krebsfälle. Die EU verfolgt das Ziel, den Alkoholkonsum bis 2025 um mindestens zehn Prozent zurückzufahren. Daneben benennt der Bericht viele Risikofaktoren für eine Erkrankung, vorneweg Tabakkonsum, der laut Staatengemeinschaft für 15 bis 20 Prozent aller Krebserkrankungen in der EU verantwortlich ist.
Einigkeit im Parlament herrschte dagegen bei der Bedeutung von Vorsorge und der Forderung nach einem stärkeren Zusammenspiel der 27 Mitgliedstaaten.
Patienten dürften beispielsweise nicht unter europäischer Bürokratie leiden, verlangt der Abgeordnete Liese, ob sie nun in einem anderen Land einen Spezialisten aufsuchen oder für eine Behandlung die Grenze überqueren wollen. Man wolle sicherstellen, das bekräftige auch die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, „dass alle Patienten in der gesamten EU unabhängig von ihrem Wohnort Zugang zu qualitätsgesicherter Diagnostik und Behandlung haben“.
EU: 1,3 Millionen Menschen sterben jährlich an Krebs
Jährlich wird bei rund 2,7 Millionen Menschen in der EU Krebs diagnostiziert. Weitere 1,3 Millionen Menschen sterben an der Krankheit. Als entsprechend drängend wird das Problem erachtet und obwohl Gesundheitsvorsorge zuerst Sache der Mitgliedstaaten ist, will die Staatengemeinschaft einen Rechtsrahmen setzen. Die EU-Kommission, die für die Krebsbekämpfung in den nächsten Jahren vier Milliarden Euro zur Verfügung stellt, hatte im Frühjahr 2021 die Initiative gestartet.
Zu den geplanten Änderungen gehört, auch für Wissenschaftler Hindernissee aus dem Weg zu räumen. Als EU müsse man der Forschung „den roten Teppich ausrollen und nicht Steine in den Weg legen“, so Liese. Das gelte insbesondere für seltene Krebsarten und Krebs bei Kindern. „Nur durch europäische Zusammenarbeit werden ausreichend schnell genügend Patienten, zum Beispiel für klinische Prüfungen, zusammenkommen, um zeitnah Innovationen in den Markt zu bringen.“ Wissenschaftler ächzen oft unter unterschiedlichen Datenschutz-Regelungen in den Mitgliedstaaten. „Manchmal hat man das Gefühl, wir schützen unsere Daten besser als unsere Kinder“, bemängelt etwa Angelika Eggert, Kinderonkologin an der Charité Berlin und dort Leiterin der Klinik für Pädiatrie. Sie hofft deshalb, dass es in den nächsten Jahren neben einem Abbau bürokratischer Hürden auch zu einer Harmonisierung der Datenschutz-Vorschriften kommt.
Es handele sich bei dem Plan um „ein wichtiges Signal im Kampf gegen den Krebs“, lobte SPD-Politiker Wölken. Doch bis es zu konkreten Schritten kommt, dürfte es noch dauern. Nach der Zustimmung des Berichts will die Kommission im nächsten Jahr einen entsprechenden Entwurf vorlegen. Erst dann folgt das Gesetzesverfahren.