Der scheidende Bundesbank-Chef Jens Weidmann war im Laufe der Jahre als beständiger „Mahner“ bekannt geworden. Er war es, der in der Europäischen Zentralbank vor einer allzu lockeren Geldpolitik warnte. Nicht nur den Leitzins, der auf die Null-Prozent-Marke herabgesetzt worden ist, sondern vor allem die zusätzlichen Käufe von Staatsanleihen durch die EZB sah er kritisch. Durchsetzen konnte er sich im Rat der Europäischen Zentralbank mit dem langjährigen Präsidenten Mario Draghi und heute mit Christine Lagarde nicht. Die Zahl der Euro-Länder, die für eine lockere Geldpolitik eintraten, wog schwerer. Weshalb Weidmann genau zurückgetreten ist, darüber wird spekuliert. Er selbst sagte lediglich, er sei zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Da die Rolle des Bundesbank-Chefs Bedeutung für den Euro und die Stabilität der gemeinsamen Währung hat, war mit Spannung gerätselt worden, wer seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger wird. FDP-Finanzminister Christian Lindner hat am Montag dieses Geheimnis gelüftet.
An die Spitze der Bundesbank soll bereits zum 1. Januar 2022 Joachim Nagel, 55, rücken. Durch den Rücktritt von Weidmann konnte die neue Ampel-Regierung im Bund gleich eine wichtige Spitzenposition besetzen. Joachim Nagel ist in Karlsruhe geboren und studierter Volkswirt. Wie Kanzler Olaf Scholz hat er ein SPD-Parteibuch. Nagel kennt die Bundesbank gut, er arbeitete dort ab 1999. In der Finanzkrise 2008/2009 leitete er den internen Krisenstab der Notenbank. 2016 verließ Nagel die Bundesbank auf eigenen Wunsch und wechselte zur KfW-Bankengruppe. Die staatliche Bank spielt derzeit bei den Corona-Hilfen eine wichtige Rolle. Im November 2020 ging Nagel dann zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, in der sich die staatlichen Notenbanken der Welt austauschen.
Clemens Fuest, Ifo-Institut: "Joachim Nagel ist ein erfahrener Geldpolitiker"
„Joachim Nagel hat einen Werdegang, der ihn für das Amt prädestiniert“, sagt Professor Wolfgang Gerke von Bayerischen Finanz Zentrum unserer Redaktion. „Er hat die Bundesbank innen und außen kennengelernt, hat bei der KfW Aufgaben übernommen und internationale Erfahrung. Er ist eine sehr gute Besetzung.“ Die Personalentscheidung der Regierung kommt gut an: „Herr Nagel ist ein erfahrener Geldpolitiker und Finanzexperte“, sagt auch Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts in München, unserer Redaktion. „Er wird die Erfüllung des Mandats der Bundesbank und der EZB in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen.“
Auf Interesse dürfte bald stoßen, wie sich Nagel im Rahmen der Europäischen Zentralbank positioniert. Dort stoßen derzeit zwei Denkrichtungen aufeinander. Eine Gruppe Euro-Staaten setzt sich für niedrige Zinsen und damit einen eher lockeren geldpolitischen Kurs ein. Vor allem südeuropäische Staaten sind in dieser Gruppe der „Tauben“ versammelt. Die andere Gruppe – die „Falken“ – warnen davor, das Gelddrucken auf die Spitze zu treiben. Die Gruppe der Mahner gerät aber zunehmend in Unterzahl. Das Thema hat durch die anziehende Inflation an Brisanz gewonnen. Die Geldentwertung in Deutschland lag im November bei satten 5,2 Prozent. Es gibt also Argumente für weniger Anleihekäufe oder gar steigende Zinsen. Die Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Marija Kolak, forderte angesichts von Nagels Berufung, dass sich die Bundesbank im EZB-Rat "im Sinne der Sparerinnen und Sparer für ein baldiges Ende der Minuszinsen einsetzt".
EZB: Konflikt zwischen Tauben und Falken in der Geldpolitik
Einiges deutet darauf hin, dass auch Nagel nicht zum Lager der „Tauben“ gehören wird und den kritischen Kurs der Bundesbank gegenüber der lockeren EZB-Geldpolitik beibehalten könnte: Noch in seiner Zeit bei der Bundesbank hatte Nagel hoch verschuldete Eurostaaten zum Sparen aufgerufen: „Die Finanzpolitik in den Mitgliedsländern ist gefordert, die nationalen Bankensysteme solide aufzustellen. Dies kann nicht die Aufgabe der Geldpolitik sein“, sagte er 2011. Ein Jahr später warnte er vor Spekulationsblasen infolge des EZB-Billiggeldkurses.
FDP-Finanzminister Christian Lindner zeigte sich jedenfalls überzeugt, dass Nagel den Stabilitätskurs der Bundesbank fortführt: Die Inflation erlebe derzeit wieder Aufmerksamkeit, sagte Lindner. „Geldpolitische Stabilität in der Tradition der Bundesbank ist wichtig“, betonte er. „Ich bin sicher, dass Joachim Nagel in genau dieser Einschätzung die Deutsche Bundesbank positionieren wird.“
Der neue Bundesbank-Chef könnte also – wie Weidmann zu den Mahnerinnen und Mahnern – gehören, die kritische Einwände gegen die ultra-lockere Geldpolitik der EZB vorbringen. „Joachim Nagel steht für Kontinuität in der Politik der Bundesbank und die deutschen Interessen, die stärker stabilitätsorientiert sind als in südeuropäischen Ländern“, sagt auch Wirtschaftsfachmann Gerke. „Ob er auch die gleiche Härte wie Weidmann mitbringt, bleibt abzuwarten,“ fügt er hinzu. Denn der Druck aus dem Lager der „Tauben“ ist groß.
Wolfgang Gerke, Bayerisches Finanz Zentrum: Joachim Nagel braucht Rückgrat im Kreis der EZB-Notenbanken
Länder wie Italien, erklärt Gerke, haben ein starkes Interesse angesichts ihrer hohen Staatsschulden, dass die Zinsen niedrig bleiben. Dafür nehmen sie höhere Inflation in Kauf. In Deutschland ist die Sensibilität gegenüber Inflation viel größer, hier sieht man den dauerhaften Einsatz der Notenpresse meist kritisch. „Es wird schwer sein, die Inflation in der EZB mit Einstimmigkeit zu bekämpfen“, sagt Gerke.
„In den kommenden Jahren wird die EZB mit Herausforderungen hoher Unsicherheit über die Wirtschaftsentwicklung und voraussichtlich auch mit höherer Inflation konfrontiert werden“, erwartet auch Ifo-Chef Fuest. Dies ist nicht die einzige Baustelle. „Außerdem wird es zu klären gelten, wo die Grenzen der Tätigkeit der Notenbank liegen: Darf die EZB für die fiskalische Unterstützung hoch verschuldeter Euro-Staaten oder die Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt werden?“, sagt Fuest. „Hier gilt es, Inhalt und Grenzen des Notenbankmandats immer wieder zu präzisieren.“
In Deutschland steht Joachim Nagel ganz oben an der Spitze der Bundesbank, im Euro-Raum ist seine Stimme gewichtig, aber nur eine von vielen. Entscheidend wird sein, wie er gegenüber den anderen Notenbanken und EZB.-Chefin Christine Lagarde durchdringt. (mit dpa)