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VW-Skandal: Warum die Debatte um Abgaswerte scheinheilig ist

VW-Skandal

Warum die Debatte um Abgaswerte scheinheilig ist

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    Graue Wolken über dem VW-Werk in Wolfsburg. Volkswagen hat einer Umfrage zufolge wegen des Abgas-Skandals das Vertrauen der deutschen Verbraucher verloren.
    Graue Wolken über dem VW-Werk in Wolfsburg. Volkswagen hat einer Umfrage zufolge wegen des Abgas-Skandals das Vertrauen der deutschen Verbraucher verloren. Foto: Julian Stratenschulte, dpa

    Zunächst einmal: Auch an dieser Stelle soll nichts beschönigt werden. Der Volkswagen-Konzern hat getrickst und Modelle als „Clean Diesel“ beworben, die es nicht sind. VW-Mitarbeiter haben auf Anweisung ihrer Manager die Software einer Dieselmotor-Generation so eingestellt, dass die vom Gesetzgeber geforderten Abgaswerte während des Testzyklus eingehalten werden, im realen Straßenverkehr aber nicht. Das ist kein Kavaliersdelikt.

    Das ist die eine Seite. Aber es gibt bei diesem Thema Aspekte, die in der Berichterstattung zu kurz kamen. Zudem erreicht mancher Autor inzwischen ein von Sachkenntnis ungetrübtes Niveau. Bisweilen wurde sogar der Eindruck erweckt: Wer VW-Diesel fährt, rottet die Menschheit mittels des tödlichen Gifts Stickoxid aus.

    Viel vom Veröffentlichten war Vorverurteilung. Noch aber hat kein Gericht entschieden. Inzwischen gibt es auch andere Stimmen, die den VW-Skandal differenziert betrachten. Fritz Vorholz, Kommentator in der Wochenzeitung Die Zeit beispielsweise, schreibt: „Es ist an der Zeit, mit einem Irrtum aufzuräumen. Mit dem naiven Glauben, beim Abgasskandal handele es sich um einen bedauerlichen, um einen schändlichen Fehltritt allein von Angestellten des Volkswagen-Konzerns. Nichts falscher als das.“

    Auch andere Beiträge in der Welt und FAZ belegen, dass die Debatte um die Vergehen von VW ziemlich bigott geführt wird, zumindest aber überzogen einseitig.

    Welche Absicht dahintersteckt, bleibt offen. Jedenfalls profitiert von skandalisierenden Berichten – wie damals beim Elch-Test – die Konkurrenz, diesmal vor allem die amerikanische wie Ford und General Motors. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Wurde eigentlich der Abgasausstoß von Diesel-Fahrzeugen dieser Konzerne auch untersucht?

    In der Autoindustrie wird nicht nur bei Grenzwerten getrickst

    Die Antwort ist aber gar nicht so wichtig. Es soll an dieser Stelle auch nicht über den Zufall diskutiert werden, dass die Abgasmessungen justament zur weltgrößten Automesse in Frankfurt, kurz vor Verlängerung des Vertrages des inzwischen zurückgetretenen VW-Lenkers Martin Winterkorn publik wurden. Es würde eine nicht beweisbare Verschwörungstheorie daraus werden.

    Aber andere Punkte sind wichtig, und sie zeigen, dass es sich um kein VW-Problem handelt, sondern um eines der Branche. Denn in der Autoindustrie wird nicht nur bei Grenz-, sondern auch bei Verbrauchswerten getrickst. Ein Beispiel. Das aktuelle Verbrauchs-Messverfahren, der „Neue Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ), ist eine anerkannte Norm. Doch der damit ermittelte Spritverbrauch ist eine Farce, hat mit dem tatsächlichen nichts zu tun und weicht oft um mehrere Liter pro 100 Kilometer ab.

    Sämtliche Hersteller liegen im ADAC-Test über erlaubter Stickoxidmenge

    Eine andere, vom ADAC veröffentlichte Liste, belegt ebenfalls, dass VW nicht der einzige Sünder ist. Der Automobilklub testete aktuelle Euro-6-Diesel. Im aktuell gültigen Prüfzyklus hielten sie den Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxide (NOx) pro Kilometer ein. Im

    Die Liste mit Tricks und Mauscheleien der Autobauer ließe sich fortsetzen. Sie sind auch nicht die Einzigen, die – um im Bild zu bleiben – Dreck am Stecken haben. Auch die Politik ließ die Augenwischereien bisher ohne Widerstand zu. Schon 2011 schrieb der Wissenschaftliche Dienst der Europäischen Kommission, dass die im realen Straßenverkehr gemessenen Stickoxid-Emissionen von Dieselfahrzeugen die Grenzwerte „substanziell überschreiten“. Seit 2011 beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe auf EU-Ebene mit dem Problem. Passiert ist – man ahnt es – nichts.

    Wenn die Gesellschaft es mit den Abgaswerten ernst nehmen würde, stellt sich eine weitere Frage: Warum gibt es kein Tempolimit 120? Es ist bekannt, dass Autos bei hohen Geschwindigkeiten zu Dreckschleudern werden. Oder wie ist es mit großvolumigen Modellen: Warum dürfen die noch verkauft werden, wo sie doch mehr Schadstoffe ausstoßen als der manipulierte Zwei-Liter-Diesel von VW?

    Fragen über Fragen. Und da wäre noch eine: Wie sauber sind die Elektroautos? Wenn man bedenkt, dass der Anteil an regenerativen Energien in Deutschland 2014 nur bei gut 26 Prozent lag, dann trübt sich deren Umweltbilanz gewaltig ein. In zehn bis 20 Jahren sind sie eine saubere Alternative, heute nicht. Trotzdem ist es sinnvoll, sie auf den Weg zu bringen.

    Bei Diesel-Gate geht es auch um 800.000 Arbeitsplätze

    Und noch etwas: Mancher, der sich darüber freut, dass Volkswagen nun am öffentlichen Pranger steht, dem sei gesagt: Es geht beim „Diesel-Gate“ nicht nur um einige betrügerische Manager, sondern auch um 800.000 Arbeitsplätze, um Mitarbeiter, Menschen, die nichts dafür können, dass ihre Vorgesetzten Fehler gemacht haben. Und genau deren Arbeitsplätze werden jetzt vermutlich zu Tausenden abgebaut. Es sollte allen daran gelegen sein, dass Volkswagen den Skandal möglichst vollständig aufklärt.

    Den Konzern aber zum Synonym für Betrug zu stempeln, dazu reicht die Anklage nicht.

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