Das Ziel der Bundesregierung ist lange schon definiert: Bis 2030 sollen auf Deutschlands Straßen 15 Millionen Elektroautos rollen. Die Frage ist nur, ob das überhaupt noch zu erreichen ist. Derzeit sind laut VDA rund 1,3 Millionen reine Stromer zugelassen – bei insgesamt mehr als 48 Millionen Personenkraftwagen. Wenn man bedenkt, dass die Anschaffung eines Autos in vielen Haushalten nur alle paar Jahre ansteht, sind sieben Jahre nicht viel Zeit.
Zumal das Bundesverfassungsgericht der Ampel deutlich weniger finanziellen Spielraum als bisher gelassen hat, um der Verkehrswende den nötigen Schub zu geben. Der ADAC hatte im Vorfeld kritisiert, dass es kaum neue E-Autos für unter 30.000 Euro gebe – und der vom Staat spendierte Umweltbonus künftig weniger werde. Es gab also viel zu besprechen, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute zum Autogipfel ins Kanzleramt geladen hatte.
Beim hochkarätig besetzten zweiten "Spitzengespräch der Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft" waren nicht nur die Bosse der großen deutschen Hersteller zugegen, sondern auch Unternehmenschefs der Zulieferer, Gewerkschaftsvertreter, Betriebsräte sowie Vertreter der Energiewirtschaft und von Halbleiter- und Batterieproduzenten – dazu Umweltverbände und Wissenschaftler. Scholz hatte einige Kabinettskollegen mit am Start – darunter Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Was Auto-Experte Stephan Bratzel sagt
Auto-Experte Stephan Bratzel war als einer der geladenen Wissenschaftler beim Gipfel in Berlin. Der Direktor des Center of Automotive Management (CAM) kommentierte das Ergebnis der Spitzenrunde im Gespräch mit unserer Redaktion so: "Wenn man so will, ist das wichtigste Ergebnis, dass die Bundesregierung an dem 15-Millionen-Ziel festhalten will – auch wenn ihr klar ist, dass das nicht leicht wird." Bratzel betonte: "Wir brauchen einen Realitätscheck. Wir sehen – Stand heute – sieben und acht Millionen Autos als realistisch bis 2030 an." Wie man die Gelder aufbringen will, um das Maximalziel zu erreichen, und ob die Fördervolumina auch garantiert werden könnten, das müsse man noch sehen, sagte Bratzel. Er betonte mit Blick auf die Akzeptanz der E-Mobilität in der Masse deshalb: "Die Anschaffungskosten müssen im Vergleich zum Verbrenner runter – gerade die deutschen Hersteller müssen diese senken." Denn: "Der Wettbewerb wird schärfer. Tesla ist da, die chinesischen Hersteller sind da und es kommen noch mehr. Und die innovationsstarken deutschen Autobauer sind nicht mehr unangefochten. Gerade im E-Bereich hat die Konkurrenz aus Fernost starke Angebote zu günstigeren Preisen."
Professor Bratzel mahnte zudem an: "Bei einer dichten, verlässlichen Ladeinfrastruktur kommen die Fahrzeuge auch mit kleineren Batterien aus. Kleinere Batterien haben günstigere Preise zur Folge. Wir müssen den derzeitigen Teufelskreislauf – große Batterie, lange Ladezeit, zu wenige Ladesäulen – durchbrechen und mit kleineren Autos und kleineren Batterien einen Engelskreislauf hinbekommen."
Ein Sprecher der Bundesregierung teilte nach dem Gipfel unter anderem mit, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich einig gewesen seien, "dass die Anschaffungskosten von elektrischen Pkw gesenkt werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen". Dies könne über eine Verbesserung "der angebotsseitigen Kostenstruktur" gelingen. Technologische Entwicklungen bei Batterien und der zunehmende Aufbau einer Kreislaufwirtschaft könnten ebenfalls zu niedrigeren Kosten beitragen. Ferner ging es um die Stärkung der Resilienz, der Standorte und eben um den vielfach angemahnten Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die Teilnehmenden hielten den weiteren Angaben zufolge fest, das Informationsangebot für Käuferinnen und Käufer müsse verbessert und die Modellbreite erhöht werden. Betont wurde, dass E-Autos über den gesamten Lebenszyklus "bereits heute günstiger" seien als vergleichbare Verbrennermodelle.
ADAC: Nur drei E-Auto-Modelle für weniger als 30.000 Euro
Viele Käufer hielten sich bei E-Autos noch zurück, hatte der ADAC im Vorfeld des Gipfels festgestellt. "Unsicherheiten über schwankende Strompreise, kaum bezahlbare Fahrzeuge, lange Lieferzeiten und teils fehlende Lademöglichkeiten tragen dazu bei." In Deutschland bekomme die Kundschaft eben nur drei Modelle für weniger als 30.000 Euro, kritisierte der Club, der Millionen Autofahrerinnen und -fahrer vertritt.
Wer ein reines E-Auto für die private Nutzung kauft oder least, kann einen Umweltbonus von Staat und Herstellern bekommen. Dieses Jahr beträgt die Förderung noch bis zu 6750 Euro, nächstes Jahr bis zu 4500 Euro. Der ADAC rief dazu auf, die Förderung trotz Haushaltslücken fortzusetzen. Das Wirtschaftsministerium wies unterdessen darauf hin, dass sich der Markt am Ende natürlich selbst tragen müsse. Staatliche Kaufprämien als Anschubfinanzierung seien immer so konzipiert worden, dass sie allmählich auslaufen.
Olaf Scholz lud zum Autogipfel im Kanzleramt
Hildegard Müller, die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, wies nach dem Gipfel darauf hin, dass das Ziel der Bundesregierung "sehr ambitioniert" sei. Allein die deutschen Hersteller würden bis 2030 deutlich mehr als 15 Millionen Stromer produzieren. In welchen Märkten diese Fahrzeuge abgesetzt werden, hänge von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab. Müller mahnte: Die deutsche Automobilindustrie brauche "dringend Klarheit, Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen – auch in Bezug auf bereits erfolgte industriepolitische Zusagen".
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass bei derzeit 1,3 Millionen rein batterieelektrischen Fahrzeugen Deutschland um 400.000 E-Autos den Zielen hinterhinke. "Bei einem realistischen Wachstumspfad müssten wir im Moment knapp 1,7 Millionen Fahrzeuge haben, um das Ziel zu erreichen", sagte der DIW-Verkehrsexperte Wolf-Peter Schill unserer Redaktion. "15 Millionen im Jahr 2030 können aber immer noch erreicht werden, wenn die Anteile von Elektrofahrzeugen an den Neuzulassungen in den nächsten Jahren stark steigen und gegen Ende des Jahrzehnts dann praktisch nur noch Elektrofahrzeuge zugelassen werden", betonte der Experte.
"Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss weiter voranschreiten, mit einem Fokus auf Schnelllader", riet Schill. Der größte Engpass sei aber derzeit nicht die Ladeinfrastruktur. "Vielmehr scheint es notwendig, im für die Neuzulassungen wesentlichen Segment der gewerblich zugelassenen Pkw schnell auf sehr hohe Anteile von E-Autos zu kommen", sagte der DIW-Experte. "Dies kann entweder dadurch geschehen, dass Elektrofahrzeuge in diesem Bereich noch attraktiver gemacht werden oder Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren entsprechend unattraktiver – oder mit einer Kombination aus beidem", erklärte der Wirtschaftsforscher. (mit dpa)