Der Krieg in der Ukraine ist ein paar hundert Kilometer entfernt. Bomben, rollende Panzer und Gefechte auf den Straßen scheinen zunächst weit weg zu sein und doch haben sie auch Auswirkungen auf Deutschland. Die Ukraine wird als Kornkammer Europas bezeichnet und ist einer der größten Exporteure weltweit für Getreide – zumindest vor dem Krieg. Seit dem Einmarsch Putins ist die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine ungewiss. Und das bekommt auch der Rest Europas zu spüren.
Bei der Bennomühle in Friedberg ist seit zwei Wochen "die Hölle los". Das Team von Inhaber Andreas Ziegenaus komme kaum hinterher, das Mehl abzufüllen. Lieferschwierigkeiten von Getreide habe er nicht, die Mühlen laufen auf Hochtouren. Das liege daran, dass Europa einenÜberschuss von 30 Prozent an Weizen produziere: "Dass Deutschland das Essen ausgeht, davon sind wir weit entfernt." Nur bei Mais könnten Engpässe auftreten. Das Produkt, das ausschließlich für Tierfutter importiert werde, könne aber problemlos durch andere Getreideprodukte ersetzt werden. Außerdem sei die Tierhaltung in Deutschland in letzter Zeit zurückgegangen, sodass auch weniger Futter gebraucht werde.
Ungarn und Russland kündigten bereits an Getreide-Exporte einzuschränken
Normalerweise spricht Ziegenaus nur etwa einmal im Jahr mit seinen Händlern über neue Preise für Getreide. Das liege daran, dass sie in diesem Zeitraum relativ konstant bleiben. Heuer herrsche allerdings eine neue Situation. Zuletzt seien die Kosten innerhalb einer Woche für eine Tonne Weizen von 350 auf 420 Euro gestiegen. Vor dem Krieg war der Preis bei unter 300 Euro.
Josef Rampl, Geschäftsführer des Bayerischen Müllerbundes, bestätigt, dass die Getreidepreise "explosionsartig nach oben geschossen" seien. "Eine ähnliche Dramatik haben wir in den vergangenen Jahren nicht gesehen", sagt er. Trotzdem sei die Versorgung in Deutschland sicher.
Für Menschen in Entwicklungsländern, wie zum Beispiel in Afrika, die selbst wenig Getreide anbauen und daher auf Importe angewiesen sind, könnten die gestiegenen Preise zum großen Problem werden, sagt Ziegenaus: "Wenn diese Länder auf einmal nicht mehr genug Getreide kaufen können, weil es zu teuer wird, fürchte ich, dass es dort zu Unruhen kommen könnte." Es sei wichtig, die weltweite Situation im Blick zu haben.
Ungarn habe bereits bekannt gegeben, dass sie derzeit keinen Mais exportieren werden, weil sie ihn für den Eigenverbrauch zurückhalten wollen, erklärt Ziegenaus: "So eine Angstentscheidung verknappt dann zusätzlich den Markt." Auch Russland hat angekündigt, seine Exporte an Weizen, Gerste, Roggen und Mais zeitweise einzuschränken, damit der Bedarf im eigenen Land gesichert wird.
Ukraine und Russland sind für 29 Prozent der weltweiten Weizen-Exporte verantwortlich
Auf die Ukraine und Russland entfallen zusammen 29 Prozent der weltweiten Weizen-Exporte. Wann die Schwarzmeer-Region wieder sicher exportieren könne, sei unklar, sagt Rudolf Sagberger, Vorstandsvorsitzender des Bayerischen Müllerbundes. Länder, die Getreide von dort beziehen, wie Nordafrika, Asien und die Türkei, würden ihren Bedarf folglich vermehrt in der EU decken. Allerdings treffe diese zusätzliche Nachfrage auf knappe Lager, was wiederum zu noch stärker steigenden Preisen führe.
Ziegenaus gibt zu bedenken, dass man nun erst recht über die intensivere Landwirtschaft nachdenken müsse: "Wir müssen in Deutschland Lebensmittelsicherheit haben." Die Europäische Union (EU) wolle, dass die Agrarflächen kleiner würden. Allerdings fehle dann Ware auf dem Weltmarkt, die woanders erzeugt werden müsse – allerdings mit verheerenderen Folgen, zum Beispiel durch Rodung von Regenwald: "Dieses Problem hat man die letzten Jahre nicht betrachtet, es war aber da."
Verbraucher müssen bald mehr für Backwaren zahlen
Was bedeuten die explodierenden Preise für die Verbraucher in Deutschland? Müssen sie künftig für Semmeln und Brot mehr zahlen? Müllerbund-Chef Rampl befürchtet, dass die Verbraucher bald mehr für Backwaren zahlen müssen.Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks sehe die Preissteigerungen bei Rohstoffen erst zeitversetzt auftreten, da die Bäcker zunächst auf Lagerbestände zurückgreifen. "Es wird sich zeigen, ob die Landwirte in der Ukraine zur Aussaat kommen und wie die Erntemengen dann letztlich ausfallen werden", sagt Präsident Michael Wippler. Das Problem sei, dass sich die Preise für Weizen am Weltmarkt orientieren und somit auch für Deutschland steigen, auch wenn hierzulande der Bedarf gedeckt werden könne.
Die Folgen für die Verbraucher aufgrund der gestiegenen Preise bewertet Mühlen-Besitzer Ziegenaus hingegen als nicht allzu groß. Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von 80 Kilogramm Getreide pro Jahr würden so 20 Euro mehr an Ausgaben auf die Menschen zukommen: "Das kann sich jeder leisten, für deutsche Kunden ist das kein Problem."
Die Bäckereien haben nach Einschätzung von Wippler allerdings auch mit den steigenden Energiepreisen zu kämpfen, die bis zu zehn Prozent der Kosten ausmachen. Schon jetzt seien sie auf einem Rekordniveau. Würden die Gaslieferungen aus Russland eingeschränkt, würde die Produktion von Backwaren weiter verteuert. Aber auch die Preissteigerungen bei Benzin und Diesel treffen die Bäckereien, da sie ihre Filialen mit Lieferfahrzeugen ansteuern, erklärt der Präsident.
Auch die gestiegenen Personalkosten bei Bäckereien führen zu Preissteigerungen
Unabhängig vom Krieg haben die Bäckereien noch ein anderes Problem: die steigenden Personalkosten. Durch den neuen Mindestlohn, der ab Oktober auf 12 Euro pro Stunde steigen soll, steigen die Kosten für die Betriebe immens, da der Lohn der Mitarbeiter zwischen 50 und 60 Prozent der Gesamtkosten beanspruche, so Wippler. Die Konsequenz sei, die Preise auch deswegen anzupassen.
Bei der Bäckerei Wolf in Augsburg sei die Lage noch relativ entspannt, verrät Alexander Wolf, einer der Geschäftsführer. Da sich die Mühle, von der er das Mehl bezieht, für drei bis vier Wochen mit Weizen eindecke, hätten die gestiegenen Getreidepreise noch keinen Einfluss auf seine Firma: "Wenn diese Zeit vorbei ist, müssen wir schauen, wie sich der Preis entwickelt hat."Er hoffe, dass die Preisexplosion nur kurzfristig sei. Wenn nicht, dann würde es sich nicht vermeiden lassen, dass auch die Produkte teurer würden.
Die Vorräte an Sonnenblumenöl reichen nur noch wenige Wochen
Besonders düster sieht es wohl künftig mit der Verfügbarkeit von Sonnenblumenöl aus. Der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (Ovid) gehe davon aus, dass es bereits bald zur Mangelware werden könnte. "Die Vorräte reichen voraussichtlich noch für wenige Wochen", sagt Gerhard Brankatschk. Die Ukraine mit 51 und Russland mit 27 Prozent seien die weltweit wichtigsten Exportländer für Sonnenblumenöl.
Das Problem für Deutschland: Es decke seinen Bedarf zu 94 Prozent über Importe, nur sechs Prozent stammen aus heimischer Produktion, erklärt Ovid. Nachschub aus der Ukraine gebe es derzeit nicht. Schon vor dem Krieg sei die Situation beim Sonnenblumenöl durch coronabedingte Lieferprobleme und die Missernte in Kanada angespannt gewesen, wodurch die Preise spürbar angestiegen seien.
Im Bereich der Ölsaaten und Nüsse sei der Weltmarkt bereits überhitzt, sagt Christian Liebsch, Leiter des Einkaufs der Firma Seeberger in Ulm. Die Nachfrage sei stark gestiegen, aus Sorge, dass die Ukraine als Lieferant wegbreche. Gerade würden alle Einkäufer ihre Lieferketten überprüfen und nach Alternativen suchen. Liebsch berichtet, dass die Firma aktuell kaum betroffen sei, da sie sich schon vor dem Krieg umstrukturiert hätte. Aber wie in vielen anderen Branchen auch, machten ihnen die gestiegenen Transport- und Energiepreise zu schaffen: "Wir versuchen zwar den Preiserhöhungen so gut es geht zu vermeiden, werden wahrscheinlich aber nicht daran vorbeikommen."